Er liebt die Ehrlichkeit. Deshalb gibt Jean-Daniel Gerber zu, dass ihn das Lob über seine Wahl zum neuen Staatssekretär für Wirtschaft gefreut hat. Doch das «Aber» lässt nicht auf sich warten: «Die Erwartungen sind so hoch, dass sie sich kaum alle erfüllen lassen.»

Dabei ist der 57-jährige Gerber jemand, der sich selber unter Druck setzt. «Ut melius fiat!» lautet auf Lateinisch sein Lebensmotto. Noch mehr als das deutsche «Auf dass es besser werde!» gefällt Gerber die französische Version «En quête du meilleur! Auf der Suche nach dem Besseren!» Es gebe nichts, das man nicht noch verbessern könne, «bei sich selber oder im persönlichen Umfeld», ist Gerber überzeugt.

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Einen derart hohen Anspruch kann nur stellen, wer klare Wertvorstellungen besitzt, anhand derer sich die Veränderung zum Guten oder Schlechten messen lässt. Als seine zentralen Werte nennt Gerber Ehrlichkeit, Toleranz, Ausgeglichenheit und den Kampf gegen Ungerechtigkeit. In einem Punkt ist Gerber rigoros: «Überall dort, wo die Grundrechte, wie sie in der Verfassung niedergelegt sind, tangiert werden, muss man eingreifen.» Dieser «kategorische Imperativ» gelte sowohl für ihn als Person als auch für einzelne Staaten und internationale Organisationen. «Wo bewusst Grund- und Menschenrechte verletzt werden, gibt es nichts zu verhandeln», fügt er bei, doch gesteht er gleichzeitig zu, dass es nicht immer möglich sei, nach solchen Prinzipien zu handeln.

Wenn man seine Entscheide jedoch nicht mehr vor seinem Gewissen verantworten könne, müsse man gehen, sagt Gerber und illustriert dies mit einem Fall aus seiner sechsjährigen Amtszeit als Direktor des Bundesamts für Flüchtlinge (BFF). Wäre die SVP-Volksinitiative «Gegen Asylrechtsmissbrauch» im November 2002 angenommen worden, hätte Gerber die Konsequenzen gezogen. Als sich im Verlauf der Auszählung zuerst ein Ja abzeichnete, reichte er bei seiner Vorgesetzten, Bundesrätin Ruth Metzler, bereits sein Kündigungsschreiben ein, machte dann aber den Schritt wieder rückgängig, als das Endergebnis mit 50,1% Ja gegen 49,9% Nein feststand. Gerber: «Die Geschichte lehrt, dass die Asyl- und Flüchtlingspolitik eines Landes nicht mit der jeweiligen Regierung in Verbindung gebracht wird, sondern immer mit dem Namen dessen, der in der Verwaltung dafür zuständig ist. Mit meinem Namen aber hätte ich nicht zur neuen Politik stehen können.»

Schlechter Schüler

Die moralisch-ethische Strenge und Ernsthaftigkeit Gerbers ist sicher auch ein Erbe seiner Herkunft aus einem täuferisch geprägten Elternhaus im Berner Jura. Sein Vater, von Beruf Remontierungsoffizier in der Kavallerie, gehörte zum legendären «Offiziersbund» um Alfred Ernst, der im Krisenjahr 1940 die kampflose Anpassung der Schweiz an Nazi-Deutschland verhindern wollte. Solche Vorbilder von Männern, die das Schicksal des Landes in die eigene Hand nahmen, wirken bis heute nach, denn für Gerber gibt es die Begriffe «Schicksal» oder «Fügung» nicht: «Wir selber sind verantwortlich für das, was wir machen.»

Vor diesem Hintergrund ist es erstaunlich, dass Gerber seine bisherige Laufbahn als das Ergebnis von vielen Zufällen bezeichnet. Der letzte sei im vergangenen Jahr der vorzeitige Rücktritt des bisherigen Staatssekretärs für Wirtschaft David Syz gewesen, der ihm lange bevor Christoph Blocher in die Regierung gewählt wurde die Möglichkeit eröffnet habe, nochmals eine neue Herausforderung zu suchen. Gerber: «Wäre Syz noch zwei Jahre bis zu seinem ordentlichen Pensionierungsalter im Amt geblieben, wäre ich für seine Nachfolge wegen meines Alters nicht mehr in Frage gekommen.»

Er sei ein schlechter Schüler gewesen, erinnert sich Gerber. Aus diesem Grund bezeichnet er den Erfolg bei der Aufnahmeprüfung in die Handelsschule in Biel als einen der «schönsten Momente» in seinem Leben. Denn von da an erklimmt Gerber Stufe um Stufe.

Nach der Handelsmatur studierte Gerber Wirtschaftswissenschaften in Bern. Nicht die einseitig auf Zahlen und den einzelnen Betrieb ausgerichtete Betriebswissenschaft, sondern ganz bewusst Volkswirtschaft. «Nationalökonomie hat mich von allem Anfang an fasziniert, weil sie sich mit dem Zusammenwirken von Wirtschaft, Politik und Gesellschaft befasst», sagt Gerber. Das Engagement für die Res Publica, das Verständnis für seine Arbeit als Dienst für den Staat und die Gesellschaft haben neben dem vom Elternhaus mitbekommenen Verantwortungsbewusstsein hier ihre Wurzeln.

Die turbulenten Jahre nach 1968 haben Gerber geprägt. Seine Generation habe damals gelernt, über Regeln und Traditionen, die allgemeine Gültigkeit besassen, nachzudenken. «Es ist wichtig, seine Grundsätze immer wieder zu überprüfen. Nur so kann man sich und sein Umfeld verbessern, wie das meinem Lebensmotto entspricht.»

Noch heute pflegt Jean-Daniel Gerber Freundschaften aus der gemeinsamen Studienzeit, so mit Max Gsell, Präsident der Vereinigung der Regionalbanken Schweiz, mit Botschafter Oskar Zosso, dem Delegierten für Aussenwirtschaft im Seco, mit Ulrich Gygi, CEO Post, und mit Peter Siegenthaler, Direktor der Eidgenössischen Finanzverwaltung. Parteipolitisch ist Gerber kaum einzuordnen. Er gilt als FDP-nah, jedoch mit einem starken sozialen Gewissen, ohne aber ein so genannter «Gutmensch» zu sein.

«Direktor aus dem Bilderbuch»

Eine solche Haltung hätte auch den Weg nicht ermöglicht, den Gerber nach dem Lizenziat die Dissertation mit dem konfliktträchtigen Thema «Die Wirtschaftsneutralität der Schweiz» blieb leider unvollendet einschlug: Im Bundesamt für Aussenwirtschaft (Bawi), beim Gatt und in der Weltbank standen zwar immer die Entwicklungsländer im Zentrum, jedoch ihre Finanzsituation und nicht die Entwicklungshilfe im landläufigen Sinne. Gerber: «Bei Risiko- und Finanzanalysen werden überall die gleichen Kriterien angewendet, egal ob es um Industrie- oder Entwicklungsländer geht.»

Seine Tätigkeit verschaffte Gerber den offenen Blick für die schwieriger gewordene Situation der Schweiz in der Welt und eine Menge internationaler Kontakte. Von beidem profitierte er als BFF-Direktor, und beides wird ihm auch in seiner neuen Funktion an der Spitze des Seco nützlich sein.

War die Ernennung zum BFF-Direktor im Jahr 1997 noch eine allgemeine Überraschung, so ist sein Wechsel ins Seco vor dem Hintergrund seiner bisherigen Karriere fast zwingend. Für den «Direktor aus dem Bilderbuch» (so der «Tages-Anzeiger») ist es eine Rückkehr ins Spannungsfeld von Wirtschaft, Politik und Gesellschaft. «Was mich nach der letztlich monothematischen Asylpolitik reizt, ist die Vielfältigkeit der neuen Aufgabe.» Dazu zählt er namentlich die internationalen Aspekte und die Frage der europäischen Integration.

Fragt sich nur, wie der kulturbeflissene Staatssekretär, der von den Büchern Eric-Emmanuel Schmitts schwärmt, die er in der französischen Originalsprache gelesen hat, im behäbigen Bundeshaus-Ost seine Vorliebe für zeitgenössische Kunst ausleben kann. Er hat das BFF-Gebäude in Wabern in einen Ausstellungsraum für junge Künstler verwandelt. Denn der Mensch lebt ja nicht nur für die Arbeit und vom Brot allein. Gerber: «Künstler haben in der Regel ein sehr feines Sensorium für den Zustand und die Entwicklung der Gesellschaft.»

Im Besprechungszimmer im BFF hängt «Die Schweiz» von Markus Raetz. Die Berge mit scharfen Zacken als Abwehrkette, um das Ganze ein Doppelrand als sichere Grenze. Es ist nicht die Schweiz des Jean-Daniel Gerber.



Profil: Steckbrief

Name: Jean-Daniel Gerber

Funktion: Staatssekretär für Wirtschaft

Geburtsdatum: 29. August 1946

Wohnort: Jegenstorf BE

Familie: Verheiratet, zwei Kinder



Karriere:

1991-1992 Vizedirektor im Bawi, Leiter Dienst für Entwicklungsfragen;

1993-1997 Exekutivdirektor bei der Weltbank in Washington;

1997-2004 Direktor des Bundesamts für Flüchtlinge;

Ab 1. April 2004 Staatssekretär für Wirtschaft



Firma:

Das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) ist das Kompetenzzentrum des Bundes für Kernfragen der Wirtschaftspolitik. Innenpolitisch wirkt das Seco als Schnittstelle zwischen Wirtschaft, Sozialpartnern und Wirtschaftspolitik. Es unterstützt die regional und strukturell ausgewogene Entwicklung der Wirtschaft und leistet einen Beitrag zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Ein weiteres Anliegen ist die Förderung wettbewerbsfähiger Rahmenbedingungen für die Schweiz. Aussenpolitisch vertritt das Seco das Land in multilateralen Wirtschaftsorganisationen sowie internationalen Verhandlungen.