Oracle-Gründer und -Cheftechnologe Larry Ellison verkündet seit Jahren, dass sein kalifornischer Technologiekonzern im Cloud-Markt eine Führungsposition übernehmen wird. So auch auf Oracles Kundenkonferenz, mit der das Unternehmen Ende Oktober Teile der ohnehin verstopften Innenstadt von San Francisco unpassierbar machte.
Vier Tage lang bewarben der Oracle-Verwaltungsratschef und seine Topmanager ihre teils neuen, durch maschinelles Lernen, künstliche Intelligenz und autonome Softwareroboter aufgerüsteten Cloud-Lösungen, mit denen sie den Rückstand beim Cloud-Computing zu verringern hoffen. Der 74-jährige Ellison, ein für seine markigen Sprüche bekanntes Silicon-Valley-Urgestein, widmete seine Reden mehrheitlich diesem Thema und schoss gegen besser aufgestellte Rivalen wie SAP und Amazon: Oracles Angebot sei «billiger, schneller, besser und sicherer», behauptete Ellison.
Oracle wird sich ranhalten müssen, um seinen Marktanteil bei Cloud-Infrastruktur auszubauen und die durch vergleichsweise tiefes Cloud-Umsatzwachstum skeptisch gewordenen Wall-Street-Analysten zu überzeugen. Dass Oracle den Schwerpunkt der Hausmesse auch dieses Jahr auf das Thema Cloud-Computing legte, zeigt auch, wie wichtig dieser Wachstumsmarkt vor allem für die grossen Technologiekonzerne ist. Immer mehr Unternehmen verlagern immer grössere Teile ihrer IT und Daten in eigene und die via Internet zugänglichen Cloud-Rechenzentren von unterschiedlichen Anbietern.
Auch hierzulande nimmt das Thema Cloud an Fahrt auf. Dabei haben gerade in der Schweiz rechtliche Bedenken bisher viele Unternehmen davon abgehalten, Cloud-Lösungen zu nutzen. Sie wollten ihre Daten nicht im Ausland gelagert sehen. Derweil haben Anbieter wie etwa Microsoft auch hier im Land nun Datacenter errichtet. Und selbst die Six Group erwägt, eine eigene Cloud bauen zu wollen.
Kein Wunder, dass so viel los ist: Allein der Markt für die im Branchenjargon Public Clouds genannten Angebote – boomt mit Wachstumsraten von jährlich mehr als 20 Prozent. Anbieter vermarkten dabei IT wie Rechnerkapazität, Speicherplatz, Netzwerk-Hardware, Entwicklungsumgebungen, Datenbanken und Anwendungen, die Unternehmenskunden via Webbrowser anmieten und managen können. Der weltweite Markt für Public Clouds wird sich von 154 Milliarden Dollar im vergangenen Jahr auf mehr als 300 Milliarden Dollar im Jahr 2021 verdoppeln, prognostiziert die US-Marktforschungsfirma Gartner.
Cloud-Pionier aus Seattle
Marktführer im Markt für Public Clouds ist Amazon. Die meisten Menschen kennen den Konzern aus Seattle als grösstes Online-Warenhaus der Welt. Es erwirtschaftete im jüngsten Geschäftsjahr 178 Milliarden Dollar Umsatz. Dass Amazon zu einem der drei Unternehmen mit der höchsten Börsenbewertung aufsteigen konnte, ist auch eine Folge der Pionierarbeit im Cloud-Computing. Amazon schickte seine Cloud-Sparte Amazon Web Services (AWS) bereits 2006 an den Start und beherrscht laut Berechnungen von Synergy Research den Markt für Public Clouds mit fast 35 Prozent. Betrachtet man das Teilsegment Cloud-Infrastruktur (Infrastructure as a Service oder IaaS), bei dem Kunden Dienste wie Server, Speicher, Netzwerke und Betriebssysteme anmieten, kam Amazon 2017 laut Gartner auf einen Marktanteil von 52 Prozent.
35 Prozent beträgt der Amazon-Marktanteil bei Public-Clouds.
AWS wächst seit 2006 sprunghaft und ist die lukrativste Sparte des Konzerns, der die Geduld seiner Investoren seit Jahren mit niedrigen Margen strapaziert. Im am 30. September beendeten Quartal, in dem der AWS-Umsatz um 46 Prozent auf fast 6,7 Milliarden Dollar stieg, lag die Umsatzrendite dieser Sparte bei 31 Prozent, verglichen mit einer konzernweiten Umsatzrendite von knapp 7 Prozent.
Der grösste Konkurrent von AWS ist nicht etwa Oracle, sondern Microsoft. Der weltgrösste Softwarekonzern stieg zwar erst 2010 mit seinem Cloud-Angebot in den Markt ein, kommt mittlerweile aber auf fast 14 Prozent IaaS-Marktanteil und beschleunigt das Wachstum massiv. Auf dem dritten Platz der Gartner-Rangliste liegt der chinesische Internetkonzern Alibaba (4,6 Prozent), gefolgt von Google (3,3 Prozent). «Es ist derzeit ein Rennen zwischen Amazon und Microsoft», sagt Gartner-Analyst Raj Bala. Google mache Fortschritte, liege aber noch weit zurück.
Dass im Internet gross gewordenen Konzerne wie Amazon, Alibaba und Google besser im Cloud-Markt positioniert sind als gestandene IT-Schwergewichte, kommt nicht von ungefähr. Bau, Betrieb und Sicherung riesiger Rechenzentren und gewaltiger Datenbestände über das Internet ist das Geschäft der digitalen Konzerne. Microsoft unternahm bereits unter dem früheren Vorstandschef Steve Ballmer einen Kraftakt um die Abhängigkeit von Software-Lizenzen und dem Windows-Betriebssystemgeschäft zu vermindern.
Er investierte Milliarden in die Entwicklung des ersten Cloud-Angebots, das seitdem mit Milliardeninvestitionen ausgebaut wird und jedes Quartal ein hohes Umsatzwachstum ausweist. Ballmers Nachfolger Satya Nadella, der 2014 zum CEO aufstieg, verstärkte die Cloud-Investitionen zusätzlich. Er tätigt zudem Cloud-Übernahmen wie den im Oktober abgeschlossenen, 7,5 Milliarden Dollar schwere Kauf der Cloud-basierten Software-Entwicklungsplattform Github. All diese Aktivitäten treiben den Aktienkurs und Microsofts Börsenwert, der auf über 840 Milliarden Dollar geklettert ist. Nur Apple ist mehr wert.
Rennen noch offen
Obwohl die vier grössten IaaS-Anbieter laut Gartner 2017 über 70 Prozent des globalen IaaS-Marktes ausmachten, ist das Rennen noch lange nicht entschieden. Eine leistungsstarke, ausfallsichere und schnell den wechselnden Bedürfnissen anpassbare IT wird zur Grundvoraussetzung für alle Unternehmen – der Markt ist gigantisch.
Viele Schweizer Unternehmen verlagern ihre IT zunehmend in die Cloud, sie nutzen mehrere Public Clouds gleichzeitig: Die Post ist neuerdings Kunde von AWS, ebenso wie Novartis. Microsoft führt Grossunternehmen wie die UBS und Swiss Re und den Uzwiler Anlagenbauer Bühler AG als Vorzeigekunden auf. Zu den Kunden der Google-Cloud gehören etwa Roche und der Kioskkonzern Valora.
In private oder öffentliche Clouds ausgelagerte IT ermöglicht eine drastische Verringerung der Investitionen und laufenden Kosten, da der Kauf und Betrieb eigener Server, Speichersysteme, Anwendungen und ganzer Rechenzentren umgangen werden kann. Um sich ein grösseres Stück von diesem boomenden Markt zu sichern, investieren grosse und kleine Anbieter in immer neue Cloud-Angebote.
Vor zwei Wochen erst kündigte IBM den Kauf des Linux-Spezialisten Red Hat an, mit dem IBM-Chefin Ginni Rometty das Wachstum wieder zu beleben hofft. Mit einem Preis von rund 34 Milliarden Dollar stemmt der immerhin 117-jährige New Yorker Technologiekonzern nicht nur den bei weitem grössten Zukauf seiner Geschichte – es ist die grösste Software-Übernahme aller Zeiten.
Die Red-Hat-Version des Linux-Betriebssystems soll IBM-Kunden helfen, ihre eigenen Rechenzentren mit unterschiedlichen Clouds zu verbinden. Die meisten Cloud-Kunden setzen auf diese Mischung aus Public und Private Clouds, im Branchen-Denglisch Hybrid Clouds genannt.
«Der IT-Markt wird sich zunehmend in Richtung einer kleinen Anzahl von Hyperscale-Cloud-Anbietern bewegen», prophezeit Synergy-Analyst John Dinsdale. In Hyperscale-Rechenzentren sind Tausende oder sogar Millionen kleine, für eine bestimmte Anwendung optimierte Server in einem Netzwerk installiert – das Ganze ist bei steigender Anfrage schnell erweiterbar oder skalierbar.
Laut Dinsdale dürften Hyperscale-Cloud-Giganten wie Amazon, Microsoft, Google und auch IBM noch grösser werden und einen immer grösseren Teil der IT-Ausgaben von Unternehmen gewinnen, insbesondere durch das Hinzufügen neuer Technologien wie Maschinenlernen und künstliche Intelligenz.
Schutz vor Angriffen
Diese Technologien sollen auch dabei helfen, Cloud-Angebote vor der ständig zunehmenden Anzahl Cyber-Attacken und anderen Angriffen zu schützen, indem sie Vorfälle analysieren und identifizieren. Einige Branchen halten sich aus Sicherheitsbedenken oder wegen bereits getätigter IT-Investitionen aber beim Schritt in die Cloud immer noch zurück.
Die auf Software zur Steuerung von Unternehmensprozessen (ERP) spezialisierten Konzerne SAP und Oracle beispielsweise wollen ihre ERP-Kunden zunehmend in die Cloud bugsieren, allerdings muss in diesem Bereich noch Überzeugungsarbeit geleistet werden. Viele Kunden wollen unternehmenskritische Anwendungen und Daten oder die Kernprozesse wie Finanzen oder Lieferketten in der Hand behalten, auch wenn sie andere Bereiche wie etwa Marketing oder Vertrieb bereits in die Cloud ausgelagert haben.
Die Anbieter versuchen nun vermehrt, Finanzdienstleister von ihren Cloud-Angeboten zu überzeugen. Dieser Schritt der mit am stärksten regulierten Branche würde die Gültigkeit des Cloud-Computing validieren, so die Hoffnung. «Wenn Banken ihre Daten in die Cloud verlagern, hat das Signalwirkung für Unternehmen aus anderen Bereichen», sagte der bei Google für die technische Infrastruktur zuständige Top-Manager Urs Hölzle kürzlich im «Handelszeitung»-Interview. Technologieunternehmen wie Snap oder Apple, letzterer selbst Betreiber zahlreicher gigantischer Cloud-Rechenzentren für iPhone- und iCloud-Privatnutzer, sind längst in der Google-Cloud. Für die nächste Wachstumswelle geht es laut Hölzle um «die potenziellen Kunden, die keine Digital Natives sind und überzeugt werden wollen».
Private Cloud
Bei Private-Cloud-Lösungen werden IT-Ressourcen von einem einzigen Unternehmen oder einer öffentlichen Einrichtung genutzt. Die Dienste, Software und IT-Infrastruktur werden auf einem privaten Netzwerk verwaltet und sind den eigenen Mitarbeitern sowie gewissen Geschäftspartnern und Kunden zugänglich. Die private Cloud kann sich im Rechenzentrum beim Unternehmen befinden – manche Unternehmen bezahlen aber auch externe Dienstleister, damit diese die Private Cloud betreiben.
Public Cloud Technologiekonzerne besitzen und betreiben gigantische Rechenzentren, in denen Server, Speicher, Rechnerkapazität, Netzwerk-Hardware, Entwicklungsumgebungen, Datenbanken und Anwendungen öffentlich zugänglich sind. Unternehmen, öffentliche Einrichtungen und Privatpersonen können die Ressourcen via Webbrowser anmieten und verwalten.
Hybrid Cloud
Bei Hybrid-Cloud-Lösungen werden eine oder mehrere öffentliche und private Cloud-Umgebungen miteinander kombiniert. Daten und Anwendungen können zwischen den verschiedenen Clouds geteilt werden. Die getrennte und doch vernetzte Architektur ermöglicht Nutzern etwa die Ausführung geschäftskritischer Arbeitsaufträge (Workloads) in der privaten Cloud und die der weniger betriebsnotwendigen Workloads in der Public Cloud sowie die bedarfsabhängige Bereitstellung von Ressourcen aus beiden Umgebungen. So kann die bestehende Infrastruktur, Sicherheit und Compliance optimiert werden.
Cloud-Dienste:
Infrastructure as a Service (IaaS)
Dies ist ein Cloud-Computing-Angebot, bei dem ein Technologiekonzern den Nutzern Zugang zu IT-Ressourcen wie Servern, Speicher, Netzwerkkomponenten und Betriebssystemen via Internet zur Verfügung stellt. Unternehmen können ihre eigenen Plattformen und Anwendungen in der Infrastruktur des Anbieters verwenden. Kunden müssen keine Hardware kaufen und warten, sie bezahlen nach Bedarf. Gerade für Startups ist dieses Angebot ideal, da sie keinen riesigen Investitionsaufwand betreiben müssen und bei Bedarf sofort mehr Kapazitäten anmieten können.
Platform as a Service (PaaS)
Bei PaaS stellen Anbieter eine Cloud-Umgebung zur Verfügung, in der Kunden Anwendungen entwickeln, testen, verwalten und bereitstellen können. Mit PaaS-Diensten können Entwickler schneller Web- oder mobile Apps erstellen, ohne sich um die Einrichtung oder Verwaltung der dafür notwendigen Infrastruktur aus Servern, Speicher, Netzwerken oder Datenbanken kümmern zu müssen.
Software as a Service (SaaS)
Bei SaaS werden Softwareanwendungen (Textverarbeitung über Kundenverwaltung bis hin zu HR und der Steuerung von Unternehmensprozessen (ERP)) über das Internet zur Miete (meist per Abo) bereitgestellt. Kunden müssen die Software nicht verwalten, installieren, aktualisieren oder mit Sicherheitspatches versehen – das wird von SaaS-Anbietern wie Google, IBM, Oracle, Salesforce oder SAP übernommen, genauso wie die Sicherung der Daten. Der Zugriff ist von fast jedem Gerät mit Internetverbindung aus möglich.