Beim ersten «ECR Best Practice Award» ist die Schweiz leer ausgegangen. Was ist da falsch gelaufen?

Jürg Rückert: Es ist nichts falsch gelaufen. Die Anzahl der eingereichten Arbeiten entspricht den Marktverhältnissen. Zwei Schweizer Arbeiten sind auf dem undankbaren 2. Platz gelandet. Es war vielleicht psychologisch ungeschickt, dass alle Arbeiten an Deutsche Unternehmen geschickt werden mussten und nicht an die jeweilige Landes-Organisation. Das war irgendwie eine Hemmschwelle...

Partner-Inhalte
 
 
 
 
 
 

...und könnte aber auch bedeuten, dass die Schweiz in Sachen ECR nichts Wegweisendes zu bieten hat.

Rückert: Nein. Bei den Eingaben für den ECR-Award ging es primär darum, abgeschlossene Projekte dem vorgeschriebenen Standard entsprechend zu dokumentieren. Diese Anforderungen waren hoch. Viele Unternehmen wollten diesen Aufwand nicht auf sich nehmen. Wir können festhalten, dass wir in der Schweiz bezüglich Qualität und Menge mit vielen anderen Ländern gut Schritt halten.

Zu ECR Schweiz: Seitens Handel ist jetzt auch Coop mit dabei, nicht aber Denner und die Migros. Wieso eigentlich?

Rückert: Mit beiden Firmen sind wir von ECR aus im Gespräch. Die Gründe, weshalb Denner oder Migros noch nicht Mitglied sind, fallen unterschiedlich aus. Denner etwa hat andere Prioritäten wie die Umstellung der Läden inklusive Kassen- und Warenwirtschaftssystem.

Und bei Migros sieht es so aus, dass die mit ihrer autarken Lösung, also mit eigenen Industriebetrieben, ECR gar nicht brauchen.

Rückert: Migros lebte bis anhin im eigenen «Universum». Zu Beginn von ECR hat man immer wieder Stimmen gehört, dass die Migros bezüglich Zusammenarbeit zwischen Industrie und Handel als Benchmark zu gelten habe. Dabei ging man davon aus, dass die Wertschöpfungskette zwischen den Migros-Produktionsbetrieben und den Läden maximal effizient sei. In der Zwischenzeit hat sich auch dort bekanntlich vieles geändert. Migros arbeitet einerseits im Ausland mit Handelspartnern zusammen, welche sich stark bei ECR engagieren. Andererseits werden immer mehr Markenartikel-Lieferanten, welche ECR-Standards anwenden, Partner der Migros in der Schweiz. Sie sehen also, dass auch die Migros nicht um ECR herumkommt, sowohl auf der Supply Side wie auch im Category Management.

Auch Coop zeigte ECR lange die kalte Schulter. Jetzt sind die Basler beigetreten. Wie haben Sie Coop überzeugt?

Rückert: Coop hat erkannt, dass sie als Mitglied von ECR Schweiz entscheidend dazu beitragen kann, die Standards in der Schweiz umzusetzen. Das ist im eigenen Interesse wie auch dem für alle anderen Firmen auf Handels- wie auch auf Herstellerseite. In der Umsetzung ist meist der Handel treibend. Deshalb ist für alle Beteiligten die Mitgliedschaft von Coop ein Segen. Vor allem hat Coop von Beginn weg klar signalisiert, dass sie aktiv dabei sein möchte. Ihr geht es vor allem um die Umsetzung der Standards in der Supply Chain oder, wie wir sagen, im kooperativen Wertschöpfungssystem. Im Vordergrund stehen dabei die Normen und Standards im elektronischen Geschäftsverkehr, also EDI, Austausch von Stamm- und/oder Bewegungsdaten.

Das tönt gut. Man könnte etwas provokativ aber auch sagen: Die starke Stellung von Coop im Markt führt dazu, dass Coop ihre eigenen Anforderungen an ECR durchsetzen kann zu Ungunsten einer internationalen Vereinheitlichung. Wie beurteilen Sie diese Gefahr?

Rückert: Coop hält sich strikte an die anerkannten, internationalen Standards und verzichtet inskünftig auf Insellösungen. Coop ist der wichtigste Partner der globalen Hersteller in der Schweiz. Das hilft allen, sowohl den übrigen Handelspartnern wie auch den Lieferanten.

ECR scheint sowieso ein Klub der Grossen zu sein. Lassen Sie die KMU links liegen?

Rückert: Nein, ECR ist für alle offen. Es macht jedoch Sinn, dass die grossen Unternehmen investieren, Erfahrungen sammeln und diese dann im Rahmen der ECR-Veranstaltungen an die kleineren weitergeben. Erst mit der kritischen Masse kann ein umfassender Nutzen aus den Projekten gezogen werden. Das gilt sowohl für den Handel wie auch und dies erst recht für die Hersteller. KMU sind schnell, wendig und können mit Hilfe von ECR rasch umsetzen. Diese Aufgabe von ECR müssen wir noch professioneller gestalten. Wir brauchen die KMU im ECR-Boot. Für die Effizienzsteigerung ist nicht die Grösse der Unternehmung entscheidend. Vielmehr sind es Sortimentsgrösse, Anzahl Bestellungen und Lieferungen, Anzahl «Bewegungen» zwischen Partnern, Anzahl Kunden, also die Komplexität der Geschäftsbeziehungen.

Was passiert mit kleineren Produzenten, welche die nötigen Investitionen nicht aufzubringen vermögen, wenn VMI, Crossdocking und andere Instrumente und Modelle zum Standard werden?

Rückert: Es geht nicht immer nur um kostspielige Investitionen. Oftmals sind nur Abläufe anzupassen, ist ein eigentliches Umdenken nötig. ECR ist daher nicht ein Zusatzprogramm für Unternehmen. Die Anwendung von Standards, die Modernisierung der Prozesse ist heute unabdingbar notwendig fürs Überleben einer Firma im Konsumgüterbereich. Das musste jede Unternehmung bis anhin schon laufend tun. ECR heisst nun schlicht und einfach, diese Veränderungen über die gesamte Wertschöpfungskette zusammen mit allen Partnern durchzuführen. Die Optimierung innerhalb der einzelnen Unternehmung ist nur suboptimal. Das ist die Erkenntnis aus vielen Projekten der Vergangenheit.

Auf was müssen sich Hersteller konkret einstellen, die in Zeiten von EDI immer noch Faxe und Briefe schicken?

Rückert: Es darf unter keinen Umständen sein, dass jemand für eine effizientere Leistung «bestraft» wird. Hingegen ist denkbar, dass, nach dem Verursacher-Prinzip, ein Partner etwas bezahlen muss, wenn er Mehraufwand verursacht, bedingt durch die Tatsache, dass er zum Beispiel immer noch per Fax bestellt oder eine Faktura in Papierform sendet, obwohl bereits schon seit langer Zeit die elektronische Kommunikationsform verfügbar ist.

Category Management ist, so meine Beobachtung, bei einfacheren und lukrativeren Warengruppen wie Wasch-, Putz- und Reinigungsmitteln recht gut etabliert. Wo bleiben aber schwierigere Warengruppen wie Fleisch oder Frischwaren?

Rückert: Vom Einfachen zum Schwierigen, lautet das Motto. Dabei ist es nicht ganz einfach, zu Beginn eines Projektes herauszufinden, ob es einfach ist oder nicht: Breite und Tiefe der Category, Anzahl Lieferanten, Bedeutung der Category etc. sind nur einige Kriterien. Mir sind zudem viele erfolgreiche Projekte im Frischebereich wie Käse, Fleischwaren, Convenience bekannt.

ECR Best Practice Award

Der Preis

Anlässlich des 4. ECR-Tages vom 22. September in der Hofburg in Wien ist zum ersten Mal der «ECR Best Practice Award» verliehen worden. Die Auszeichnung wird von den führenden Trägern des ECR-Gedankens, den drei ECR-Initiativen Deutschlands, Österreichs und der Schweiz (ECR D-A-CH) verliehen. Ausgezeichnet werden vorbildliche, exzellente Umsetzungen von ECR durch Unternehmen aus Industrie, Handel und Dienstleistung sowie wissenschaftliche Leistungen und Verdienste von Einzelpersonen. Der ECR-Tag ist mit rund 1250 ECR-Entscheidern jeweils die grösste ECR-Veranstaltung für den deutschsprachigen Wirtschaftsraum. Die Preisträger 03:

- Kategorie Unternehmenskooperationen: dm-Drogerie Markt GmbH + Co. KG und Nestlé Erzeugnisse GmbH, D (Kategorie Babynahrung)

- Kategorie Einzelunternehmen/ KMU: Globus SB-Warenhaus Holding, St. Wendel, D

- Kategorie Verdienste von Einzelpersonen: Leo Faltmann von Faltmann Damen + Herren Moden bzw. Fashionconsult, D

- Kategorie Wissenschaftliche Arbeiten: Dr. Markus Mau von der Universität Giessen, D



Steckbrief

Name: Jürg Rückert

Funktion: VR-Delegierter der Consulting-Management-Coaching CMC AG; Vertreter der Bon appétit Group sowie Co-Chair Handel von ECR Schweiz

Alter: 58

Wohnort: Wädenswil

Familie: Verheiratet, ein Sohn

Karriere

Lic. rer. pol.; 7 Jahre bei Denner in verschiedenen Funktionen; 7 Jahre Waro, Leiter Finanzen+Controlling; 10 Jahre CEO Usego; 2 Jahre COO UHC; seit 3 Jahren Geschäftsführer CMC.

Schlagworte

«Die drängendsten ECR-Themen aus Sicht des Handels sind...

In erster Linie die Einhaltung der Standards im Bereich des Datenaustausches und der Logistik, dann aber auch ein Engagement für ein sauberes Stammdatenmanagement, idealerweise mit der Edb von EAN Schweiz. Des weiteren die Einführung von Standard-Prozessen, Schulung der Mitarbeiter, positive Einstellung und Bereitschaft zur Optimierung über die Unternehmensgrenzen hinaus, Einbau des ECR-Gedankengutes in die Unterstützungsprozesse.»



Die Fachwörter: ECR

ECR ist ein globales Netzwerk rund um die Konsum- und Gebrauchsgüterwirtschaft mit Gross-/Einzelhändlern und weiteren Partnern der Versorgungskette mit dem Ziel, durch gemeinsame Anstrengungen die Abläufe zu verbessern und so den Konsumentinnen und Konsumenten ein Optimum an Qualität, Service und Produktvielfalt kostenoptimal bieten zu können. Das globale Netzwerk stellt sicher, dass auf gemeinsamen, weltweiten Standardsystemen wie etwa dem EAN-System augebaut wird und dass auch für die neuen Technologien gemeinsame, global gültige Standards entwickelt werden.

Category Management

Category Management (CM) betrachtet Warengruppen (Categories) als strategische Geschäftseinheiten, für die Handel und Hersteller einen gemeinsamen Geschäftsplanungsprozess entwickeln, um durch eine Ausrichtung an den Bedürfnissen der Konsumenten eine verbesserte Warengruppenleistung zu erzielen. Die jeweilige Warengruppendefinition muss nach konsumentengerechten Bedarfsbündeln, sprich aus Kundensicht, erfolgen.

VMI

Vendor Managed Inventory (Lieferantengesteuertes Warenbestandsmanagement): Der Hersteller generiert die Bestellungen für den Handel und verwaltet damit dessen Bestand. VMI ist eine Variante von Continuous Replenishment Program.

Continuous Replenishment

Das Continuous ReplenishmentProgram dient dem Erreichen einer kontinuierlichen Warenversorgung entlang der gesamten logistischen Kette vom Hersteller zum Händler, bei welcher der Impuls für die Nachschubversorgung nicht mehr vom Handel, sondern von der tatsächlichen Nachfrage bzw. dem prognostizierten Bedarf in den Geschäften/Lagern ausgeht.

Die ECR-Ziele

Gemeinsames

- Gemeinsame Geschäftsmodelle mit Fokus auf die Leistung für die Konsumenten entwickeln und leben;

- Prozesse, Standards und Best Practice der Zusammenarbeit zur Vereinfachung von Geschäftsabläufen bereitstellen und verbreiten;

- Verbreiten von ECR durch Umsetzungsempfehlungen, Schulungen, Veranstaltungen und eigentlichen Helpdesks;

- Netzwerke von Menschen, Unternehmen und Organisationen in der Schweiz, im deutschsprachigen Raum, Europa und global pflegen.