BILANZ: Herr Caille, nach einem über neunmonatigen Schweigen stellen Sie sich wieder der Öffentlichkeit. Um zu beweisen, dass Sie nicht weg vom Fenster sind?
Jérôme Caille: Seit dem 12. Januar 2004, als die Publikation unserer Rechnung verschoben werden musste, habe ich ohne Pause für die Erhaltung unserer Kunden und die Motivation unserer Mitarbeiter gearbeitet. Das ist eine wichtigere Mission, als in den Medien zu erscheinen. Am Ende des Tages geben mir die Resultate Recht: Wir haben unsere 300 000 Kunden und unsere 28 000 Mitarbeiter behalten können, und wir haben unsere Verschuldung seit 2002 um eine Milliarde Schweizerfranken gesenkt. Mit einer Milliarde Cash haben wir überdies die höchste Liquidität in der Geschichte des Unternehmens erreicht.
Eine Krise ohnegleichen, sechs Monate Spekulationen, eine ernste Börsenwertzerstörung. Musste das sein?
Leider ja! Die Standards der Corporate Governance und die Prinzipien der Auditoren sind sehr strikt für ein globales Unternehmen wie unseres. Darum war der schmerzhafte Prozess unausweichlich.
Sie müssen zugeben, dass im Zusammenhang mit dem Enron-Skandal die Buchhaltungsprobleme einer ihrer US-Filialen beunruhigen mussten.
Als ich informiert wurde, dass einer unserer Revisoren Probleme mit der Kontrolle dieser Filiale hatte und dass dies die Konsolidierung der Abschlüsse der ganzen Gruppe verhinderte, habe ich nie an Veruntreuung gedacht. Die Frist des Audits hatte nichts mit Unregelmässigkeiten zu tun, sondern mit gewissen Schwächen unserer internen Kontrollen. Ich war mir bewusst, dass wir eine neue Mannschaft von Auditoren hatten, ich war aber auch der Meinung, Adecco USA sei finanziell gesund und arbeite aus operationeller Sicht mit viel Erfolg.
Sei meinen, nur ein Missverständnis mit Ihrem Revisor habe die Krise verursacht?
Ich will nicht die Auditoren tadeln. Es war unsere Aufgabe, sie auf unsere internen Kontrollmethoden und auf unsere ständigen Verbesserungsprogramme aufmerksam zu machen. Im schlimmsten Fall hatten sie Unrecht, zu denken, dass das amerikanische Problem sich auf den ganzen Planeten erstrecke und man deshalb nochmals die ganze Gruppe kontrollieren müsse. Ich frage mich, ob die Revisoren einen ausreichend globalen Approach hatten.
Eine Rechnung über 100 Millionen Franken für 140 000 Audit-Stunden scheint uns doch ein gesalzener Preis für ein reines Verständnisproblem.
Es ist der Preis einer Lektion über Beurteilungskriterien. In Europa stellen wir die Substanz über Formfragen, in den USA ist es umgekehrt.
Hätte durch eine bessere Kommunikation der Wirbel um die Verschiebung der Publikation Ihrer Ergebnisse nicht verhindert werden können?
Wir sind ein in den USA kotiertes europäisches Unternehmen, und als solches punkto Finanzkommunikation über die Sarbanes-Oxley Act hart reglementiert. Wir waren nicht berechtigt, unsere Probleme näher zu erklären oder einen Publikationstermin zu nennen, bevor wir Gewissheit hatten. Wir durften nicht einmal unser Vertrauen und unseren Optimismus über den Ausgang der Affäre zeigen. Es war schwierig, gegen Verdächtigungen anzutreten, weil wir aus juristischen Gründen zu einer sehr formalen und beschränkten Kommunikation gezwungen waren.
Die Sarbanes-Oxley Act zwingt keinen CEO, von der Bildfläche zu verschwinden.
Wir beschlossen, dass nur der Verwaltungsrat unter der Ägide von John Bowmer die Verspätungen kommunizieren und managen werde. Ich würde mich darauf beschränken, die Kunden zu halten, damit wir nicht in ein zweites, ernsteres Problem geraten würden. Ich gebe zu, dass es ein schlechtes Signal war, statt das Management den Verwaltungsrat an die Front zu schicken. Der Wechsel des Kommunikators konnte erstaunen und eine nicht ganz wolkenlose Botschaft verbreiten. Die Aufgabenteilung war ein Schlüssel zum Erfolg.
Wollen Sie sagen, dass Sie mit der Kommunikationsstrategie nicht einverstanden waren?
Der damalige Verwaltungsrat war nicht immer sehr einfach. Nicht immer war das Niveau der Koordination und des Vertrauens ausreichend. Heute, mit dem neuen Verwaltungsrat, ist das ganz anders.
Der Verwaltungsrat, in den Klaus J. Jacobs eingetreten ist, war jedoch Ihr erster Widersacher zu Beginn der Affäre.
Klaus Jacobs hatte als wichtiger Adecco-Aktionär redliche Gründe für seine Sorgen wegen der Krise.
So sehr, dass er Ihnen via Presse ein Ultimatum stellte, obwohl er Sie einst als CEO vorgeschlagen hatte?
Ich hatte nicht mehr viel Kontakt mit Klaus, nachdem er den Verwaltungsrat verlassen hatte. Er wollte von aussen her einfach mehr wissen. Einen Tag nach seinem Interview (siehe BILANZ 2/2004), in dem er mich angriff, habe ich ihn besucht und ihn über die reale Lage und unsere Massnahmen informiert.
Man sagt, die Krise habe alte Fehden zwischen den Franzosen von Adecco und den Schweizern von Adia aufgezeigt, zwischen Philippe Foriel-Destezet, der Sie unterstützte, und Klaus Jacobs, der Ihren Kopf wollte.
Diese Clan-Geschichte entbehrt jeglicher Grundlage. Klaus und Philippe haben bei der Zusammenstellung des neuen Verwaltungsrates Hand in Hand zusammengearbeitet.
Wie haben Sie Ihr Beiseitestehen erlebt, derweil John Bowmer an der Front war?
Während sechs Monaten habe ich im gleichen Büro gearbeitet wie John. Wir waren uns einig und entschlossen, den Fortgang unserer Geschäfte zu retten. Das, scheint mir, ist uns gelungen.
Dennoch: Ist Ihnen nie der Gedanke gekommen, der Verwaltungsrat könnte Sie über die Klinge springen lassen, um die Wogen zu glätten?
Ich war nicht an allen Sitzungen. Ich denke aber, dass seine Sorgen woanders lagen.
Haben Sie während der Krise nie gezweifelt und sich gefragt, ob Sie am richtigen Platz seien?
Im Laufe einer Karriere durchlebt jeder Mensch Höhen und Tiefen. Damals erlebte ich diese Höhen und Tiefen zum Teil in derselben halben Stunde. Ich musste mich psychisch und physisch fit halten, um ein Burn-out zu verhindern: Ich bin joggen gegangen und habe viel Zeit mit meiner Familie verbracht.