Sie sind prädestiniert für einen Blick über den Gartenzaun von beiden Seiten: Sind die vielbemühten Kulturunterschiede zwischen Deutschen und Schweizern wirklich so gross?

Jochen Kienbaum: Sicher gibt es aus der Tradition und aus der Kulturentwicklung heraus Unterschiede. Insbesondere in der Art, wie man miteinander umgeht: Die Schweizer sind beispielsweise im Vorfeld von Entscheidungen mehr auf Konsens und Kompromisse bedacht als die Deutschen. Diese neigen dazu, schneller zu entscheiden und den Konsens dann später herbeizuführen. In vielem sind sich die beiden jedoch sehr ähnlich: Beide sind sehr präzise, auf Perfektion bedacht, genau und pünktlich.

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Deutsche Top-Manager wie der Swiss-Chef Christoph Franz oder der CS-Chef Oswald Grübel sind in der Schweiz tätig. Andererseits sind Schweizer Manager wie Joe Ackermann von der Deutschen Bank oder Roger Schawinski von Sat.1 in Deutschland mehr oder minder erfolgreich. Was befähigt diese Leute, in der jeweils anderen Kultur Erfolg zu haben?

Kienbaum: Sie bringen die Kompetenzen mit aus ihrer Branche, und sie wirken ja auch nicht allzu fremdländisch ...

Also nicht der Reiz des Exotischen?

Kienbaum: Kaum. Sie führen ähnlich wie in ihren Ländern, also teamorientiert, und können das, was sie können, ohne Kulturrevolution umsetzen. Von da her gibts keine grossen Unterschiede.

Der Markt für fähige Führungskräfte in der Schweiz ist klein. Sollte somit mit einer verstärkten Zuwanderung von deutschen Managern gerechnet werden?

Kienbaum: Grundsätzlich schon. Das liegt auch daran, dass die Schweizer traditionell sehr offen sind, indem sie internationalen Managern Spielraum in ihren Firmen lassen. Das ist ein weiterer Unterschied zu Deutschland.

Die Schweizer sind offener als die Deutschen?

Kienbaum: Ja. Deutschland steht da erst am Anfang. Inzwischen kommen in den grossen Gesellschaften langsam mehr Impulse aus dem Ausland in die Vorstandsetagen. Aber immer noch zurückhaltender als in der Schweiz.

Mit anderen Worten: Ein deutscher Manager hat es leichter, einen Job in der Schweiz zu finden als umgekehrt.

Kienbaum: Ich denke schon.

Wenn Sie Stellen in Deutschland zu besetzen haben: Suchen Sie da auch konkret Schweizer?

Kienbaum: Ein Anforderungsprofil sieht selten so aus, dass in erster Priorität ein Schweizer gesucht wird. Aber wenn wir die Leute mit der entsprechenden Erfahrung aufspüren müssen, blicken wir ganz sicher auch über die Grenzen in Länder wie die Schweiz. Insbesondere, wenn Stellen im Banking oder den Versicherungen zu besetzen sind.

Auch schon in der ersten Auswahlrunde nicht erst, wenn im eigenen Land nichts Adäquates zu finden ist?

Kienbaum: Absolut.

Die Personalberatung in Deutschland zieht zurzeit sowieso massiv an. Woran liegts?

Kienbaum: In den Jahren seit 2001 war die wirtschaftliche Stimmung in Deutschland sehr schlecht. Besonders der Mittelstand hat sich gesundgespart, und zwar so weit, dass er beim Personal an eine Grenze gelangt ist. Deswegen wird jetzt wieder aufgebaut, werden wieder Investitionen ins Personal bis in die obersten Entscheidungsebenen getätigt. Bei vielen Firmen sind die Wachstumsraten nun wieder zweistellig.

Also geht es einerseits um einen Nachholbedarf, andererseits aber bestimmt auch um einen Generationenwechsel in den Chefetagen. In der Schweiz benötigen in den kommenden fünf Jahren rund 57000 Firmen einen Nachfolger.

Kienbaum: In Deutschland haben wir 400000 mittelständische Unternehmen, in denen das Nachfolgemanagement ansteht!

Und es gibt so viele fähige Leute, die die Nachfolge antreten können?

Kienbaum: Es gibt die Leute schon. Die Frage ist viel eher, ob die Angebote der Firmen attraktiv genug sind, um die Besten überhaupt zu locken. Denn diese wollen ein breites Spektrum von Faktoren befriedigt sehen, seien es unternehmerische Freiheiten, sei es eine attraktive Vergütung.

Zumindest in letzterem Bereich gibt es relativ grosse Unterschiede zwischen Deutschland und der Schweiz.

Kienbaum: Genau. Wenn Sie sich die CEO-Positionen anschauen, so verdienen diese Leute in der Schweiz rund das Doppelte der nächstunteren Ebene. In Deutschland lediglich etwa 50% mehr.

Die heutigen Hochschulabsolventen sind die Manager von morgen. Durch die Personenfreizügigkeit sind die Grenzen durchlässig geworden. Wie einfach ist es für Schweizer Hochschulabsolventen, in Deutschland einen Job zu finden?

Kienbaum: Wenn sie wollen, werden sie Jobs finden, denn international gut ausgebildete junge Leute werden händeringend gesucht. Die Schweiz hat eine Reihe von hervorragenden Universitäten, die in Deutschland einen guten Klang haben, wie zum Beispiel St. Gallen oder Zürich.

Durch die Internationalisierung der Arbeitsmärkte und die demografische Entwicklung wird es in vielen Branchen zu Engpässen hinsichtlich qualifizierter Nachwuchskräfte kommen. Wo fehlen gute Leute vor allem?

Kienbaum: Es kommen zu wenig Absolventen aus den technischen Universitäten, es fehlen überall Diplom-Ingenieure. Und in fünf bis zehn Jahren wird das Problem noch grösser sein. Weshalb dann zunehmend Ingenieure aus Asien, vornehmlich Indien, nach Europa kommen werden.

Was muss man heute lernen, um in fünf Jahren einen Job zu finden?

Kienbaum: Bei den ingenieurtechnischen Disziplinen wird man sich die Jobs quasi aussuchen können. Grundsätzlich sollte man sich jedoch auf eine Disziplin konzentrieren, die einen fasziniert. Und die vom Arbeitsmarkt gefragt ist. Dazu sollte man sich für Projektmanagement und Teammanagement interessieren, international orientiert sein sowie mehrere Sprachen sprechen und die entsprechenden Kulturen kennen.



Zur Person

Jochen Kienbaum, 58, hat nach der Bankausbildung Wirtschaftswissenschaften an der TU Berlin studiert und sich in internationalen Industriefirmen Praktika erworben. Von 1976 bis 1979 baute er die Kienbaum Berlin GmbH auf und leitete sie. Seit 1979 ist er geschäftsführender Gesellschafter der 1945 gegründeten Kienbaum-Unternehmensgruppe, seit 1986 Vorsitzender der Geschäftsführung. Jochen Kienbaum ist verheiratet, hat sechs Kinder und interessiert sich für moderne Kunst, Design, Architektur, Politik und Hand-ball.



Kienbaum Consultants International GmbH: Ein globales Netz von Beratungsgesellschaften

Die dieses Jahr ihr 60-Jahr-Jubiläum feiernde Kienbaum-Gruppe berät Unternehmen, Institutionen und Verbände in den Bereichen Executive Search sowie Human Resource Management inklusive Compensation Consulting, ist in der klassischen Managementberatung tätig und in allen wichtigen Wirtschaftszentren Europas präsent.

Unter den grössten Personalberatungen in Deutschland nimmt Kienbaum mit 43,5 Mio Euro Umsatz (2004) Rang 1 ein und ist im Human Resource Management Marktführer. Neben den 15 nationalen Standorten in Deutschland unterhält Kienbaum im europäischen Ausland eigene Beratungsgesellschaften in der Schweiz, in Frankreich, Grossbritannien, Luxemburg, Kroatien, den Niederlanden, Österreich, Polen, Russland, Südafrika, Ungarn, Thailand und Tschechien, ausserdem Vertretungen in Brasilien, Singapur und China sowie ein Partner-Netzwerk in Dänemark, Italien, Norwegen, Schweden, Spanien und den USA. Weltweit beschäftigt die Kienbaum Consultants International GmbH 460 Mitarbeitende. (hz)