Die Internet-Plattform Ricardo.ch erhöht ihre Gebühren. Die Steigerung geht zu Lasten der privaten Nutzer und soll mehr professionelle Verkäufer anlocken. Ab 1. Juli betragen die Abschlussgebühren für private Händler einheitlich 8 Prozent oder maximal 40 Franken. Professionelle Verkäufer bezahlen neu je nach Branche abgestufte Gebühren pro getätigten Verkauf. Durch die Systemänderungen steigen die Abschlussgebühren um 15 Prozent, wie Ricardo.ch-Geschäftsführer Yves Mäder im Interview bestätigt.

Partner-Inhalte
 
 
 
 
 
 

Mit den neuen Gebühren zielen Sie auf das Einstellen von neuen Produkten zu Festpreisen auf Ricardo.ch ab. Läuten Sie damit das Ende der klassischen Auktionsplattform ein?
Yves Mäder: Das Auktionsgeschäft stand am Anfang unseres Wirkens – gebrauchte Artikel werden von Privaten an Private verkauft. Das ist nach wie vor eines unserer Kerngeschäfte. Trotzdem sind wir überzeugt, dass das Wachstumspotenzial für Ricardo.ch nicht mehr in diesem Bereich liegen wird, sondern bei den professionellen Verkäufern – und hier insbesondere bei den Festpreisangeboten.

Was bringt Sie zu dieser Annahme?
Die jungen Leute von heute, die den Bereich des E-Commerce entdecken, wollen ein Produkt jetzt, sofort – das muss schnell gehen. Sie haben keine Lust auf Auktionen und damit das Risiko, am Ende sogar mit leeren Händen dazustehen. Diese Entwicklung zum Marktplatz 2.0 ist nicht aufzuhalten.

Wie sieht das Verhältnis von Auktionen und Festpreisangeboten heute aus?
Heute liegt der Anteil von allen zu Festpreisen gekauften Artikeln bei etwa 35 bis 40 Prozent. Dieser soll gesteigert werden auf etwa 70 Prozent.

Sie haben das Thema Wachstum angesprochen. Was heisst das in Zahlen?
Das Transaktionsvolumen mit neuen Artikeln konnte im vergangenen Quartal um 11 Prozent gesteigert werden – bei den gebrauchten Artikeln stagniert der Umsatz. Wir glauben, dass diese 11 Prozent noch steigerungsfähig sind.

Wohin konkret?
Der E-Commerce-Markt in der Schweiz wächst je nach Datenerhebung zwischen 8 und 12 Prozent. Mein Ziel ist es, mit Ricardo.ch schneller als dieser Markt zu wachsen. Das haben wir fast schon erreicht – mit unseren neuen Massnahmen ist weitere Luft nach oben vorhanden.

Die Gebührenänderung vom 1. Juli bringt auch mit sich, dass die Abgeschlüssgebühren für Private auf einheitlich 8 Prozent, maximal 40 Franken, steigen. Das ist eine Preiserhöhung von rund 15 Prozent. Wie rechtfertigen Sie diese?
Ricardo.ch hat in den vergangenen zwölf Monaten signifikant in die Plattform, das Team und das Marketing investiert. Der Registrierungsprozess – und damit die Akquisition von neuen Mitgliedern – wurde effizienter. Aktuell zählen wir 2,3 Millionen registrierte Nutzer. Durch eine grosse TV-Kampagne konnten wir zudem den Traffic steigern: Im Schnitt zählen wir täglich 600'000 Besucher, fast die Hälfte davon greift mobil auf unsere Angebote zu. Entsprechend wird die Webseite mittels Responsive Design nutzerfreundlicher, parallel investieren wir aber auch laufend in unsere Apps auf iOS und Android. Und zuguterletzt haben wir im April damit begonnen, Kreditkartenzahlungen zu ermöglichen – und zwar für beide Seiten, Käufer und Verkäufer, gebührenfrei. Das hat die Transaktionsgeschwindigkeit nochmals deutlich beschleunigt. Und beim Einsatz der Kreditkarte erhöht sich der Käuferschutz künftig von 250 auf 500 Franken.

Das tönt alles schön, aber der private Nutzer sieht doch vor allem: Es wird teurer.
Ja. Aber gerade für den Privatkunden ist es attraktiv, wenn beispielsweise über die genannten Massnahmen die Liquidität auf dem Marktplatz und dessen Reichweite erhöht wird.

Die Auktionsplattform wird quasi schrittweise über Bord geworfen. Unternehmen, die sich vom ursprünglichen Kern entfernen, fahren damit normalerweise eine gefährliche Strategie.
Es ist unserem Fall eine Evolution, die auch international zu beobachten ist.

Internationale Anbieter haben den Schritt in die Schweiz nicht gewagt oder ziehen sich – wie das Beispiel von Ebay zeigt – klammheimlich zurück. Ist der Markt zu unattraktiv?
Er ist komplex. Die Schweiz ist klein – und ein Anbieter muss mindestens in zwei, idealerweise in vier Sprachen auftreten. Und das in einem Markt, der mit einem maximalen Potenzial von acht Millionen Nutzern für internationale Konzerne sehr überschaubar ist.

Was haben Sie anders gemacht?
Ricardo.ch gibt es seit mittlerweile 15 Jahren. Wir haben uns stets auf die Schweiz fokussiert. Unsere grösste Abteilung mit 65 Mitarbeitenden ist der Kundendienst. Das zeigt, dass wir auf die hiesigen Bedürfnisse eingehen. Heute sind wir punkto Anzahl der Besucher auf der Webseite beispielsweise rund fünf Mal so gross wie Ebay Schweiz.

Der Markt ist aber gedeckelt.
Bis zu einem gewissen Grad, ja. Aber es gibt nach wie vor grosses Potenzial. Viele KMU in der Schweiz wissen nach wie vor nicht, wie sie mit dem Thema Online umgehen sollen. Alles ist mit Investitionen verbunden: Infrastruktur, Prozesse, Logistik. Gerade hier bieten wir uns als Partner an…

… und übernehmen quasi deren Webshop-Aufgaben.
Ja, wir übernehmen die gesamte Technologie. Wobei dies heutzutage die kleinste Hürde ist. Der viel schwierigere Teil heisst Traffic: Wenn ein KMU seinen Online-Shop-Traffic über Google Adwords aufbauen will, kostet das viel Geld. Oder Sie verfolgen die Zalando-Strategie – dann kostet es noch viel mehr Geld…

Online-Shopping schrieb zuletzt immer wieder wegen des Themas Sicherheit negative Schlagzeilen.
Wir sehen keinen Einfluss auf Basis der jüngsten Problemfälle. Man muss sich bewusst sein: Die absolute Sicherheit gibt es nirgends – weder online, noch offline. Ricardo.ch investiert viel in die Sicherheit und geht Missbrauchsfällen aktiv nach. Aber oftmals ist es ein Katz-und-Maus-Spiel. So können wir nicht verhindern, dass etwa Phishing-Mails verschickt werden. Aber wir können unseren Mitgliedern gegenüber immer wieder betonen, dass Ricardo.ch niemals irgendwelche sensitiven Daten per E-Mail anfragen würde.

Der wichtigste Sicherheits-Tipp?
Ich sage immer: Wer auf Ricardo.ch ein Angebot sieht, das zu gut ist, um wahr zu sein, ist es das wohl auch. Dann darf man nicht auch noch so naiv sein und beispielsweise 2000 Franken via Western Union an einen Unbekannten schicken – und hinterher überrascht sein, dass sich niemand mehr meldet. Unser Bewertungssystem ist ein ganz wesentliches Sicherheitselement: Wer ist der Verkäufer? Wieviele Transaktionen hat er mit welcher Zufriedenheitsrate über Ricardo.ch abgeschlossen?

Schwarze Schafe gibt es immer.
Ja. Viele Mitglieder melden uns Missbrauch, aber alle erwischen wir natürlich nie. Doch um Ihre Frage in richtige Relation zu setzen: Die Betrugsfälle bei Ricardo.ch bewegen sich im Promille-Bereich, somit ist die Sicherheit relativ hoch.

Ein Klassiker sind bekanntlich Produkte, die gar nicht verkauft werden dürften – wie beispielsweise die TV-Settop-Box von Swisscom.
Genau. Es sind immer wieder auch Firmen, die sich als Rechteinhaber bei uns melden.

Etliche Online-Anbieter waren zuletzt Ziel von Hackerangriffen. Ist Ricardo.ch schlicht zu klein und unattraktiv?
(schmunzelt) Ja, wahrscheinlich ist das so. Die Frage ist doch vielmehr: Was gibt es bei uns überhaupt zu holen? So attraktiv ist das gar nicht – was natürlich nicht bedeuten soll, dass wir nicht präventiv ins Thema Datensicherheit investieren würden.

Ricardo.ch hat seine Mitglieder nach der Ebay-Attacke auf das Thema Passwort sensibilisiert.
Und zwar aus dem Grund, weil viele Nutzer für die verschiedensten Plattformen, wie etwa auch das Online-Banking, aus Bequemlichkeit identische Passwörter benutzen. Bei Ebay wissen wir mittlerweile, dass keine Passwörter, sondern «lediglich» Stammdaten wie Name, Adresse, Mail oder Geburtsdatum gestohlen wurden. Daten notabene, die heute im Markt aktiv angeboten werden.

Nichtsdestotrotz besitzen Sie eine Fülle an Nutzerdaten. Was planen Sie damit?
Im Fokus steht die Personalisierung über alle Ricardo-Marktplätze. Dank besserem Verständnis über seine Aktivitäten, soll der Nutzer einen Mehrwert erhalten. Erst dann legt er den Respekt oder gar die Angst ab, ein gläserner Konsument zu sein. Die Daten unserer Mitglieder behandeln wir natürlich mit höchster Vorsicht und würden nie Handel mit persönlichen Daten betreiben.

Kombinieren wir Ihre B2B-Offensive mit diesem Big-Data-Ansatz, müsste die ganz grosse Vision doch heissen: Herr und Frau Schweizer kaufen online nur noch an einem Ort ein.
Einverstanden. (lacht) Lassen Sie es mich noch etwas umformulieren: Ricardo.ch – mit allen Plattformen wie Autoricardo.ch, Ricardoshops.ch und Ricardo.ch – soll das gesamte Online-Non-Food-Bedürfnis abdecken.

Mehr zum Thema lesen Sie in der neuen «Handelszeitung», ab heute am Kiosk oder mit Abo bequem jede Woche im Briefkasten.