Es ist eine Zäsur – nicht nur für die Bank, auch für Raymond Bär persönlich. Manchem Mitarbeiter schien, als ob der Präsident mit einem Mal etwas aufrechter durch die Gänge der Zürcher Traditionsbank ginge, um den Mund ein Lächeln – Raymond Bär wirkte in den Tagen nach seiner Rücktrittsankündigung regelrecht befreit. Der Job sei ihm seit längerer Zeit mehr Last denn Freude gewesen, erzählen Vertraute. «Nach einem Vierteljahrhundert bei Julius Bär ist die Zeit gekommen, ein neues Kapitel in meinem Leben zu beginnen», begründet Bär seinen Entscheid. Nach einer Denkpause will er neue Aufgaben definieren.

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Nach über hundert Jahren tritt damit der letzte Bär ab – erstmals gibt es weder im Management noch im Verwaltungsrat einen Familienvertreter. Kein anderer Bär wurde für Raymonds Nachfolge angefragt, obwohl der Pool an Familienmitgliedern mit über 120 originären und angeheirateten Personen nicht eben klein ist. Kein anderer Clan des Schweizer Geldadels zählt auch nur annähernd so viele Mitglieder. Damit setzt der Verwaltungsrat ein Zeichen: «Die Metamorphose unseres Unternehmens von einem Familienbetrieb zu einer Publikumsgesellschaft ist in allen Aspekten abgeschlossen», lässt sich Raymond Bär in der Pressemitteilung zitieren.

De facto hat die Familie bei der Bank schon seit langem ausgespielt – nach dem Börsengang und der schrittweisen Abgabe von Aktienmehrheit und Kontrolle (siehe «Rückzug in Raten» unter 'Downloads'). Doch mit der Galionsfigur Raymond Bär konnte sich die Bank gegen aussen immer noch als Familienbank verkaufen. Das kam bei den Kunden an.

Was nun folgt, ist eine neue Ära – sie wird die Identität der Bank grundlegend verändern. Denn die Nachfolger der Familienbanker stehen für andere Werte: Nicht Traditionsbewusstsein und Konstanz prägt sie, sondern Angriffslust und die Freude am Deal.

Als neuer Präsident der Bank soll an der Generalversammlung vom 11. April Daniel Sauter gewählt werden. Er ist seit 2007 im Verwaltungsrat. Sauter wurde von Raymond Bär persönlich ins Gremium geholt und gilt als einer seiner engsten Vertrauten, seit sie sich vor über zehn Jahren bei einem privaten Nachtessen kennen gelernt haben. Für Sauter sprechen «Führungsstärke und Finanz-Know-how», sagt Verwaltungsrat und Lead Independent Director Peter Küpfer.

Die Wahl überrascht, ist Sauters Banking-Hintergrund doch bescheiden. Vor allem hat er keinerlei Erfahrung im Private Banking, dem Kerngeschäft der Bank. Sauter hat zwar das Eidgenössische Diplom des Bankfachmanns erworben und war in jungen Jahren als Devisen- und Geldmarkthändler tätig, doch der Grossteil seiner Karriere konzentriert sich auf die Industrie. Der heute 54-Jährige war fast zwanzig Jahre als Manager für die Rohstoffgiganten Glencore und Xstrata tätig. 2001 machte er sich selbständig, gründete die Investmentfirma Trinsic und stieg bei Alpine Select ein.

Diese Beteiligungsgesellschaften agierten fortan als angriffige Investoren bei Industrieunternehmen wie Tornos oder Schweizerhall und bei Anlagevehikeln wie Private Equity Holding oder BB Biotech. Immer im Schlepptau: Mitaktionär Michel Vukotic, ehemaliger Handelschef und heute Betreuer für Spezialkunden bei der Bank Julius Bär – ein Mann mit einer über zwanzigjährigen Karriere bei der Bank. Mitstreiter Sauter ist zukünftig als Präsident sein Chef. Das Präsidium bei Alpine Select gibt Sauter angesichts möglicher Interessenkonflikte aber ab.

Schnell und streitlustig. Das Investorengespann gilt in der Schweizer Firmenszene als knallhart. Ihre Methode: Druck aufs Management auszuüben und auf hohe Renditen zu drängen. Dabei zeigte Sauter offen Angriffslust: «Wir haben Lust am Streiten und exponieren uns», sagte er in einem Interview. Man habe einen «Händler-Approach», pflichtete Vukotic bei und erklärte dies mit ihrem Werdegang: er als Handelschef bei Bär, Sauter als langjähriger Finanzchef von Glencore, dem grössten Rohstoffhändler der Welt.

Dabei hat sich Sauter den Ruf eines ausgezeichneten Dealmakers erworben – und ist damit reich geworden. Seinen finanziellen Erfolg zeigte Sauter stets gerne, etwa mit seiner herrschaftlichen Villa in Zug oder mit den schnittigen Cabriolets, in denen er gerne herumbraust. Im persönlichen Umgang gilt er als umgänglich und pragmatisch. «Er war immer sehr sachlich», erinnert sich Wirtschaftsanwalt Urs Schenker, der als Präsident der Beteiligungsgesellschaft Tuxedo 2002 selber ins Visier von Sauter geraten ist. Trotz gegensätzlichen Standpunkten habe er die Gespräche mit Sauter geschätzt, so Schenker. Er preist an ihm «den schnellen Intellekt und das ausgesprochen analytische Denken».

Vertraute, die sehr lange mit Sauter zusammengearbeitet haben, merken allerdings an, er könne nur sehr schlecht zuhören und habe immer schon seine eigene Meinung parat. «An Selbstbewusstsein mangelt es ihm jedenfalls nicht», sagt einer, der vor einigen Jahren selber den Atem des Investors im Nacken gespürt hat.

Als Mann für Kundenkontakte sehen denn auch nur wenige den neuen Präsidenten der Bank. Dies sei auch nicht die Rolle von Sauter, sagt Verwaltungsrat Küpfer. Die Rolle des Präsidenten sei bei Raymond Bär umfassender gewesen, als sie bei Sauter sein werde. Aufgabe sei die Führung des Gremiums und die Fest-legung der grossen strategischen Züge. Das Ganze sei fortan ein «20- bis 30-Prozent-Job». Auch der Lohn – Raymond Bär hat für 2011 2,6 Millionen erhalten – werde entsprechend angepasst. Für den Kontakt mit Kunden werde CEO Boris Collardi nun verstärkt gefordert sein.

Bei den Kundenberatern der Bank herrscht nicht eben Freude ob des Wechsels, wie es aus Kreisen von Senior-Relationship-Managern heisst. Die Möglichkeit, ein Meeting oder Mittagessen mit Raymond Bär zu bieten, war ein wichtiges Tool im Werben um die Kunden. Für jene Kunden, die schon seit Generationen mit der Bank verbunden sind, enden mit dessen Abgang auch jahrzehntelange Bande zur Bankiersfamilie.

Mit dem Wechsel an der Verwaltungsratsspitze wird die ganze Führung der Bank nun von einem ähnlichen Typus Manager bestimmt. Denn auch Collardi, der 2009 mit erst 35 Jahren als jüngster CEO einer Schweizer Bank bei Bär an die operative Spitze gelangte, gilt als dynamischer Bursche, als Mann der raschen Entscheide, als durchsetzungsstarker Organisator auch, aber nicht als Kundenbanker. Sauter wie Collardi sind Manager, die sich nicht gerne dreinreden lassen – insofern also durchaus wesensverwandt. Das Verhältnis zwischen Collardi und Sauter sei sehr gut, betont Verwaltungsrat Küpfer. Collardi sei zudem «zu einem frühen Zeitpunkt in die Diskussion einbezogen worden».

Konsolidierung steht an. Dennoch könnten sich Konfliktlinien ergeben. Denn Collardi hat seine Macht bei der Bank in den letzten vier Jahren stetig ausgedehnt. Raymond Bär interpretierte seine Rolle vor allem als Repräsentant in bankenpolitischen Fragen wie der Zukunft des Schweizer Finanzplatzes, wirkte gegen innen aber wenig kraftvoll. Collardi wiederum lässt zwar seinen Ferrari inzwischen in der Garage und pendelt öffentlichkeitswirksam im Fiat 500 an die Bahnhofstrasse, hat intern aber seine Zurückhaltung sowie seine anfänglich noch vorhandene Bescheidenheit aufgegeben und tritt betont selbstbewusst auf. Auch um Details kümmert er sich gerne, etwa bei den Investorenkonferenzen der Bank. Sie basieren auf seinen persönlichen Erkenntnissen über die grossen Trends der Weltwirtschaft und werden nach diesen Vorgaben aufgebaut. Dafür lässt er gerne teure Gastredner wie den ehemaligen deutschen Aussenminister Joschka Fischer oder Apple-Mitgründer Steve Wozniak einfliegen.

Auch bei der Verpflichtung des Werbeträgers Simon Ammann war Collardi persönlich die Triebfeder, kennt er doch den Skiflieger aus nachbarschaftlicher Beziehung am gemeimsamen Wohnort Schindellegi SZ. Gut möglich, dass Sauter ein stärkeres Gegengewicht zum manchmal übereifrigen CEO bilden kann, als es der zurückhaltende Gentleman-Banker Bär war.

In einem Punkt aber dürften sich Collardi und Sauter ergänzen – beide verbindet das Interesse am Dealmaking. Collardi hat seine Karriere zu einem guten Teil auf seine Fähigkeiten als Mann der internen Organisation gebaut. Neue Firmen kann er schnell und reibungslos integrieren, wie das Beispiel der 2009 gekauften ING Bank (Schweiz) zeigt. Gerade diese Eigenschaft könnte in Zukunft durchaus von Nutzen sein, steht die Branche doch vor einem Konsolidierungsprozess. Der Druck auf die Margen steigt, das Schwarzgeldmodell hat für den Schweizer Finanzplatz ausgespielt – die Player suchen ihr Heil in Zusammenschlüssen.

Als Branchenleader wird Bär die Führungsrolle im Konsolidierungsprozess zugeschrieben. Die Bank hat wiederholt angegeben, gezielt durch Zukäufe wachsen zu wollen. Allerdings sind die Ambitionen bislang nicht immer aufgegangen – den Kampf um die Basler Sarasin verlor Bär gegen die brasilianische Bank Safra.

So wichtig Deals im anstehenden Konsolidierungsprozess sein werden, so droht doch die Verwässerung des Images. Erst 2009 hat sich Bär mit der Abspaltung des Asset Managers GAM als reiner Vermögensverwalter positioniert. Mit diesem Bild ist Konstanz und Ruhe verbunden.

Schon einmal war Bär eine Bank der Dealmaker, nach 2005, als die Gruppe durch die Übernahme der unabhängigen UBS-Privatbanken und von GAM mit einem Schlag stark wuchs. Die neuen Herren im Hause Bär, allen voran GAM-Chef David Solo und Gruppen-CEO Hans de Gier, der als Investment-Banking-Chef der Grossbank UBS agiert hatte, galten als Dealmaker und hatten bei der Verschmelzung der Banken auch persönlich Gelder in Millionenhöhe eingestrichen.

De Gier und Solo brachten nicht nur eine neue Kultur in die Bank, sie brachten auch einige Probleme mit. Denn im Bauch der neuen Bankentöchter waren viele Problemkunden verborgen, etwa bei der ehemaligen Cantrade, die auch als Schwarzgeldbank galt. Erschwerend kam hinzu, dass der neue Private-Banking-Chef Alex Widmer, der 2005 von der CS gekommen war, in seiner Wachstumseuphorie ebenfalls neue Problemkunden anzog, vor allem von der UBS. Ziehsohn Collardi, mit dem Widmer schon bei der CS eng zusammengearbeitet hatte, gab an der Bilanzpressekonferenz jüngst zu, bis 2008 US-Kunden von der UBS übernommen zu haben. «Wir haben vielleicht ein wenig spät gehandelt, aber der US-Markt war für uns kein strategischer Markt», betont er (siehe «Heikle US-Kunden»).

Familienfehde. Für Raymond Bär soll diese Entwicklung besonders schmerzhaft gewesen sein, ist sie doch eng mit einem persönlichen Trauma verbunden. Denn genau an der US-Frage war der Zusammenhalt in der Familie 2004 zerbrochen. Einzelne Familienvertreter vermuten, hier liege der eigentliche Grund für die Zermürbung des Präsidenten.

Unter seiner Führung als Präsident war der Konflikt zwischen den Vertretern der dritten und der vierten Generation der Familie entstanden. Der Vorschlag, aus dem US-Geschäft auszusteigen, stammte von der operativen Führung unter dem damaligen CEO Walter Knabenhans. Raymond Bär, die anderen Familienvertreter der vierten Generation wie auch die unabhängigen Verwaltungsräte fanden Gefallen am Vorschlag. Nicht aber Ruedi Bär, Cousin seines Vater Hans J. Bär, der die traditionellen Bande der jüdischen Bankiersfamilie Bär zu den USA nicht kappen wollte – und der in Thomas Bär, Onkel von Raymond und Vorgänger auf dem Präsidentenstuhl, einen Mitstreiter fand.

Es folgte ein erbitterter Machtkampf, an dem die Familie im Grunde zerbrach. Als positives Ergebnis blieb, dass der Verwaltungsrat unter Raymond Bär beim Ausstiegsentscheid blieb und schliesslich mehrheitlich dafür stimmte – aus heutiger Sicht war das mehr als nur vernünftig. Dass die US-Thematik durch Widmer und Collardi schliesslich durch die Hintertüre wieder hereingebracht wurde, dürfte bei den damaligen Kämpfern für die Sache einiges an Resignation ausgelöst haben.

Die letzte Aufgabe, der sich Raymond Bär nach seinem Rückzug vom Präsidium als Ehrenpräsident widmen will, ist die Führung des internen Sonderausschusses im US-Steuerstreit, die bisher Sauter innehatte. Allerdings reist Bär derzeit nicht in die USA. Er wolle das Risiko nicht eingehen, befragt zu werden, hat er im kleinen Kreis erzählt. Gänzlich wird er den Schatten der US-Thematik, so scheint es, auch mit seinem Rücktritt nicht los.