Nestlé experimentiert mit einer neuen Werbestrategie, die neben den Markennamen für Suppen, Pizza oder Mineralwasser das Firmenimage in den Vordergrund rückt. Der weltgrösste Nahrungsmittelhersteller fährt erstmals in seiner Geschichte eine Kampagne, die den Konzern als Hersteller hervorhebt.


Bisher ist vielen Konsumenten nicht bewusst, dass der Lebensmittelriese aus Vevey mit dem putzigen Vogelnest im Logo sowohl hinter Schöller-Eis als auch hinter Wagner-Pizza, Maggi-Kochprodukten oder Alete-Babynahrung steckt. Denn in seiner Werbung hat das Unternehmen diesen Zusammenhang bis jetzt meist ausgeblendet.

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Image einzelner Produkte schlägt auf Konzern durch

Dass sich das nun ändert, kann Folgen für das ganze Unternehmen haben. Das Image einzelner Produkte schlägt damit eher aufs ganze Sortiment durch – im Guten wie im Schlechten. Je stärker die Konzernzugehörigkeit einer Marke im Verbraucherbewusstsein verankert ist, umso eher drohen die Folgen wie Boykottaufrufe oder Schmähkritik auf alle Marken eines Unternehmens überzugreifen.

Deutschland-Chef Gerhard Berssenbrügge nimmt den 200. Geburtstag von Firmengründer Heinrich Nestlé – einem in die Schweiz ausgewanderten Frankfurter Bub – zum Anlass, das zu starten, was Werbespezialisten eine «Corporate-Kampagne» nennen. «Eine Milliarde Menschen weltweit kennt den Namen Nestlé», sagte Berssenbrügge in Frankfurt. Nun solle die Firma stärker mit ihren Produkten verknüpft werden – mit dem Patriarchen Heinrich als Vehikel. «Nestlé bekommt ein Gesicht», sagte der Deutschland-Chef.

Die Reaktionen auf einen ersten, einminütigen Spot sind gemischt. Das Filmchen läuft seit wenigen Tagen im Fernsehen und im Internet und zeigt Heinrich – oder Henri, wie er sich später nannte – als nachdenklichen, unternehmerischen Wohltäter. «Wir finden heraus, wie man etwas besser machen kann. Und so machen wir es dann auch. Gestern. Heute. Und morgen», sagt der Sprecher am Schluss des Videos. Prompt warfen Kritiker Nestlé Volksverdummung und Beschönigung vor und holten alte Vorwürfe heraus.

Die neue Imagestrategie könnte im Falle eines echten oder vermeintlichen Lebensmittelskandals tatsächlich nach hinten losgehen, gestand Berssenbrügge ein. Die Kampagne enthalte daher «sowohl Chance als auch Gefahr», wobei die Chancen überwögen. So könne Nestlé seine Bemühungen um bessere Produkte leichter kommunizieren. Ernährungswissenschaftler monieren beispielsweise immer wieder hohe Salz- und Zuckeranteile bei industriell erzeugten Nahrungsmitteln. Nestlé hebt nun hervor, den Salzgehalt bei Maggi-Erzeugnissen und den Zuckergehalt etwa bei Frühstücksflocken gedrückt zu haben. «2013 haben wir unser Ziel erreicht, dass alle Cerealien für Kinder weniger als neun Gramm Zucker pro Portion enthalten», heisst es in einem «Fortschrittsbericht» der Deutschlandzentrale.

Misstrauen der Konsumenten wächst

Mit der angelaufenen, fünf Millionen Euro teuren Kampagne wolle Nestlé «nicht provozieren, aber zum Dialog anregen», unterstrich Berssenbrügge. Globale Nahrungsmittelhersteller wie Nestlé, Unilever oder Procter & Gamble stehen vor dem Problem, dass viele Konsumenten ihnen nicht mehr trauen. «58 Prozent der Verbraucher sind sich der Qualität der verarbeiteten Lebensmittel nicht sicher», musste Berssenbrügge kürzlich konstatieren. «Die deutschen Konsumenten verlieren ihr Vertrauen in die Lebensmittelindustrie.»

Diesem Trend will Nestlé unter anderem mit dem Imagefeldzug zum Jubiläum entgegenwirken, der sorgsamen Umgang mit Rohstoffen und Fertigprodukten im Hinblick auf Ernährung, Umwelt, Gesellschaft und Sicherheit belegen soll. Die Lieferkette werde ständig überprüft, 300’000 Bauern in Herstellerländern seien allein im vergangenen Jahr in nachhaltigen Anbaumethoden geschult worden, versicherte der Deutschland-Chef am Mittwoch.

Halbes Dutzend Spots bis zum Sommer

Gerade die Beschaffung der Lebensmittelrohstoffe bringt dem Konzern immer wieder massive Vorwürfe ein. Schon kursieren im Netz anlässlich der gerade gestarteten Nestlé-Kampagne, deren Konzept eine Ausweitung auf ein halbes Dutzend Spots bis zum Spätsommer vorsieht, Erinnerungen an bekannte Vorhaltungen.

So hatte Greenpeace Nestlé vor drei Jahren kritisiert, Palmöl für KitKat-Riegel bei einem indonesischen Lieferanten einzukaufen, der dafür völkerrechtswidrig Regenwald rode. «Butterfinger»-Riegel enthielten Genmais, so eine weitere Klage. Andere Konzernkritiker monieren, Nestlé nutze Wasserreserven für Produkte wie auf Kosten der Allgemeinheit, dulde Kinderarbeit bei Kakaolieferanten oder führe Tierversuche durch.

Werbeexperten prophezeiten dem Unternehmen bereits einen Shitstorm wegen der neuen Werbung, eine Wutwelle im Netz. Berssenbrügge glaubt daran nicht. «Das ist bisher eher ein Lüftchen als ein Shitstorm», sagte er der «Welt». Bisher gebe es nur sieben oder acht negative Reaktionen. «Und die nehmen wir sehr ernst», versicherte der Manager.

Dieser Artikel ist zuerst in unserer Schwester-Publikation «Die Welt» erschienen.