In Zeiten, in denen Politiker über Rentenreformen streiten und – möglicherweise etwas vorschnell – zur familiären Vermehrung aufrufen, dient diese Geschichte zum gedanklichen Innehalten. Familien zu gründen, ist das eine. Familien ertragen zu können, das andere.

Wer vermag dies besser zu veranschaulichen als die Hirschmanns? Drei Söhne, zwei Töchter und eine Witwe hinterliess der Gründer der Firma Jet Aviation, als er Ende April 1995 das Zeitliche segnete. Für die ganzseitige, von ihm selber aufgesetzte Todesanzeige im «Wall Street Journal» hatte der Patriarch Carl Hirschmann senior zuvor in eigener Sache sinniert: «I do not choose to be a common man» («Ich möchte kein gewöhnlicher Mann sein»).

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Die Nachkommenschaft muss dies irgendwie falsch verstanden haben. Sie gebärdet sich bis heute wie toll, ist zerstritten und gefährdet hartnäckig ihr Kronjuwel, den profitablen, einzigen global tätigen Dienstleister für Geschäftsreisen, die Jet Aviation.

Warum nur?

Angefangen bei einem undurchsichtigen Abbruch von mehrmonatigen Verkaufsverhandlungen Ende Januar dieses Jahres (siehe Box «Ausser Spesen nichts gewesen» auf Seite 61), führt die Fami-liensaga zielstrebig hin auf den Kulmi-nationspunkt, den 19. Mai 2003.

An diesem Tag trifft sich im neuen Verwaltungsgebäude der Jet Aviation am Flughafen Basel-Mülhausen der gesamte Verwaltungsrat der Hirschmann Industrial Holding zu einer ausserordentlichen Sitzung. Die Holding ist die Muttergesellschaft der Jet Aviation und befindet sich im Besitz der Familie Hirschmann (siehe Grafik «Beteiligungsverhältnisse» auf Seite 61). Wichtiges steht an.

Der bis dato sechsköpfige Verwaltungsrat, den seit bald sechs Wochen der Basler Crossair-Gründer Moritz Suter präsidiert, schliesst an jenem 19. Mai hinter sich die Tür. Danach ist alles anders. Der 62-jährige Suter, von der versammelten Schweizer Presse in den Wochen zuvor als «Comebacker» des Jahres gefeiert, ist nach der Sitzung nicht mehr Präsident des Verwaltungsrates (siehe Box «Stippvisite» auf Seite 63). Doch damit nicht genug: Der Basler Profiverwaltungsrat Hans Löliger kehrt dem Gremium aufgebracht den Rücken, und der CEO Thomas Hirsch- mann wird kurzerhand gefeuert.

Keine zwei Monate zuvor hatte sich Thomas Hirschmann zu Gunsten von Moritz Suter vom leitenden Verwaltungsratsposten zurückgezogen. Der zweitjüngste der Hirschmann-Brüder hatte sich auf die Position des Geschäftsführers bei der Jet Aviation konzentriert, einen Posten, den er bereits während rund 13 Jahren innegehabt hatte. In Basel rückt nun für Suter im Verwaltungsrat die Nachwuchshoffnung Rita Hirschmann (79), Witwe von Carl Hirschmann senior, auf den Präsidialstuhl nach. Der bisherige COO Europe, Middle and Far East der Jet Aviation, der Unternehmensveteran Heinz Köhli, ersetzt Thomas Hirschmann als CEO.

Was ist geschehen?

Moritz Suter will sich dazu partout nicht äussern. «Ich sage nichts», so er. Thomas Hirschmann, seit langem in Palm Beach in Florida lebend, schweigt. Weitere Familienmitglieder – Rita Hirschmann, die meist an der Côte d’Azur lebt, oder Carl W. Hirschmann junior, der abwechselnd in Küsnacht und am Suvretta-Hang in St. Moritz wohnt – lassen auf sämtliche Anfragen ausrichten, dass sie sich nicht zitieren lassen wollen.

Dennoch fügt sich nach vielen Gesprächen ein Puzzleteilchen zum anderen und lässt ein verblüffendes Bild entstehen.

Am 19. Mai ereignete sich im Verwaltungsrat der Hirschmann Industrial Holding nicht eine kleine Rochade, sondern ein familieninterner Putsch, ausgeführt durch die Anwaltskanzlei Gauweiler, Bub & Partner in München. Doch auch diese sagt dazu nichts. Und ignoriert eine per Fax übermittelte Frageliste.

Dazu haben die Anwälte allen Grund. Die bayrischen Amigos mit dem illustren CSU-Kämpen Peter Gauweiler an der Spitze besetzen nach dem Umsturz zu Basel zwei der vier Verwaltungsratssitze: einmal durch Gauweiler selber und dann durch dessen Kanzlei-Sozi Wolfgang-Rüdiger Bub. Den dritten Platz nimmt Karl J. «Karli» Dersch aus München ein. Die Ziehsöhne von CSU-Urgestein Franz-Josef Strauss sind unter sich und bei der Hirschmann Holding im Geschäft – ein altes Erbe der
dicken Freundschaft zwischen dem 1988 verstorbenen Franz-Josef Strauss und dem Hirschmann-Patriarchen Carl senior.

Peter Gauweiler brachte es einst bis zum Staatssekretär im bayrischen Innenministerium (1986) und später gar zum Staatsminister für Landesentwicklung und Umwelt (1990). 1993 buhlte er für die CSU bis fast zuletzt erfolgreich um den Posten des Münchner Oberbürgermeisters, verhedderte sich aber im Finish in einer Affäre, die ihn den Wahlsieg kostete.

In derselben Zeit, im München Franz-Josef Strauss’, galt Karl Dersch bei Daimler-Benz als Marketing-Grossmeister. Dersch spann seine Netze fein und katapultierte Daimler am bayrischen Heimatgut BMW vorbei an die regionale Verkaufsspitze. Von der CSU stets gestützt, schaffte er es bis in den Vorstand der Deutschen Aerospace (Dasa), wo er für Marketing und internationale Beziehungen zuständig war. Im März 1992 wurde er Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Luftfahrt-, Raumfahrt- und Abrüstungsindustrie (BDLI). Bereits im Dezember darauf jedoch erlitt Derschs Karriere einen Knick. Der Bayer stolperte über einen seltsamen Skandal: Er hatte im Garten seiner Villa im Münchner Nobelvorort Solln die alte «Reichskriegsflagge» gehisst. Dersch trat von seinen Ämtern zurück.

Alles Vergangenheit. Heute treffen sich die Münchner Freunde und Strauss-Spezis bisweilen in Basel oder Zürich im Verwaltungsrat der Hirschmann Holding wieder. Der kleine Kreis hat alles andere als ein vertieftes Branchenwissen vorzuweisen. Komplettiert wird die überschaubare Runde durch die Witwe Rita Hirschmann, die Letzte aus der Familie, die im obersten Kontrollgremium Einsitz nimmt. Theoretisch ist sie auch die Einzige, die Entscheidungsbefugnis hat. Ihr gehören zehn Prozent an der Holding. Ausserdem kontrolliert sie seit dem Hinschied ihres Mannes weitere 40 Prozent über einen Privat-Trust. Theoretisch. In der Praxis sieht dies spätestens seit Januar dieses Jahres anders aus.

Da der Münchner Anwalt Peter Gauweiler bei Rita Hirschmann eine Generalvollmacht über genau diese 40 Prozent erwirkt hat, haben sich die Kräfteverhältnisse verschoben. Zusammen mit den zehn Prozent von Rita Hirschmann sind die Münchner nur noch ein Komma von der Stimmenmehrheit entfernt.

Alte Rechnungen

An diesem Punkt kommt Carl W. Hirschmann junior, der älteste Sohn der Familie, wie gerufen. Carl junior hat am 19. Mai in Basel mit seiner Zehn-Prozent-Beteiligung die Stimmenmehrheit realisiert. Er selber will sich dazu nicht äussern. Nur so viel vermag ihm eine schriftliche Anfrage dazu zu entlocken: «Der guten Ordnung halber weise ich Sie darauf hin, dass keine der von Ihnen in Ihrem Schreiben zitierten Informationen zutrifft.»

Recherchen haben indes ergeben, dass sich das Münchner Anwaltsbüro
einen alten, jüngst wieder aufgebrochenen Familienstreit sehr wohl zu Nutze gemacht hat. Für einige der befragten Insider scheint es klar, dass sich die Münchner mit der einen Fraktion in der Familie verbündet haben.

Die Front läuft quer durch den Clan. Auf der einen Seite stehen Carl W.
junior, seine Schwester Christine Sass, Mutter Rita Hirschmann und besagtes Anwaltsbüro aus München.

Auf der anderen Seite versammeln sich um Thomas Hirschmann der jüngste Bruder, Gregor Hirschmann, sowie die Schwester Joan Frey. Sie bilden die Stimmenminderheit.

Die Aufstellung lässt sich eindampfen auf eine alte Auseindersetzung zwischen Carl junior und Thomas Hirschmann. Die skurrile Feindschaft zwischen den Brüdern reicht bis in die frühen Achtzigerjahre zurück. Das kam so: 1983 hatte Carl senior eines Tages seinen Firmenchauffeur gerufen, weil er nach Baden-Baden zu reisen gedachte. Doch der Fahrer war bereits nach Nizza unterwegs, um der Gemahlin von Carl junior den Wagen zu überbringen. Der versetzte Vater gab sich «uncommon» und stellte den Junior flugs vor die Tür.

Thomas Hirschmann rückte daraufhin in den Status des Kronprinzen, den Carl junior fortan und über den Tod des Seniors hinaus zu bekämpfen trachtete. Staunend nahmen die Chronisten in der Folge zur Kenntnis, wie Carl junior den eigenen Vater und dessen Geschäftsführer Thomas in Zug wegen Steuerhinterziehung einklagte – und Recht erhielt. 48,3 Millionen Franken an Strafe sollte dies die Familie kosten. Acht Jahre lang bezahlte sie die Schuld an den Zuger Fiskus ab.

Grössere Schuld(en) als gedacht

Das zähe Ringen um das Begleichen von alten Rechnungen hat gegen aussen hin in den letzten zwei Jahrzehnten das Bild entstehen lassen, dass in dieser besonders netten Familie fünf weisse und ein schwarzes Schaf (Carl junior) am Werke seien. Doch das Fallbeil der Moral senkt sich hier zu geschwind. Die Rechnungen sind allüberall umfangreicher als gedacht. Die Wahrheit, die am 19. Mai 2003 in Basel mitgespielt hat, ist wie so oft komplizierter.

In all den Jahren haben sich praktisch alle Familienmitglieder privat verschuldet. Sie wollten offenbar nicht auf einen gehobeneren Lebensstandard verzichten – obwohl sie wegen der Steuerstrafe lange Zeit keine oder nur kleine Dividenden von der unter Thomas Hirschmann schnell wachsenden Jet Aviation beziehen konnten.

Die Ansprüche lassen sich beziffern: Alleine Mutter Rita Hirschmanns Ländereien, Häuser und die ständig bemannte Jacht «Blue Shadow» verschlingen jährlich Unterhaltskosten von geschätzten drei bis vier Millionen Franken. Da hilft es nicht, sich zum Trost auf einer schmucken Hacienda in Südspanien ausruhen zu dürfen, zu der gemäss Augenzeugen ein Umland von der halben Grösse des Kantons Zürich gehört. Auch das kostet.

Beim Geld und in der Schuldentilgung liege, so ein Freund der Familie, der wahre Grund für den Putsch zu Basel. Insider bestätigen dies. Ein weiteres Indiz spricht dafür: Einige Tage vor der entscheidenden Sitzung hatte der kurzzeitige Verwaltungsratspräsident Moritz Suter einen Brief an die Aktionäre versandt. Darin skizzierte er das Dilemma der Familie Hirschmann und damit auch der Firma Jet Aviation: Entweder die Familienmitglieder würden sich wie geplant eine Sonderdividende in der Höhe von über 60 Millionen Franken aus ihrem Unternehmen auszahlen lassen und setzten dieses und 3500 Angestellte einem erhöhten Risiko aus.

Oder aber die Familie übte sich in Demut, sodass eine vorhandene Kriegskasse für Akquisitionen und damit für die Zukunft der Jet Aviation genutzt werden könnte. Naturgemäss setzte sich Crossair-Gründer und Vollblutunternehmer Moritz Suter für Letzteres ein.

Die Reaktion auf Suters Schreiben lässt sich am Ergebnis der Basler Sitzung ablesen. Ein Teil der Familie hat sich entschieden. Ebenfalls klarer erscheint nun, wohin die Flugreise des Unternehmens führen wird. Da eine veräusserungswillige Fraktion das Sagen und gleichzeitig Geldgelüste hat, darf in Bälde mit einer Wiederaufnahme der Verkaufsverhandlungen gerechnet werden. Das wäre logisch. Lediglich mit starkem finanziellem Anschub dürfte die Jet Aviation ihre ausserordentlich gute Ausgangslage im Markt zu nutzen vermögen. Nur durch Verkauf – darin sind sich die Branchenbeobachter einig – kann die Jet Aviation die kritische Grösse von einer Milliarde Dollar Jahresumsatz durchstossen.

Unglücklich ist, dass sich die Preise in der Branche seit einiger Zeit im Sinkflug befinden. Im Januar 2003 noch hätte die Hirschmann Holding für ihre Jet Aviation mehr als eine halbe Milliarde Franken lösen können. Geradezu absurd mutet im Rückblick an, dass die Holding die Verkaufsverhandlungen beendete, weil die Familienmitglieder nach ihrem Dafürhalten für Jet Aviation zu wenig Entgelt gekriegt hätten. Das letzte Gebot des deutschen Venture-Capital-Unternehmens Permira lag nicht bei der ersehnten Milliarde Franken. Das war den Hirschmanns damals definitiv zu «common». Denn simpel gewöhnlich will in diesem Clan bekanntlich keiner sein.

Bruno Affentranger
Redaktor BILANZ,
bruno.affentranger@bilanz.ch