Als die Swissair noch am Leben war, herrschte Hans Jörg Hunziker über 200 Flugzeuge. Flightlease-CEO Hunziker vermietete die weltweit drittgrösste Flotte von Passagiermaschinen. Das war 1998, und auf dem Balsberg in Zürich-Kloten waberten Philippe Bruggissers Wachstumsfantasien durch die Korridore. Statt Kapital durch Eigentum zu binden, folgte die Swissair dem Motto «Nur leasen ist schöner», und so mietete die SAirGroup ihre Flieger von der Tochter Flightlease. Als die Swissair implodierte, war auch die Flightlease am Ende. An ihr hatte es nicht gelegen.
Im Balsberg, sagt Hunziker, hat er «schöne Jahre verbracht, und am Schluss brutal schmerzhafte Zeiten». Sein neuer Schreibtisch im Balsberg ist sein alter – hier sass er schon als Finanzchef der SAirServices. Sein späteres Flightlease-Büro liegt gegenüber.
Heute liegt Hunzikers Flottenstärke bei null. Deprimiert wirkt er trotzdem nicht. Die kahlen Tische mit Aktenstapeln bepackt, tüftelt er am Abheben einer neuen Generation von Airline: JetBird will mit einer Flotte von 100 Ultraleicht-Jets ganz Europa mit Punkt-zu-Punkt-Verbindungen zudecken, die «on demand» geflogen werden. Das heisst, ein Kunde ordert den Flug via Internet. Die Einsatzzentrale errechnet zügig einen Preis und stellt dem Kunden online ein Angebot. In Europa kommen über 800 Landeplätze in Frage, eine Piste von einem Kilometer Länge genügt. Mehr braucht die Embraer Phenom 100 nicht.
Dennoch ist dieser Very Light Jet (VLJ) so etwas wie der Mercedes unter den Kleinen. Er fliegt schneller, die Kabine bietet mehr Raum als die Konkurrenzprodukte von Cessna, Eclipse oder Adam, und die Phenom sei «für intensiven Taxibetrieb ausgelegt», sagt Hunziker. Monatelang besichtigte er Flugzeugwerften und studierte Datenblätter. 50 Maschinen hat JetBird fest geordert und sich für weitere 50 Optionen gesichert. Diese Mammutbestellung dürfte JetBird einen zweistelligen Rabatt auf den Listenpreis (2,8 Millionen Dollar) gebracht haben. Hunziker schweigt dazu – nicht ohne darauf hinzuweisen, dass bei Businessjets Discounts «unüblich» sind. JetBird wird allerdings erst 2009 abheben: Früher kann Embraer nicht liefern, zunächst muss der Flieger gebaut werden und die Zulassung erhalten. Alles andere stünde bei JetBird bereit.
Die grosse Flotte soll Skaleneffekte produzieren. Und die werden notwendig sein, um rentabel zu fliegen. Denn die avisierten Preise haben es in sich. «Ganz grob etwa 2000 Euro pro Flugstunde», schätzt Hunziker. Damit wäre Fliegen im JetBird um die Hälfte billiger als bei der Konkurrenz. Referenzprodukt ist die Private Jet Card, die dem Inhaber ein Kontingent beim Branchenführer NetJets einräumt. Hier kostet eine Flugstunde mehr als 4500 Euro.
Zwar setzt NetJets grössere Maschinen ein; das Rechenbeispiel oben basiert auf einer Cessna Citation Bravo mit sieben Sitzen. Die Phenom hat nur vier Plätze. Allerdings sind in den seltensten Fällen alle Stühle besetzt, oft reisen nur ein oder zwei Manager zu einem Termin. Hunziker ist sicher: «Vier Sitze genügen völlig.» Sind die belegt, also der Preis durch vier teilbar, dann kann der Taxiflug merklich billiger kommen als das Business-Class-Ticket in einer Linienmaschine.
Um die Preise so weit zu drücken, will Hunziker eisenhart an der Kostenschraube drehen. Ausser Marketing, Verkauf und Pilotencorps soll alles ausgelagert und von Fremdanbietern eingekauft werden, «wie bei Ryanair», sagt Hunziker. JetBird beherzigt ein weiteres Prinzip, das der irische Low-Cost-Virtuose verinnerlicht hat: Nur in der Luft verdient der Flieger Geld. Laut einer Studie der Flugsicherungsbehörde Eurocontrol fliegen Privateigentümer bis zu 250 Stunden pro Jahr, Konzerne nutzen ihre Firmenjets maximal 600 Stunden. Hunziker will seine Jets 1500 Stunden jährlich beschäftigen. Zudem können Piloten keine Swissair-Saläre erwarten. Ein Co-Pilot darf auf 70 000 Franken hoffen, ein Captain bekommt 50 Prozent mehr. Das liegt immerhin über den Gehältern, die Helvetic zahlt. Hunziker möchte Swiss-Piloten rekrutieren, die mit 57 aufhören müssen. «Die könnten bei uns bis 65 fliegen», sagt er, «und sich etwas zu ihrer Pension dazuverdienen.»
Als Startrampe ist die Schweiz ideal. Genf und Zürich gehören zu den meistbeschäftigten Business-Destinationen in Europa – dafür sorgen die Reichen und Reichsten der Schweiz sowie die weltweit verstreute Kundschaft der beliebten Vermögensverwalter. Später will Hunziker «Satelliten-Hubs» einrichten. Dafür kämen die Grossräume München, Frankfurt, London, Paris und Mailand in Frage.
Das Management hält ein Fünftel der Aktien, auch Hunziker hat eine kleine Beteiligung erworben. Vier Fünftel gehören Claret Capital. Dieses Investmenthaus mit Sitz in Dublin fungiert vor allem als Family Office für einige schwerreiche irische Familien; die verwalteten Vermögenswerte liegen nördlich von 450 Millionen Franken. In Zeitungen, Fernsehkanäle und Immobilien hat Claret Capital ihr Geld gesteckt.
Der Mann hinter Claret heisst Domhnal Slattery. Er ist Chairman und Managing Partner. Slattery, Anfang 40, hat eine Turbokarriere hinter sich. Mit 22 fing er in der Poststelle der irischen Leasingfirma GPA an. Dort inhalierte er das angelsächsische Kapitalisten-Prinzip «Alles ist erreichbar». Er machte seine eigene Flugzeugleasing-Firma auf und verkaufte sie 2001 an die Royal Bank of Scotland, für geschätzte 40 Millionen Franken. Drei Jahre blieb er bei der stürmisch expandierenden Grossbank. Mit JetBird dreht er nun selbst ein grosses Rad: Slattery, staunte der Londoner «Evening Standard», «legt sich mit NetJets an». Diese Unternehmung gehört dem zweitreichsten Mann der Welt, Warren Buffett.
Auch Hunziker hatte sich nach dem Grounding ein eigenes Business aufgebaut. Sein Betriebskapital nahm er mit, ganz legal: das Expertenwissen im komplexen Geschäft der Flugzeugfinanzierung – und die Kontakte. Im Sommer 2002 gründete er seine Firma Hunziker Lease & Finance (HLF). Er fungierte als Berater bei Leasingverträgen, beschaffte kleineren und unerfahrenen Start-up-Airlines Flugzeuge und Triebwerke.
Slattery war in den neunziger Jahren als Berater bei der Swissair. Aus dieser Zeit kannte man sich, und Anfang September 2005 trafen sich die beiden im Zürcher «Lindenhof-Keller» – zwei Leasing-Spezialisten auf der Suche nach Geschäftsideen. Am Ende war es Hunziker, der innert vier Wochen einen Businessplan aufsetzte. Im November 2005 liess er in Zug eine Firma namens Euromax registrieren, die sich im März dieses Jahres in JetBird umtaufte.
Vor drei Wochen ist Conrado Dornier, Nachkomme der deutschen Luftfahrt-Industriellenfamilie Dornier, bei JetBird eingestiegen. Laut Slattery werden 45 Millionen Dollar für die ersten drei Jahre Flugbetrieb ausreichen, also bis 2012. Die Claret-Investoren haben JetBird 60 Millionen zugesagt. Die Gewinnschwelle will Slattery 2011 überqueren, drei Jahre später soll das Vögelchen an die Börsen fliegen.
Bis der erste Flieger abhebt, hat Hunziker Zeit, den US-Vorbildern über die Schulter zu schauen. Während JetBird in Europa der erste Taxiflieger sein wird, gibt es in den USA bereits Point2Point oder SATSair, in Kürze gehen DayJet, Magnum Jet, Pogo und andere an den Start. Magnum aus Houston hat mehr als 200 Flieger geordert. DayJet mit Sitz im noblen Urlaubsort Boca Raton lässt sich sogar 240 Flugzeuge bauen. Gründer Ed Iacobucci, der mit IT reich geworden ist, setzt das Taxikonzept am radikalsten und risikoreichsten um: Er will DayJet-Kunden nicht den ganzen Jet, sondern nur einen Sitz vermieten. Möglichst sollen mehrere fliegen und getrennt bezahlen.
Bei so viel Anschauungsmaterial dürfen Hunziker und Slattery von einer steilen Lernkurve ausgehen. Es hat eine gewisse Ironie, dass diese neuartige Airline ausgerechnet im Balsberg entsteht. Vielleicht passt sie aber gerade hier gut hin: Nachdem der Grounding-Sturm fürchterlichen Flurschaden angerichtet hat, «beginnen neue Bäumchen zu wachsen», sagt Hunziker. Inspiriert von der Nähe zum Flughafen, haben sich im Balsberg zahlreiche Start-ups angesiedelt. Hans Jörg Hunziker, mit seinen 56 Jahren Luftfahrtveteran, strickt an einem davon.