Für Ministerpräsident Silvio Berlusconi die lange ersehnte Gelegenheit, mit seinem alten Widersacher Gianni Agnelli abzurechnen.

Silvio Berlusconi erinnert sich gut an das Frühjahr 1994. Damals musste er mehrfach um einen Termin bei Fiat-Chef Gianni Agnelli bitten, bis er endlich empfangen wurde. Berlusconi wollte sich die Unterstützung des einflussreichsten Industriellen Italiens sichern, als er mit dem Club «Forza Italia» daran ging, die politische Macht im Lande zu erobern.

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Der aristokratische Industriekapitän, der in Italien wie ein Monarch verehrt wurde, trat dem Emporkömmling, der innerhalb von zwei Jahrzehnten auf dubiose Weise Milliardär geworden war, von Anfang an mit grosser Skepsis gegenüber. Der stets unterkühlte Gianni Agnelli mit seinem trockenen Humor konnte Berlusconi, dem zotigen Selbstdarsteller mit Entertainer-Qualitäten, nichts abgewinnen.

Agnelli hatte selbst längst Erfahrung in der Politik, sass er doch als Ehrensenator auf Lebenszeit in der höchsten Kammer des Parlaments. Bescheiden hatte er bei seinem ersten Besuch des Senats gefragt, wie er an seinen Platz gelangen könne. Agnelli konnte sich nicht vorstellen, dass es dem Fernseh-Mogul Berlusconi gelingen würde, Italiens politische Landschaft zu dominieren.

Politisch Lichtjahre Auseinander

Der passionierte Segler Agnelli empfand Berlusconi, dessen protzige Motoryachten im Sommer ebenfalls in Portofino anlegten, als Aufsteiger ohne Geschmack. Im Gegensatz zu Berlusconi hat Agnelli seinen Reichtum niemals zur Schau gestellt. Er besitzt seit Jahrzehnten mehrere Fiat Pandas und steuert sie eigenhändig auch mitten durch Turin.

Agnelli musste einige politische Kämpfe gegen die stärkste kommunistische Partei Westeuropas, die KPI, ausfechten. Weil Fiat und die Kapitalistenfamilie Agnelli die am deutlichsten sichtbaren Vertreter des Klassenfeindes waren, hielt die KPI ihre Kundgebungen bevorzugt am Fabriktor von Fiat ab. Berlusconi dagegen hatte keinerlei Erfahrung mit Gewerkschaftskämpfen: Sein Erfolgsrezept bestand darin, mit möglichst wenigen hoch spezialisierten und motivierten Angestellten möglichst viele Fernsehstunden zu produzieren. Der geniale Verkäufer Berlusconi war sich nie zu schade gewesen, persönlich bei Firmen anzuklopfen, denn er delegiert zudem ungern: Selbst bei seinem Fussballklub, dem AC Mailand, pflegte er Trainer und Spieler zu feuern und die Aufstellung mit der Mannschaft in der Kabine zu besprechen.

Giovanni Agnelli versteckte sich dagegen meist zwischen dem Publikum, wenn er Spiele seines Klubs Juventus Turin sehen wollte. Autogramme seiner eigenen Spieler erbat er per Brief für seine Enkel.

Schicksalsschlägeeiner Familiendynastie

Doch so stilsicher der Patriarch Agnelli war, so wenig gelang es ihm, seine Werte an die nächste Generation weiterzugeben. Sein einziger Sohn Edoardo, ein Verehrer asiatischer Religionen und Rauschmittel, war zu weich für den harten Job bei Fiat. Edoardo nahm sich vor zwei Jahren das Leben. Der fähigste Agnelli-Spross, der von Gianni Agnelli geliebte und als Nachfolger auserwählte Neffe Giovannino Agnelli, der das Moped-Unternehmen Piaggio saniert hatte, brach 1997 wegen einer vermeintlichen Magen-Darm-Infektion seine Hochzeitsreise ab, entdeckte, dass er an Krebs litt und starb nur wenige Monate später mit 33 Jahren. Die Familie konnte keinen Nachfolger für den Chefsessel bei Fiat mehr zur Verfügung stellen: Ein Agnelli mit einer Vision für den Autokonzern ist nicht in Sicht.

Silvio Berlusconis Kinder dagegen verehren den Vater und führen sein Werk fort: Seine älteste Tochter Marina führt das familieneigene Unternehmen Mediaset, einen der erfolgreichsten Medienkonzerne Europas, und beschert ihrem Vater die Genugtuung, den Staatssender Rai bei den Zuschauerzahlen dauerhaft zu überholen. Berlusconis Sohn Pier Silvio managt unterdessen tapfer die TV-Produktion der MediasetStudios. Die Familie Berlusconi hat alle Trümpfe in der Hand.

Gianni Agnelli musste unterdessen bei den Aufsichtsratssitzungen von Fiat, denen er als Ehrenpräsident nach seinem Abschied als Chef im Jahr 1996 beiwohnte, immer wieder hören, dass die Autoproduktion nicht mehr zu retten ist. Die Zeiten, als drei von vier Autos auf Italiens Strassen von Fiat waren, sind vorbei. Mit der Öffnung der Märkte schrumpfte der Binnenmarktanteil von Fiat auf knapp 40%. Das Fiat-Management fädelte den Verkauf der Autoproduktion an General Motors (GM) ein, obwohl Gianni Agnelli immer wieder mit dem Gehstock auf den Tisch schlug und schrie: «Die Agnellis haben immer Autos gebaut, und die Agnellis werden weiter Autos bauen.» Seine Worte verhallten.

Die grösste Niederlage für Gianni Agnelli

Doch die grösste persönliche Niederlage erlitt der schwerkranke Patriarch vor wenigen Tagen. Da musste Fiat-Chef Paolo Fresco zu Kreuze kriechen: Berlusconi zeigte sich gnädig bereit, dem Fiatkonzern und der Familie Agnelli zu helfen und rächte sich für die lange ertragene Herablassung. Berlusconi liess die Fiat-Top-Manager nicht in einem seiner Amtssitze, sondern bei sich zu Hause antreten und liess sie absichtlich 28 Minuten warten, bis er dann im privaten Mercedes und nicht im Dienst-Lancia vorfuhr.

Zwischen anderen Wochenendterminen liess sich der Ministerpräsident dazu herab, über eine staatliche Beteiligung am Fiat-Konzern nachzudenken, um zu verhindern, dass GM ab dem Jahr 2004 den maroden Auto-Hersteller aus Turin zu Gunsten von Opel ausschlachtet.

Damit dankt der Patriarch für immer ab. Berlusconi wird das Lebenswerk Agnellis nicht schonen. Er wird Fiat zu den besten Konditionen an GM verkaufen, weil er weiss, dass er sich damit in Italien profilieren kann. Berlusconi als Retter von Fiat: Berlusconi, der Agnellis private Fiataktien als Staat aufkauft, um bei der Übernahme von GM durchsetzen zu können, dass bestimmte Standorte in Italien für die Autoproduktion erhalten bleiben.

Wenn Berlusconi zeigen kann, dass er da erfolgreich ist, wo Gianni Agnelli versagte, wenn er Massenentlassungen bei Fiat verhindern kann, könnte das reichen, ihm genug Popularität einzubringen, um seinen Traum wahr werden zu lassen. Denn Berlusconi hat sein Karriereziel noch nicht erreicht. Er will erst die Verfassung nach französischem Vorbild ändern und dann Staatspräsident werden. Fiat bietet ihm eine gute Chance, das Ziel zu erreichen. Und einen Staatspräsidenten hatten die Agnellis nie in der Familie.