Die Einstimmung auf den Besuch bei Jörg Beer ist filmreif: Die Büros des CEO von Fleurop liegen direkt über der Zürcher Blumenbörse. Durch ein Meer von Tulpen, Rosen, Orchideen und Lilien, vorbei an Palmen und exotischen Gewächsen, die eher an einen Botanischen Garten erinnern.
In Beers Büro dasselbe Bild: Grosse Blumenfotos schmücken die Wände, und ein eigenartiger Duft durchzieht den Raum. «Das sind die Geschmacksstäbchen», sagt er, darauf angesprochen. Die Bewegungen des sportlich wirkenden, gross gewachsenen «Blumenkönigs» sind rasch. Später ist zu erfahren, dass er mindestens zwei bis drei Marathon-Läufe pro Jahr bestreitet, fast jeden Tag joggt und seit zartester Jugend Unihockey spielt. Mit 16 war er bereits Präsident des Unihockey-Clubs Rot-Weiss Chur, der zwölfmal Schweizer Meister wurde.
«Als Bub wollte ich Sportlehrer werden», erzählt er. Bei Wind und Wetter tummelte er sich auf dem Tschutti-Platz in Chur, wo er zur Schule ging. Dass es trotz zahlreicher Engagements im Sport wie auch im Militär noch für ein HWV-Studium gereicht hat, ist für ihn «alles nur eine Frage der Organisation». Mit dem BWL-Fachausweis ist er sofort «ins Unterland ausgewandert», wie er seine Dislozierung nach Zürich bezeichnet. In der Hauptstadt Graubündens war das Stellenangebot zu wenig verlockend für den jungen Heisssporn, der sehr zielstrebig wirkt.
Nützliche Beziehungen
Schon an seiner ersten Stelle bei der Publicitas in Zürich, ehemals Orell Füssli Werbe AG, wurde er zum Departementsleiter und Mitglied der Geschäftsleitung. Man betraute ihn mit dem Grosskundengeschäft. Dazu zählten etwa die Zürcher Kantonalbank und die damalige Swissair. «Es war eine tolle Zeit, und ich konnte Beziehungen knüpfen, die mir später nützlich waren», sagt er.
Geprägt hat ihn seine Zeit als Leiter Sponsoring und Vermarktung des Schweizer Fernsehens DRS. Mit drei Mitarbeitern hat er begonnen, bei seinem Wechsel zu Fleurop waren es neun. In den fünf Jahren seiner Tätigkeit unter Peter Schellenberg stieg der Umsatz dieser Abteilung von 15 auf 23 Mio Fr. Dabei war dieses Arbeitsumfeld nicht unproblematisch: Sponsoring und Journalismus sind nicht wie Ross und Reiter. Das bekam Beer bald zu spüren. Fernseh-Moderatoren wollen sich nicht vor den Werbekarren von Unternehmen spannen lassen, umgekehrt sind Sponsoren keine Pestalozzis. «Wenn kommerzielle Interessen auf den Stolz von kreativen und künstlerisch veranlagten Menschen treffen, gibt es Konfliktebenen», räumt Beer ein.
Wenn alle dreinreden
Bei seiner Aufgabe, Mittel für das Unternehmen zu generieren, hätten so ungefähr alle dreingeredet – die Abteilungsleiter, die Journalisten, die Programmverantwortlichen und natürlich die Sponsoren selber. Es galt, mit Fingerspitzengefühl vorzugehen. Eine grosse Stütze sei ihm der damalige TV-Direktor Peter Schellenberg gewesen, der das Dilemma genau erkannt und ihn immer wieder ermuntert habe. Gleich bei seinem Eintritt in die Welt der Blumen machte Beer eine einfache Überschlagsrechnung, weil er mit der Zahl der Kunden nicht zufrieden war. «In der Schweiz gibt es etwa 5 Mio Leute im geschenkfähigen Alter. Wir haben 250000 Kunden. Da kann doch etwas nicht ganz stimmen, zumal die Markenbekanntheit von Fleurop traumhafte 90% überschreitet», sagte er sich und inszenierte eine gross angelegte Umfrage. Die Probanden wurden auf Herz und Nieren über ihr Verhältnis zu Blumengeschenken geprüft.
Was dabei herauskam, ist erstaunlich und wurde zur Richtschnur für den künftigen Marktauftritt von Fleurop: «Wer Blumen kauft oder eben nicht, muss offenbar verschiedene Barrieren überwinden. Da ist zunächst einmal die Angst, als fantasielos zu gelten. Quasi im Stil: Ich weiss nicht, was ich schenken soll, daher schenke ich Blumen. Hinzu kommt eine gewisse Verunsicherung. Was denkt sich wohl der mit Blumen Beschenkte? Geht eine Frau, die von einem Mann ein Bouquet bekommt, davon aus, dass er dies mit einem speziellen Hintergedanken macht?»
Ebenfalls in den Überlegungen der Befragten spielte die Tatsache eine Rolle, dass durch die starke Präsenz von Coop und Migros im Blumenverkauf diese Geschenkgattung banalisiert worden ist. «Salopp gesagt: Blumen sind von der Luxusware zu einem beinahe gewöhnlichen Artikel geworden – allerdings nach wie vor mit dem Unterschied, dass, wer eingeladen ist oder wer jemanden zu einem Geburtstag oder sonst einem besonderen Anlass überraschen will, eher nicht einen Strauss mit dem Einpackpapier eines Grossverteilers wählt», kommentiert Beer die dritte Barriere.
Als vierte stellte sich ein zu Unrecht zugedachtes Image heraus. Erstaunlich viele Befragte verbinden Fleurop eher mit einem blossen Logistiker für den Versand von Blumen. Was natürlich überhaupt nicht zutrifft, denn jeder Strauss wird vom Floristen individuell zusammengestellt und dem Empfänger oder der Empfängerin persönlich überbracht. Diese AG ist im Besitz von 430 Partnern, die ihrerseits dafür sorgen, dass die Aufträge am nächstmöglichen Ort des Beschenkten ausgeführt werden – mit Blumen aus ihrem Geschäft. Pro Jahr werden gut 308000 Aufträge in der Schweiz ausgeführt. «200000 Bestellungen kommen bereits per Internet herein», freut sich Beer.
Unkonventionelle Werbung
Aufgrund der Umfrageergebnisse machte sich der umtriebige Fleurop-CEO mit einer Werbeagentur aus Zürich daran, die Situation zu analysieren. «Wir wollten allen vier Hürden mit einem Streich den Wind aus den Segeln nehmen und setzten auf ‹Überraschung›. Blumen sollen eine Überraschung sein – immer und überall und nicht nur, wenn sie erwartet werden können», fasst Beer zusammen, was sofort mit einem Tag der Überraschung umgesetzt wurde. Angeschlossene Partnergeschäfte verteilten Blumen an Frauen und Männer, die nach dem Zufallsprinzip ausgewählt wurden.
Der Grundtyp des Beschenkten wurde festgelegt: Eine blonde Frau in einem Tram, eine Frau mit zwei Einkaufstaschen beim Shoppen oder ein Mann mit Aktenkoffer in einer Bank. Die Begründung, dass sich solche Prototypen rasch finden lassen, leuchtet ein. Daher wurde der Blumenstrauss mit einem Brief ausgerüstet, der auf diese Protagonisten abgestimmt war. «Der Erfolg war umwerfend, weil er quasi auf den Empfänger passte, passen musste», resümiert Beer den Einstieg in diese Kampagne, die mit Missen und Mister Schweiz, die mit Helikoptern zum Einsatzort transportiert wurden, aufgepeppt wurde.
Originell auch der nächste Streich. Muttertag (dieses Jahr am 13. Mai) stand vor der Tür und sollte einmal anders beworben werden: Mit dem Motto «Tag zum Verzeihen». Als Sujet wurden Jugenderinnerungen gewählt, wie sie vielen bekannt vorkommen. Kinder, die den Teller mit ungeliebten Speisen leer essen oder Kleider tragen mussten, die sie verabscheuten.
Mehrumsatz also nur dank kreativer Werbemassnahmen? «Sicher hilft uns derzeit auch, dass es den Leuten wieder besser geht und dass sie sich wieder den Luxus leisten, Blumen für sich und andere zu kaufen», vermutet Beer, lässt aber keine Zweifel darüber aufkommen, dass weitere Ideen in seinem Kopf herumspuken. Auch der jüngste Geschäftsbericht ist ein Beispiel dafür: Anstelle von Fotos der Beschäftigten sind ihre Konterfeis aus Blütenblättern zusammengesetzt, und die Umsatzkurven sind keine Striche, sondern knorrige Zweige.
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ZUR PERSON: Steckbrief
Name: Jörg Beer
Funktion: CEO Fleurop-Interflora (Schweiz), Zürich
Geboren: 1967
Wohnort: Wallisellen
Familie: Verheiratet
Ausbildung: Betriebsökonom HWV, eidg. dipl. Marketingleiter
Karriere:
- 994–1999 Departementsleiter und GL-Mitglied Publicitas,Zürich
- 1999–2005 Leiter Sponsoring und Vermarktung Schweizer Fernsehen DRS
- Seit 2005 CEO Fleurop-Interflora (Schweiz)
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Führungsprinzipien
1. Andersartiges akzeptieren.
2. Das Handeln für die Mitarbeitenden nachvollziehbar machen.
3. Den eigenen Weg gehen, aber die Richtung ändern können.
4. Betroffene zu Beteiligten machen, Vertrauen schenken und fördern.
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Firma
Fleurop-Interflora (Schweiz)
Die Blumenvermittlerin erzielt mit rund 40 Beschäftigten und 430 Partnergesellschaften einen Umsatz von 32,7 Mio Fr. Sie ist Mitglied im weltweiten Interflora-Verbund mit über 50 000 Geschäften.