Wer Zürcher Szenegänger nach Erlebnissen aus dem Nachtleben fragt, hat schnell ein stimmiges Bild zusammen. In den edleren Etablissements der Innenstadt, wie «Carlton», «Amber», «Indochine», «Icon» oder «Valzer», wo sich die Gutgekleideten aufhalten, läuft das gegenseitige Sichkennenlernen meistens nach dem gleichen Schema ab. «Zuerst fragt mich eine nach dem Namen, dann will sie gleich wissen, was ich arbeite», sagt ein 33-jähriger Anwalt in Jeans und Sakko, der klassischen Ausgehuniform. Man könne «regelrecht hören, wie die Frage nach dem Kontostand als Grundrauschen mitschwingt». Sein Freund berichtet, oft würden sich «die Gesichter schon verschliessen, wenn man keine Grossbank als Arbeitgeber nennt». Ergebnis der Feldstudie: Das Abtasten der Männer im Zürcher Ausgang vollzieht sich im Wesentlichen nach kaufmännischen Kriterien.

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Kurztrip nach Paris. Da ist es nur folgerichtig, dass Carl «Carli» Hirschmann besonders intensives Interesse zuteil wird. Die Familie gehört zu den reichsten der Schweiz, er sieht gut aus, zieht sich gut an, in seinem Club an der Bahnhofstrasse verkehrten Paris Hilton und Rap-Star 50 Cent. Wer im «Saint Germain» schon einmal beobachten konnte, wie sich die Mädchen um die Theke scharen – insbesondere in Hirschmanns Anwesenheit –, kann sich vorstellen, dass viele allein schon wegen der Aussicht auf Mitgliedkarte und Freigetränke zu diversen Verrenkungen bereit sind. Eine Suite im Nobelhotel Dolder oder der Kurztrip per Privatjet nach Paris zum Mittagessen – das ist auch für Schweizer Ex-Missen und Cervelat-Models die grosse Welt. Wer hätte die nicht gern.

Es soll keine von Hirschmanns Verfehlungen – so es sie gegeben hat, es gilt die Unschuldsvermutung – beschönigt werden. Aber wer Hirschmanns Nähe gesucht hat, in seinem Platinum Room verkehrte, dem steht die reine Opferrolle nicht. Selbst dem Zürcher «Tages-Anzeiger», der entsprechende Hinweise auf die Anziehungskraft Hirschmanns als «Umkehrung von Opfer- und Täterrolle» rüffelte, bleibt nur der hilflose Appell, dass es «nicht dem Bild einer eigenständigen, selbstbewussten Frau» entspreche, sich «in der Hoffnung auf ein aufregenderes Leben auf einen steinreichen Mann einzulassen». Dem feministischen Wunschbild vielleicht nicht – aber oft genug der Realität.

Erkannt hatte das bereits Carlis Grossvater, Carl Hirschmann senior, Gründer der Jet Aviation und damit des Familienvermögens. Ihm und dessen Söhnen verdankt es Carli Hirschmann, dass er so viel zu bieten hat. 1944, mit gerade 24 Jahren, lernte der Senior fliegen. Kaum reichte das Geld, legte er sich eine P51 Mustang zu, eine einmotorige Jagdmaschine mit grosser Reichweite. Damit brachte er die Präzisionswerkzeuge seiner Firma zu den Kunden – zu vielen Flugzeugbauern, die alle eigene Landebahnen beim Werkgelände hatten. Brachte er die Bestellungen mit seinem Spassflieger hin, konnte er die Lieferzeiten enorm verkürzen.

Diversifikation. In den USA begannen Hirschmanns Geschäfte zu prosperieren, obwohl er selbst Anfang der fünfziger Jahre in die Schweiz zurückkehrte. Er expandierte in den Handel, etwa im Fernen Osten, startete Firmen in der Transport-, Tourismus-, und Immobilienbranche, dazu gründete er eine Safari-Clubanlage in Kenia und eine Privatbank.

Mitte der sechziger Jahre betraten vier ehemalige Generäle der US Air Force Hirschmanns Büro. Sie wollten mit ihrer amerikanischen Flugcharterfirma Executive Jet Aviation in die Schweiz kommen und brauchten einen hiesigen Partner. Man tat sich zusammen: Die Generäle brachten vier Learjets nach Genf und kümmerten sich um den Flugbetrieb, Hirschmann besorgte Wartung und Bodendienste. Als 1967 die Basler Globe Air pleite ging, übernahm Hirschmann die Hangars und den stellvertretenden Technikchef Elie Zelouf, bis heute eine Schlüsselfigur bei Jet Aviation. In den Ruhestand ging Zelouf erst im Februar dieses Jahres – mit 75, zwei Tage die Woche arbeitet er weiterhin als Berater. Besagte Übernahme in Basel markierte die Gründung von Jet Aviation.

Der Industrielle Dieter Bührle öffnete Hirschmann die Türen zur Übernahme der Wartungsbetriebe des Flugzeugbauers Pilatus in Genf und Zürich. Die stark wachsende Flugbranche brauchte Wartungskapazitäten, wie der Gründer früh erkannte; Kapazitäten, welche die Flugzeughersteller nicht selbst bereitstellen wollten. Diese lukrative Lücke füllte Hirschmann.

Familienzwist. Ende der sechziger Jahre schickte Carl Hirschmann seinen gleichnamigen Sohn Carl junior, den Ältesten der drei Brüder, in die USA: Jet Aviation sollte künftig auch Charterflüge anbieten und Flugzeuge von Kunden managen. Carl junior studierte die Organisation des Marktführers Executive Air Fleet, nach dieser Blaupause wurde Jet Aviation aufgebaut. Das Wachstum gewann an Fahrt, die anderen Betriebe, die Hirschmann in den frühen Jahren gegründet hatte, wurden abgestossen. Bei Jet Aviation kam 1975 die erste Auslandbasis in Düsseldorf hinzu, 1979 die zweite im saudi-arabischen Jeddah. Hier flossen inzwischen die Petrodollars in Strömen, nachdem die Ölpreise Mitte der siebziger Jahre abgehoben hatten. Das wollten nun auch die Scheichs: abheben, samt ihren Grossfamilien, am liebsten in eigenen Fliegern.

Es ist ein «People’s Business», das Hirschmann betrieb. Persönliche Kontakte und Vertrauen schaffen. «Er konnte sehr gut mit Menschen umgehen», sagte Carl junior später einmal über seinen Vater. Der kaufte der asiatischen Cathay Pacific eine vierstrahlige Convair 880 ab, baute in Basel den Innenraum um und stellte sie 1977 an der Pariser Luftfahrtmesse aus, später vercharterte er sie. Das neue Geschäftsmodell startete durch. Hirschmann konnte teilweise exorbitante Preise durchsetzen, Jet Aviation etablierte sich als verschwiegener, auf Kundenwünsche fokussierter Dienstleister, baute Jets für Könige, Präsidenten und reiche Russen um und wurde Marktführer in diesem exklusiven Business. Der Standort in der neutralen Schweiz ist sicher kein Nachteil.

Anfang der achtziger Jahre, in Basel betrieb Hirschmanns Hangar bereits eine eigene Schreinerei, eine Metallbau- und eine Polsterwerkstatt, übernahm er von der Lufthansa fünf gebrauchte Boeing 727. Nach und nach baute Jet Aviation die Maschinen um, die Käufer warteten bereits ungeduldig. Eine Maschine verkaufte er, samt Innenausbau, dem australischen Immobilientycoon Alan Bond bei einem Abendessen. Um den Kaufvertrag über die 727 niederzuschreiben, liess sich Hirschmann eine Papierserviette bringen.

Als Nachfolger setzte Hirschmann auf Carl junior. Aber die beiden, zwei starke Charaktere, zerstritten sich. Wie berichtet wird, ging es um mehrere, aber wenig bedeutende Anlässe. Als der Vater seinen Erstgeborenen aus der Firma warf, stornierte der Sultan von Brunei, ein Freund von Carl junior, einen Grossauftrag. Ein Familienstreit begann, der zur Legende wurde. Um die Firma dem Zugriff der Familie zu entziehen, legte Vater Hirschmann die Anteile in einer Stiftung in Zug ab. Sohn Thomas wurde später Firmenchef. Der dritte Sohn, Gregor, hält sich bis heute fern vom Family Business. Unter dem Senior dürfte es für die Kinder hart gewesen sein: Einerseits war er ein visionärer und erfolgreicher Unternehmer, dem viele Mitarbeiter jahrzehntelang die Treue hielten, teilweise noch heute bei Jet Aviation arbeiten. Andererseits galt er als schwieriger Charakter, mit einem Hang zu Herrschsucht und Rücksichtslosigkeit, zudem als Frauenheld: Insider berichten, er habe bisweilen sogar versucht, seinen Söhnen die Freundinnen auszuspannen. Beide, Carl junior und Thomas, gelten als fähige Aviatiker, aber die Härte des Patriarchen soll ihnen zu schaffen gemacht haben.

Die Stiftungslösung blockierte nicht nur einen Verkauf, mit dem der Streit hätte aufgelöst werden können, sondern auch unternehmerische Entscheidungen. Der Clan kämpfte jahrelang darum, die Firma wieder aus der Stiftung herauszulösen. 2001 gab die Aufsicht schliesslich grünes Licht. Im Folgejahr wurde die Bank Goldman Sachs beauftragt, einen Käufer zu finden, zu einem Kaufpreis leicht unter 500 Millionen Dollar. Es misslang, obwohl der Preis, verglichen mit Umsatz und Betriebsgewinn, nicht überteuert schien. Allerdings drückte die Wirtschaftsflaute, kurz nach dem Börsencrash, auf die Kauflaune.

Kluger Stratege. Im Nachhinein war das ein Glück für die Familie. Die Private-Equity-Firma Permira, schon länger scharf auf Jet Aviation, bekam Mitte 2005 den Zuschlag: Die Firma mit inzwischen 3500 Mitarbeitern und rund 800 Millionen Franken Umsatz ging an Permira, die Familie stieg aus – zu besseren Konditionen, als sie 2002 hätte erzielen können. Die ganze Familie? Nein, Carl W. Hirschmann junior erwies sich als kluger Stratege. Er selbst blieb investiert und als Vizepräsident im Verwaltungsrat, amtierte interimistisch sogar einige Zeit als CEO. An die anderen Familienmitglieder überwies Permira rund 800 Millionen. Mit diesem Befreiungsschlag glätteten sich auch die verbliebenen Wogen des Familienzwists.

Carl W. Hirschmann profitierte vom Wertsteigerungsprogramm und von den organisatorischen Säuberungen, die Permira dem Unternehmen verordnete: neues Topmanagement, schlankere Strukturen sowie Zukäufe, um die Präsenz in wichtigen Märkten wie den USA zu stärken. Jet Aviation wuchs auf 5600 Beschäftigte und 1,5 Milliarden Umsatz. Genauso abrupt, wie der Einstieg von Permira kam, erfolgte nach drei Jahren der Ausstieg: Jet Aviation ging für 2,45 Milliarden Franken an den US-Multi General Dynamics, der unter anderem die Gulfstream-Geschäftsflieger baut – ein sicherer Hafen. Auch Carl W. Hirschmann stieg nun, mit einem ansehnlichen Gewinn, endgültig aus.

Ruhe Eingekehrt. Die Familie trennte sich vom Unternehmen, und auch umgekehrt fand die Emanzipation statt. Keiner bei Jet Aviation will sich noch zur Familie äussern, schon gar nicht zum Gründerenkel Carli. Die Brüder Carl junior und Thomas leben heute teilweise in London und verwalten diskret ihre Vermögen. Der dritte Bruder, Gregor, der mehrere technische Patente hält, löst gerade seine Beratungsfirma Achil.net in Zürich auf, auch er ist in England, in Leatherhead nahe London, gemeldet. Dennoch dürfte für die drei, genau wie für die hochbetagte Mutter Rita und die beiden Schwestern Christine und Joan, der Familiensitz in Küsnacht weiterhin Fixpunkt sein. Zudem sind sie in der gemeinnützigen Hirschmann-Stiftung in Zug engagiert, die heute Bildungs- und soziale Projekte unterstützt.

Insofern ist in der jahrelang unsteten Familie heute Ruhe eingekehrt. Wenn man davon absieht, dass Carli Hirschmann nun der Staatsanwalt im Nacken sitzt.