Am schicken Empfang der Dentalfirma Ivoclar Vivadent in Schaan im Fürstentum Liechtenstein liegt auch eine Broschüre zur Unternehmenskultur, die Mitarbeitende mit persönlichen Anekdoten illustrieren. Eine davon wird hier besonders favorisiert. Und die geht so: Ein leitender Angestellter einer australischen Organisation war anfänglich Klinkenputzer. Bei einem seiner ersten Kundenbesuche wollte ein Zahnarzt nichts von ihm wissen und schickte ihn gleich wieder weg. Unverdrossen versuchte es der Firmenvertreter am nächsten Tag nochmals und wurde wieder abgewimmelt.

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Nun wartete er ein paar Wochen, ehe er den dritten Anlauf unternahm. Als er in die Praxis kam, lag der Zahnarzt im Krankenhaus. Obwohl der Vertreter wusste, dass sich der Patient kaum über seinen Besuch freuen würde, ging er trotzdem hin. «Was zum Teufel machen Sie denn hier?», wurde er angeherrscht. Er wolle ihm nur gute Besserung wünschen. Damit war das Eis gebrochen, und es entwickelte sich eine langjährige Kundenbeziehung. Diese konsequente Kundenorientierung trägt Früchte. Seit heuer ist Ivoclar Vivadent in unserem Währungsraum die neue Nummer 1 der Dentalbranche und liegt vor den beiden bekannteren Firmen Nobel Biocare und Straumann. Bei der Firma aus dem Ländle stieg der Umsatz seit 2006 von 581 Millionen auf 730 Millionen Franken. Die Mitarbeiterzahl erhöhte sich kontinuierlich auf fast 3000.

Übliche Floskeln

Straumann hingegen musste in den vergangenen fünf Jahren eine Umsatzminderung von zwölf Prozent hinnehmen und streicht allein 2013 rund acht Prozent der Stellen. Bei Nobel Biocare glitt der Umsatz im selben Zeitraum über sechs Prozent zurück, und am Zweitsitz in Schweden gehen 70 Stellen verloren. Während die ehemaligen Überflieger seit Jahren gegen eigene Schwächen kämpfen und Marktanteile verlieren (BILANZ 03/2013), ist Ivoclar Vivadent bislang erstaunlich gut über die schwierigen letzten Jahre gekommen. Nur während der Finanzkrise und wegen des überbewerteten Frankens gab es zweimal kleinere Umsatzdellen.

Hartnäckig dranbleiben. Was macht Ivoclar Vivadent besser? Firmeninhaber und Verwaltungsratspräsident Christoph Zeller, im Gespräch sehr beherrscht und stets auf Understatement bedacht, bemüht erst mal die üblichen Floskeln: «Unser Ziel war nicht die Nummer 1, sondern gesund und qualitativ zu wachsen.» Für Ivoclar Vivadent gilt, was Michael Hilti vom gleichnamigen Bauzulieferer am selben Ort als Losung vorgegeben hat: Lieber im Schatten von Liechtenstein gedeihen als an der Sonne von Zürich verdorren. Es gebe, so Zeller, auch keine Umsatzvorgaben für die kommenden Jahre: «Wir sind gross genug, um global aufzutreten, und klein genug, um unsere Kunden noch zu kennen.» Erfolg sei aber nur möglich, wenn die Mitarbeitenden «täglich tragfähige Brücken schlagen». Darum sei die eingangs erwähnte Geschichte sein Favorit.

Politische Sparmassnahmen

Die Story gefällt auch Robert Ganley, seinem CEO, besonders gut. Habe man nämlich erst den Fuss in der Tür, sei das Geschäft sehr einfach: «Wir hören den Kunden zu und erfahren so, was gut und was schlecht läuft.» Viele Firmen sagten ihren Kunden, was sie brauchten. Das sei aber oft nicht das, was diese tatsächlich wollten. Tönt simpel. Und was Ganley sagt, hat Gewicht. Der 61-jährige US-Amerikaner – wie sein Chef Zeller kein Lautsprecher – ist ein alter Hase im Dentalgeschäft und seit 1986 bei Ivoclar Vivadent. Er stieg bald zum Präsidenten der amerikanischen Tochtergesellschaft auf, und seit dem Jahr 2003 ist Robert Ganley CEO der ganzen Firmengruppe. Hartnäckiges Klinkenputzen erklärt nicht allein die Erfolgsgeschichte. Das Zahnersatzunternehmen ist viel breiter aufgestellt als die Schweizer Implantatespezialisten Nobel Biocare und Straumann.

Ivoclar Vivadent ist mit kompletten Produktsystemen in drei Bereichen tätig: den Füllungsmaterialien, der festsitzenden und der abnehmbaren Prothetik. Dieser Gemischtwarenladen bietet den Kunden bei Bedarf ein Gesamtpaket, das sich über die Jahre offensichtlich besser rechnet. Der zurzeit matchentscheidende Unterschied: Ivoclar Vivadent arbeitet sozusagen über dem Knochen, während Straumann und Nobel Biocare als Implantatefirmen vor allem im Knochen tätig sind. Letzteres war zwar mit Margen von mehr als 30 Prozent lange Zeit attraktiver – aber für Kunden auch teurer. Das hat viele Mitbewerber angelockt. Ausserdem führen politische Sparmassnahmen im Hauptmarkt Europa dazu, dass weniger Implantate gesetzt werden. Und ausgerechnet die Krisenstaaten Spanien und Italien sind die Länder mit der höchsten Quote an Implantaten. Das alles trifft Premiumanbieter wie Straumann und Nobel Biocare besonders hart und lässt die Margen schrumpfen.

Schneller, einfacher und schöner

Lange Zeit hiess es auch, Implantate ersetzten Brücken und Kronen. Was nicht passiert ist, im Gegenteil. Wer über dem Knochen innovativ ist, generiert Wachstum und stabilere Margen. Das Familienunternehmen gibt zwar keine Gewinnzahlen bekannt, doch Alleininhaber Zeller hebt den Schleier: «Wir liegen beim Ebit auf einer Höhe mit der amerikanischen Dentsply.» Das weltweit grösste Dentalunternehmen gilt als Nestlé der Branche, ist börsenkotiert und weist eine Ebit-Marge von 15 Prozent aus. Zum Vergleich: Bei Nobel Biocare sind es 10,7 Prozent für das erste Halbjahr 2013; Straumann kommt auf 16 Prozent. Laut CEO Ganley sind die Eintrittsbarrieren für neue Anbieter in dem für das Unternehmen am schnellsten wachsenden Produktbereich Vollkeramik sehr hoch. Hier ist Ivoclar Vivadent ein Innovationstreiber. «Wir bieten einzelne Produkte, wo es nur drei, vier Mitbewerber gibt. In anderen Segmenten sind es 40 und mehr», sagt Ganley.

Was die Kunden wollen, bringt er auf die kurze Formel «einfacher, schneller und ästhetischer». Zahnärzte und Dentallabors wünschen Materialien, die sie rasch und effizient zu optisch ansprechenden Lösungen verarbeiten können. Für neue Patienten ist «metallfrei» bei Füllung und Zahnersatz die erste Wahl. Unter Druck. Ivoclar Vivadent bietet eine breite Palette von Keramik- sowie Metalllösungen – mit unterschiedlichem Pricing unter derselben Marke. «Die Kunden verlangen heute nach Optionen», so Ganley. Kannibalisiert man sich so nicht selber? Nein, sagt er, und verweist auf die Markenstrategie von Automobilherstellern wie BMW. Da funktionierten 3er-, 5er- und 7er-Serie ebenfalls nebeneinander.

Zunehmender Kostendruck

Am stärksten wächst bei Ivoclar Vivadent das Premiumsegment; nur in der Apparatesparte legt die mittlere der drei Preiskategorien am stärksten zu. Auch da agieren Straumann und Nobel Biocare anders. Die beiden Schweizer kaufen oder beteiligen sich an Billiganbietern und trennen die Marken strikt. Laut Thomas Jäger, Analyst von Hyposwiss, werden es die beiden Schweizer Implantatefirmen weiter schwer haben. Er sieht zunehmenden Kostendruck, laufend neue Anbieter und kaum Marktwachstum. Und im Medtech-Report 2013 der Beratungsfirma Ernst & Young empfiehlt der Branchenexperte Heinrich Christen den Firmen neue Geschäftsmodelle. Das sei «zur Überlebenssicherung notwendig». Es brauche unter anderem «kundenorientiertes Design» und die «Fähigkeit, Behandlungslücken zu identifizieren und zu schliessen».

Wie Ivoclar Vivadent den Markt spürt, davon kann sich der Schreibende am eigenen Gebiss überzeugen. Beim Betriebsrundgang in Schaan setzt er sich auf einen Behandlungsstuhl in der neu eingerichteten «echten» Zahnarztpraxis. Statt mit dem Bohrer fährt der Zahnarzt mit einem digitalen Aufnahmegerät in den Mund, macht ein Bild von einem Zahn rechts oben, überträgt dieses auf den Bildschirm und modelliert dort im CAD-Verfahren eine in diesem Fall fiktive Zahnkrone.

Nahe am Markt

Die Daten dazu werden an ein Gerät im Nebenraum übermittelt, wo das Zahnteil vollautomatisch aus einem Keramikblock gefräst wird. Eine halbe Stunde später könnte alles bereits beim Patienten fixiert werden, worauf der Schreibende dann allerdings dankend verzichtet. Die Praxis ist exklusiv für Mitarbeitende, die sich hier kostenlos behandeln lassen. Im gleichen Gebäude gibt es auch eine Phantompraxis mit Patienten-Dummies. Die stummen Patienten mit den offenen Mündern werden mit hauseigenen Produkten bestückt, wo dann am Modell geübt wird. Dieser Trainingsraum ist dem Ausbildungscenter (ICDE) angegliedert. Hier werden jährlich über 2000 Zahnärzte, Zahntechniker und Dentalassistentinnen von internen und externen Spezialisten geschult – ein starkes Kundenbindungsprogramm und der Seismograf für die Bedürfnisse am Markt.

Weltweit gibt es mittlerweile 20 Ausbildungszentren von Ivoclar Vivadent. Aus- und Weiterbildungsprogramme mit eigenen Produkten bieten sämtliche grossen Dentalunternehmen, allerdings unterschiedlich ertragswirksam. Das Gesamtpaket von Ivoclar Vivadent rechnet sich. «Wir finanzieren Ausbau und Akquisitionen aus dem Free Cashflow», sagt Inhaber Zeller. Die Eigenkapitalquote liegt trotzdem bei 80 Prozent. Der gelernte Zahntechniker und Enkel des Firmengründers Adolf Schneider lenkt das Unternehmen seit mehr als zwei Jahrzehnten. Von 1990 bis 2003 war Christoph Zeller auch CEO, kennt also das Business. Die operative Führung hat er bewusst an Ganley abgegeben: «Man hat da verschiedene Hüte auf.» Ganley und Zeller sind ein eingespieltes Duo; beide schätzen sich. Auch ein Unterschied zu Nobel Biocare und Straumann, wo sich die Chefs in den letzten Jahren die Klinke in die Hand gaben.