Richtig gefährlich ist es nicht, aber ein bisschen aufpassen muss man schon. Aus der Curva Nord schiessen sie gern diese zischenden bengalischen Leuchtraketen in Richtung Tribüne ab. Man hört sie nicht kommen, weil der Lärm so infernalisch ist, und man sieht sie nicht kommen, weil der beissende Rauch, der über dem ganzen Stadion liegt, die Sicht vernebelt und die Augen zum Tränen bringt.

So kommen die Raketen aus dem Nichts, und plötzlich fliegt dir einer dieser Feuerbälle vor die Füsse und sengt dir die Flanellhose an.

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Wir sind in Rom, im Stadio Olimpico. Wir sind hier, weil wir die Antwort auf jene Frage suchen, die jeden anständigen Mann ein Leben lang bedrängt: Welches ist das beste Fussballspiel auf diesem Planeten?

Bevor wir zur Antwort kommen, müssen wir kurz klären, was ein gutes Fussballspiel ist. Es ist ein Spiel, in dem ewige Unvereinbarkeiten aufeinander treffen, ewige soziale, politische, kulturelle und wirtschaftliche Konflikte. Es gibt keine guten Spiele, die nicht vor 70 oder 80 Jahren unter den gleichen Mannschaften und mit den gleichen Unvereinbarkeiten schon stattgefunden haben. Geschichte ist entscheidend für ein gutes Fussballspiel. Nur dann ist ein Tor kein blosses Tor, sondern historische Wiedergutmachung oder Revanche.

Am 16. März 1931 – Benito Mussolini war auf dem Höhepunkt seiner Macht – spielte die AS Roma gegen Juventus Turin. Das Stadion in Rom war komplett überfüllt, und die Spieleinnahmen überstiegen mit sagenhaften 257 000 Lire jeden bisherigen Rekord. Die AS Roma zerstörte die Juve mit 5:0. Der grandiose Sieg wurde gefeiert im Film «5-0» des famosen Regisseurs Angelo Musco, und noch heute können die alten Romanisti die Mannschaftsaufstellung von 1931 auswendig hersagen: Masetti, De Micheli, Bodini, Bernardini, Ferraris IV., Chini, Fasanelli, Costantino, Lombardo, D’Aquino, Volk.

In Turin haben sie diese Demütigung nie vergessen. Im piemontesischen Turin, dieser organisierten, reichen, aristokratischen Stadt von Fiat und Agnelli, verachten sie die Römer, diese chaotischen Südländer ohne Industrie und ohne Geld, diese Plebejer, die sich von Innereien statt von Trüffeln ernähren. E viceversa. Wenn Juventus Turin in Rom antritt, dann «liegt eine grausame, surreale, antike Magie über der Arena», wie Peter Hartmann in der «NZZ» notierte. So muss es schon gewesen sein, als sich hier von 2000 Jahren im Kolosseum die Gladiatoren wechselseitig ausweideten.

Boca Juniors gegen River Plate in Buenos Aires ist ein ähnlich aufgeladenes Duell, vor allem, wenn es im Boca-Stadion La Bonbonera stattfindet, der Pralinenschachtel. Boca, das Team der Einwanderer, Arbeiter und kleinen Leute, gegen die Millonarios von River Plate, diese Knechte der Militärdiktatur. Als die Boca Juniors 1994 mit 2:0 gewannen, wurden zwei ihrer Fans von River-Plate-Anhängern erschossen. «Empatamos», sprayten diese nächstentags auf die Stadionmauer – «wir haben ausgeglichen».

Ein ebenso gutes Game ist Liverpool gegen Arsenal im Stadion an der Anfield Road. Auch hier treffen miteinander unversöhnliche Kulturen aufeinander. Hier die Söhne der Hafenstadt im Norden, im 19. Jahrhundert noch das gloriose Industriezentrum Britanniens, das inzwischen verlaust und verlassen ist, dort die feinen Pinkel aus London, diese Söldner aus der Finanzkapitale der Gegenwart. Wenn Liverpool gewinnt, stimmt der «Kop», die einheimische Hardcore-Fantruppe, die Clubhymne an: «You’ll never walk alone». Das ganze Stadion singt mit, und manchem hartgesottenen Dockarbeiter kullern die Tränen vor lauter Glück über die Wangen.

AS Roma–Juventus Turin, Boca Juniors–River Plate, FC Liverpool–Arsenal. Es sind die drei Spiele, die man einmal im Leben gesehen haben muss. Das beste ist vermutlich jenes in Rom.

Vor zwei Wochen waren wir wieder unten. Es war ohrenbetäubend, Petarden überall, Leuchtraketen, Hassgesänge, Feuerbälle, Böllerschüsse, ein Hagel von Wurfgeschossen auf dem Feld. Juventus gewann 2:1, die Roma-Tifosi zerlegten ein paar Autos und Polizisten. Wieder zu Hause, erzählte ich meiner Frau, wie es war.

«Du fliegst also Hunderte von Kilometern, um dir einen Gehörschaden zu holen?», fragte sie.

«Ja», sagte ich.

«Und du fliegst Hunderte von Kilometern, um dir im Stadion die Hose anzusengen?», fragte sie.

«Ja», sagte ich.

«Das werde ich nie verstehen», sagte sie.

«Ich weiss», sagte ich.