Es war schrecklich. Am liebsten hätte er seine Siebensachen gleich wieder zusammengepackt und wäre nach Hause zurückgekehrt. Notfalls sogar zu Fuss. Der junge Jakob Speich empfand den Schritt vom beschaulichen Elm ins grossstädtisch anmutende Zug wo er bei Landis & Gyr 1962 die Lehre als Mechaniker begann als eigentlichen Kulturschock.

Heute, mit 60, kann der ehemalige CEO und jetzige Verwaltungsrat bei der Wilden AG Schweiz darüber lachen. Wilden ist ein weltweit tätiger Anbieter von komplexen Kunststoffsystemen mit Produktionsstätten in Europa, den USA und in China. Die von den Brüdern Hans und Bert Wilden aus dem deutschen Regensburg geführte Gruppe zählt heute in Europa zu den führenden Unternehmen der Branche.

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Harziger Start

Wilden Schweiz mit Standort in Küssnacht am Rigi beschäftigt im Produktionsbetrieb und der Wilden Handels AG der Einkaufsgesellschaft für die Gruppe weltweit rund 150 Personen und setzt mit dem Produktionsbetrieb gut 30 Mio Fr. und mit dem Handelsbetrieb etwa 70 Mio Fr. um. Gruppenweit erzielen 1340 Beschäftigte 164 Mio Euro Umsatz.

Was heute so erfolgreich daherkommt, hatte einen harzigen Start. Als der Kunststoffbereich von Landis &Gyr zum Verkauf stand, nutzteHans Wilden die Gelegenheit zur Expansion in die Schweiz. Erst kurz zuvor hatte Jakob Speich in den Kunststoffbereich gewechselt. «Keine 100 Tage haben uns Marktbeobachter gegeben», sagt Speich heute.

Die Probleme liessen auch nicht lange auf sich warten. In einem eigentlichen Kraftakt musste und konnte das Steuer herumgerissen werden mit personellen Konsequenzen. Der damalige Geschäftsführer musste gehen. Hans Wilden offerierte den Job Jakob Speich, obwohl dieser nicht aus der Kunststoffbranche stammte. Doch für Wilden zählte Speichs Führungserfahrung mehr als die reinen Fachkenntnisse.

Speich machte sich an die Arbeit: Der Werkzeugbau wurde redimensioniert, die Härterei abgestossen. In der Folge reduzierte sich der Personalbestand von 150 auf 75 Personen. «Das war hart», sagt Speich. «Ich habe aber immer daran geglaubt, dass es gut ausgehen wird.»

Dieser Glaube beruhte auf einem enormen Vertrauensverhältnis zwischen seinem direkten Chef und Arbeitgeber Hans Wilden und ihm, denn Wilden hat sehr schnell festgestellt, dass er es hier nicht mit einem der «normalen» Manager, sondern mit einem Unternehmer zu tun hat.

Allerdings geht es ihm immer noch nahe, wenn er sich von Mitarbeitern trennen muss, mit denen er lange Jahre zusammengearbeitet hat und bei denen die Leistung gestimmt hat. Dann engagiert er sich jeweils als Outplacement-Berater, nutzt seine Kontakte, sein Beziehungsnetz, mit der Überzeugung, dass sich eine wahre unternehmerische Denkhaltung nicht nur auf Zahlen und Resultate zu beschränken hat, sondern ebenso sehr auch auf soziale Aspekte.

Ständige Verbesserungen

Dass dies nicht im Widerspruch zu den betriebswirtschaftlichen Vorgaben zu stehen hat, zeigt sich im praktischen Alltag. Wilden setzt stark auf Kaizen, um konstant Verbesserungen zu erzielen. Kaizen heisst, dass kein Tag ohne irgendeine Verbesserung im Unternehmen vergehen soll. Diesem von Masaaki Imai Mitte der 80er Jahre perfektionierten Instrument liegt die Annahme zu Grunde, dass jedes System ab dem Zeitpunkt seiner Einrichtung dem Zerfall preisgegeben ist, wenn es nicht ständig erneuert bzw. verbessert wird.

Wilden setzt mit einer auf die eigenen Bedürfnisse adaptierten Variante Kaizen mit Vorgaben, Controlling und Zielerfüllung um. Mitarbeiter-Management-Erfolgs-System (MMES) heisst das Instrument, das jeden Mitarbeiter und jede Mitarbeiterin am Arbeitsplatz befähigen soll, etwas beizutragen, um wettbewerbsfähiger zu werden.

Das MMES ist unterteilt in 20 Tätigkeitsfelder oder «Schlüssel» (siehe Kasten). Die quantitative Erfassung und Auswertung dieser Schlüssel ist in der gesamten Gruppe harmonisiert. Damit ist eine Vergleichbarkeit aller Werke bis hinunter auf die einzelnen Geschäftsfelder gegeben. Das Benchmarking mit MMES wird innerhalb des Konzerns aktiv betrieben. Zielabweichungen können so detailliert analysiert und dann behoben werden.

Gemessen werden beispielsweise die Wertschöpfung pro Mitarbeiter pro Stunde oder Ausschuss-bezogen auf Teile-Ausstoss. Als Coach, der den Mitarbeitenden in Workshops Kaizen näher bringt, weiss Speich:«Das Controlling ist bei Wilden sehr detailliert und ausgereift;es ist unwahrscheinlich, dass wir drohende Fehlentwicklungen nicht rechtzeitig erkennen und Gegensteuer geben können.»

«Die Erkenntnisse daraus müssen aber an die Basis zurückfliessen, gute Informationen sind für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter entscheidend», sagt Speich, «denn sonst wissen sie ja gar nicht, wo der Hebel angesetzt werden muss.» Und so bringt die Pflege von «Softfaktoren» in Verbindung mit dem qualitativ messbaren Kaizen à la Wilden Fortschritte in Produktion, in den Prozessen und der Qualität.

Zur Person

Jakob Speich (60) absolvierte nach der Sekundarschule eine Mechanikerlehre bei Landis & Gyr und bildete sich zum Techniker TS weiter. Früh konnte er Führungsfunktionen übernehmen und stieg so allmählich die Karriereleiter hoch, zuletzt war er Leiter der Magnetfabrikation von Landis & Gyr. Kurz nach dem Wechsel in die Kunststoff-Division und deren Verkauf an die Wilden-Gruppe wurde er Geschäftsführer und einige Jahre später Mitglied des Verwaltungsrates der Wilden Schweiz AG. Vor zwei Jahren im Rahmen einer gruppenweiten Umstrukturierung trat er als CEO zurück, behielt aber das VR-Mandat. Seither amtet er als Mentor und Coach in der Wilden AG Schweiz.



Jakob Speichs Führungsprinzipien

1. Von mir selbst mehr verlangen, als andere von mir erwarten. Bin ich Vorbild?

2. Vom Mitarbeiter mehr verlangen als jeder andere. Beleidige ich sie durch Unterforderung?

3. Am Mitarbeiter mehr Anteil nehmen als jeder andere. Bin ich dazu bereit?

4. Den Mitarbeiter vor Angst schützen. Gebe ich Sicherheit?



Was ist Kaizen?

Die 20 Handlungsfelder für Verbesserungen bei Wilden

1. Arbeit erleichtern durch Ordnung und Sauberkeit

2. Ziele strukturieren und vereinbaren

3. Mit Verbesserungsgruppen arbeiten

4. Bestände reduzieren

5. Rüsten beschleunigen

6. Prozesse analysieren und verbessern

7. Prozesse überwachungsfrei gestalten

8. Prozessabläufe koppeln

9. Instandhaltung produktiv machen

10. Selbstdisziplin und Zeitmanagement leben

11. Qualität erzeugen und sichern

12. Lieferanten einbinden und Beziehung weiterentwickeln

13. Verschwendung beseitigen

14. Verbesserungen selbst umsetzen

15. Mitarbeiter vielseitig qualifizieren

16. Produktion planen und steuern

17. Effizienz selbst steigern und regeln

18. Informationstechnologie zielgerecht einsetzen

19. Energie und Material einsparen

20. Technologien und Unternehmens-Know-how beherrschen und sichern