BILANZ: Herr Ackermann, was sagen Sie zum Wahlausgang in Deutschland?
Josef Ackermann: Unabhängig davon, wer die künftige Regierung bilden wird, der Reformkurs, den die alte Regierung eingeschlagen hat, sollte in jedem Fall fortgesetzt werden. Die neue Regierung muss dabei aber noch mutiger sein als die bisherige, denn wir stehen vor grossen Herausforderungen. Das Land muss sich im globalen Wettbewerb um Investitionen und Arbeitsplätze positionieren und gleichzeitig den demografischen Wandel meistern.
Was ist zur Bewältigung der Herausforderungen das Allerwichtigste?
Wir müssen mit allen Mitteln wieder Wachstum ermöglichen. Wachstum setzt voraus, dass die Menschen wieder mehr Vertrauen in die Zukunft haben und dass sie wieder konsumieren. Wenn Sie die deutsche Sparquote von elf Prozent mit der Sparquote von einem Prozent in den Vereinigten Staaten vergleichen, sehen Sie, wie viel Spielraum dieses Land zum Konsumieren hätte, was wiederum Investitionen anregen würde.
Deutschlands Unternehmen haben sich in der Vergangenheit zunehmend vom Standort Deutschland und damit von der Berliner Politik abgekoppelt, weshalb nun auch die Börse relativ gelassen auf den Wahlausgang reagiert hat. Wie wird sich die Börse in Deutschland weiterentwickeln?
Der langfristige Trend wird weiter nach oben zeigen. Deutsche Unternehmen haben momentan einen Standortnachteil, weil sie wesentlich schlechter bewertet werden als beispielsweise amerikanische. Das gilt für Siemens, das gilt für die Deutsche Bank und für viele andere.
Woher kommt die schlechtere Bewertung?
Die Aktienkultur ist in Deutschland noch nicht so ausgeprägt wie in anderen Ländern. Die privaten Haushalte halten sich nach den Erfahrungen am Neuen Markt und bei der Privatisierung von Staatsunternehmen zurück.
Welche Folgen hat das für die deutschen Unternehmen?
Es erhöht ihre Kapitalkosten, ihre strategischen Handlungsspielräume werden eingeschränkt, und die Gefahr einer Übernahme steigt.
Was tun?
Die Menschen müssen begreifen, dass der Aktienmarkt nicht etwas für böse Spekulanten, sondern fundamental für die volkswirtschaftliche Entwicklung ist. Auf einem entwickelten Kapitalmarkt würde sich auch der Konflikt zwischen Arbeit und Kapital entschärfen, der hierzulande zum Teil noch sehr deutlich zu beobachten ist.
Wie soll sich dieser Wandel vollziehen?
Auch das ist eine Frage des Vertrauens. Wenn die Menschen Vertrauen haben, kaufen sie wieder Wertpapiere. Das sehen wir gerade an unserer eigenen Aktie. In kurzer Zeit hat sich der Kurs deutlich verbessert. Wir mussten uns die Glaubwürdigkeit, die Konsistenz in der Ertragsentwicklung erst erabeiten. Der Durchbruch kam, als wir im zweiten Quartal dieses Jahres gezeigt haben, dass sich unsere Strategie und unsere Produkte auch in widrigen Marktverhältnissen bewährt haben und dass wir besser waren als viele Konkurrenten.
Das war alles? Damit allein ist Schwung in Ihren Aktienkurs gekommen?
Es kommt noch ein anderer Punkt hinzu. Wir haben in der Vergangenheit immer gesagt, dass wir 60 Prozent unserer Erträge im Investment-Banking, 40 Prozent im Privatkundengeschäft und im Asset-Management erzielen wollen. Nun hat sich das Investment-Banking zuletzt besonders gut entwickelt. Deshalb haben viele erwartet, dass wir eine andere Bank zukaufen, um die angepeilte 40-Prozent-Grenze im Privatkundengeschäft und in der Vermögensverwaltung zu erreichen. Akquisitionen werden im Moment vom Markt aber sehr kritisch beurteilt. Deshalb hat uns diese Erwartung einen Kursabschlag beschert. Aus diesem Grund haben wir uns von der sturen 60-40-Regel verabschiedet und damit signalisiert, dass wir keine grossen Akquisitionen brauchen, um unsere Ziele zu erreichen.
Das ist also kein strategischer Schwenk, wie vielfach kommentiert wurde, sondern Sie handeln lediglich nach dem Motto «Let the good times roll»?
Wenn Sie damit meinen, dass wir die guten Geschäfte im Investment-Banking nicht zurückhalten wollen, nur um auf ein vorher annonciertes Gleichgewicht zu kommen, dann trifft das zu: Let the good times roll!
Haben Sie sich damit als Akteur aus dem Konsolidierungsprozess der deutschen Bankenbranche verabschiedet?
Wir haben immer gesagt, dass Konsolidierungsschritte für uns in Deutschland sehr schwierig sind, weil es grosse Überlappungen gibt und damit notwendigerweise Filialen geschlossen werden müssten und Arbeitsplätze verloren gingen.
Die Deutsche Bank wird derzeit wieder einmal als möglicher Käufer der Commerzbank genannt.
Das ist für uns im Moment keine Option.
Und wenn ein Ausländer nach der Bank greift?
Das ändert nichts an unserer Position.
Gilt das auch für die Postbank?
Ja.
Würde die Postbank strategisch nicht gut passen?
Strategisch passt einiges, aber es ist stets auch eine Frage des Preises und der Konstellation.
Setzen Sie darauf, dass Sie als private Bank demnächst Sparkassen kaufen dürfen?
Ich bin da skeptisch. Die regionalen Interessen der Politiker sind einfach zu sehr ausgeprägt – egal, bei welcher Partei. Wir dürfen uns da keine falschen Hoffnungen machen. Wir müssen in dem Rahmen, der uns vorgegeben wird, erfolgreich sein.
Wie wirkt es sich für Ihre Geschäfte aus, dass für die Landesbanken die Anstaltslast und die Gewährträgerhaftung weggefallen sind?
Bis jetzt spüren wir keine grossen Auswirkungen. Für mich ist es wichtiger, dass jetzt alle Marktteilnehmer eine vergleichbare Philosophie bei der Geschäftsführung – also Renditeziele – bekommen.
Suchen Sie jenseits der Grenzen nach passenden Partnern?
Nein, wir wollen organisch wachsen. Wir sind im Investment-Banking in den ersten sechs Monaten dieses Jahres die Nummer eins der Welt nach Erträgen gewesen, wir gehören in der Vermögensverwaltung im Vergleich mit unseren wichtigsten Wettbewerbern zu den grössten drei nach den investierten Vermögen, wir sind im Privatkundengeschäft in Deutschland ganz vorne und haben gute Positionen in Italien und Spanien. Nun bauen wir aus eigener Kraft Filialen in Indien auf. Und wir schauen uns in anderen asiatischen Ländern und in Osteuropa um. Gezielte Ergänzungen unseres Geschäfts sind für uns sinnvoller als eine grosse Transaktion.
Gilt dies auch für China?
Wir halten mehr von kleinen Schritten, die uns eine engere Zusammenarbeit mit lokalen Partnern ermöglichen.
Werden Sie sich an der Huaxia Bank beteiligen?
Das kommentieren wir nicht.
Halten Sie sich im Vergleich zu Konkurrenten wie Citigroup oder HSBC mit grossen Akquisitionen vielleicht auch deshalb so zurück, weil Ihre Aktien als Akquisitionswährung so wenig wert sind?
Nein, wir sind eine der grössten Banken der Welt mit einer hohen Kapitalquote und haben die notwendigen finanziellen Ressourcen. Die Frage ist einfach, ob wir durch eine Akquisition Wert für die Aktionäre schaffen können. Sie müssen sich die Bewertungen anschauen und dann die Rendite, die Sie erzielen können, den Refinanzierungskosten und den Risiken gegenüberstellen.
Und nach diesen Gegenüberstellungen rechnet sich keine einzige Kombination mit einem anderen Institut?
Entscheidend ist, dass Sie eine gewisse Grösse in den Geschäftsfeldern haben, in denen Sie mit anderen konkurrieren. Und in unseren Kerngeschäftsfeldern – Investment-Banking, Asset-Management und Privatkundengeschäft – sind wir gross genug.
Vor nicht allzu langer Zeit waren Sie noch nicht so skeptisch gegenüber Zukäufen. Sind Akquisitionen mal in, mal weniger?
Wenn das Ertragswachstum schwierig ist, werden Konsolidierungsschritte, die bei den Kosten ansetzen, natürlich wichtiger. Im Moment haben wir hingegen eine Phase, in der wir gutes Ertragswachstum haben und Marktanteile gewinnen, weil viele Konkurrenten mit der Bewältigung grosser Transaktionen aus der Vergangenheit beschäftigt sind.
Heisst das, dass wir auf eine grosse europäische Konsolidierungswelle noch eine Weile warten müssen?
Ja, das glaube ich. Investoren goutieren grosse Schritte im Moment nicht. Zurzeit hat organisches Wachstum Priorität.
Das war in der Vergangenheit auch schon anders. Warum haben Ihre Gespräche mit Lloyds TSB und Citigroup nicht zum Erfolg geführt?
Wir waren nicht bereit, unseren Sitz in Deutschland zu verlassen.
Die Deutsche Bank wird ihren Hauptsitz immer in Frankfurt haben?
Wir sind eine global operierende Bank, die strategisch aus Deutschland heraus geführt wird. Und wir zeigen gerade, dass dies – auch unter weniger guten Bedingungen – erfolgreich machbar ist.
Bis wann wollen Sie wieder zu den Branchenersten aus den USA und Grossbritannien aufschliessen?
Wir haben natürlich etwa gegenüber der Citigroup einen riesigen Rückstand bei der Marktkapitalisierung, allein schon deshalb, weil die Amerikaner durch ihre entwickelte Aktienkultur höher bewertet sind. Aber in den für uns wichtigen Geschäftsfeldern können wir mit der Citigroup bereits gut mithalten.
Trotzdem: Läuft die Deutsche Bank bei dieser niedrigen Bewertung nicht weiterhin Gefahr, übernommen zu werden?
Ich habe nie daran geglaubt, dass wir übernommen werden, weil im Bankbereich nur freundliche Übernahmen möglich sind. Bei feindlichen Übernahmen verliert der Käufer nur Kunden und Mitarbeiter. Und für einen freundlichen Zusammenschluss stehen wir nicht zur Verfügung.
Sie waren Anfang des Jahres nach den Erträgen weltweit die Nummer 9, nach Börsenwert aber nur die Nummer 24.
Wir haben uns zum Halbjahr schon verbessert. Wir sind jetzt bei den Erträgen die Nummer 8 und beim Börsenwert die Nummer 22 der Welt.
Glückwunsch, aber auch diese Bewertung kann Sie doch nicht wirklich zufrieden stellen.
Für den Börsenwert sind die Erträge zwar ein wichtiger Faktor, aber nicht der einzige. Ein anderer ist der Vorsteuergewinn. Dort rangierten wir lange so um Platz 15 herum. Um weiter nach vorne zu kommen, haben wir ein Programm zur Steigerung der Effizienz gestartet. Wir streben eine Rendite von 25 Prozent vor Steuern an. Damit kommen wir in die Nähe unserer besten Konkurrenten. Bei der Nachsteuerrendite haben wir jedoch Nachteile auf Grund des vergleichsweise hohen Steuersatzes von 38 Prozent in Deutschland.
Seit Sie die Zielrendite von 25 Prozent ausgegeben haben, sind Sie zum Buhmann der Nation geworden, auch weil Sie damit zugleich einen Stellenabbau angekündigt haben. Wie lebt es sich mit diesem Ruf?
Ich bin zur Deutschen Bank gekommen, um etwas zu bewegen. Ich bin stolz darauf, dass es uns gelungen ist, unser Haus weltweit ganz nach vorne zu bringen. Wenn man Reformschritte einleitet, muss man Kritik aushalten können. Hätten wir das getan, was in der Öffentlichkeit von vielen gefordert wurde, dann wäre die Deutsche Bank heute schwach und weltweit nicht mehr konkurrenzfähig. Deshalb war es richtig, dass wir standhaft geblieben sind. Dies erkennen mittlerweile auch die an, die uns kritisiert haben.
Wie weit sind Sie mit Ihrem so heftig umstrittenen Stellenabbau mittlerweile in Deutschland?
Wir haben jetzt Interessenausgleiche mit dem Betriebsrat gefunden.
Mussten Sie betriebsbedingt Kündigungen aussprechen?
Nein, wir haben bisher stets einvernehmliche Regelungen gefunden.
Alles paletti, könnten Sie derzeit dann wohl sagen, drohte Ihnen nicht die Wiederaufnahme des Mannesmann-Verfahrens. Welche Folgen hätte das für Sie und die Deutsche Bank?
Die Bank ist erfolgreich und stark. Sie ist nicht von der Person Josef Ackermann abhängig.
Und welche Folgen hätte eine Wiederaufnahme für Sie persönlich? Träten Sie zurück, wenn der Prozess neu aufgerollt würde?
Der Aufsichtsrat hat klar geäussert, dass er die Vorwürfe für unbegründet hält. Das ist für mich ein deutliches Signal.