Alstom steht auf der Kippe, aber am Ende wird der Staat wohl stüzend eingreifen.» Dies die nüchterne Feststellung von Swantje Conrad, Chefanalystin bei JP Morgan in London. Sie muss es wissen, hat sie doch jüngst ein Treffen unter Managern der europäischen Kapitalgüterindustrie moderiert. Von Siemens über ABB bis Schneider: Alles, was in der Industrie Rang und Namen hat, ist zum Anlass angetreten, um vor Investoren und Bankenvertretern zu präsentieren. Damit hoffen die Manager, Vertrauen bei institutionellen Anlegern zu schaffen, was sich wiederum positiv auf die Aktienkurse auswirken sollte. Angesichts des widrigen Marktumfeldes dürfte dies ein nicht allzu leichtes Unterfangen sein. Zumal einige Unternehmen ums nackte Überleben kämpfen. Den schwersten Stand haben Alstom und ABB. Ihnen steht das Wasser längst weit über den Hals hinaus. Die Franzosen plagen Schulden von über 5 Mrd Euro, und ABB drückt eine Last von rund 8 Mrd Dollar.
Um den Hochwasserspiegel zu senken, stehen zwei Massnahmen im Vordergrund: Beide Unternehmen sind gezwungen, innert kürzester Frist ganze Industrieeinheiten mit Umsätzen in Milliardenhöhe zu versilbern. Gleichzeitig müssen sie alles daran setzen, den Aktienkurs zu steigern. Doch der Spielraum ist begrenzt. Alstom etwa ist mit einer Marktkapitalisierung von derzeit noch gut 500 Mio Euro gerade noch im Midcap-Bereich anzusiedeln. Nicht eben vertrauensfördernd wirkt dabei die Tatsache, dass der französische Kraftwerkriese eine weitere Kapitalerhöhung braucht. Hinzu kommt, dass die Aktionäre auch von den geplanten Verkäufen in keiner Weise profitieren. Denn allfällige Verkaufserlöse dürften zuallererst an die kreditgebenden Banken abfliessen.
*«Trust me»-Faktor als Schocktherapie*
Als eigentlichen Schock verbuchten Marktbeobachter sodann die Hiobsbotschaft, dass Alstom entgegen bisheriger Beteuerungen die Probleme im Zusammenhang mit den Gasturbinen-Typen GT24/26 noch immer nicht gelöst hat. Von den bisher 80 ausgelieferten Grossturbinen soll nur jede vierte funktionieren. Bei 40 Anlagen sind Nachbesserungen ausstehend. In rund 20 Fällen wird über Korrekturen verhandelt oder es bestehen bereits Rechtskonflikte. Alleine für die Bereinigung dieser Probleme hat der Konzern weitere Rückstellungen von 1,2 Mrd Euro angekündigt.
Nach alledem bleibt bei Alstom für kursfördernde Massnahmen eigentlich kein Raum mehr übrig. Einzig vielleicht noch ein gewisser «Trust me»-Faktor, den der neue Konzernchef Patrick Kolb für sich in Anspruch nehmen kann. Er gilt in Frankreich als ähnlicher Hoffnungsträger für Alstom, wie dies Jürgen Dormann für den ABB-Konzern ist. Und genau so, wie es Dormann gelingen muss, bis Ende Jahr die Sparte Öl, Gas und Petrochemie sowie den Bereich Building Technologies zu veräussern, muss auch der Franzose bis spätestens 2004 wesentliche Konzernteile verkaufen, will er ein Liquiditätsproblem abwenden.
Bis 2004 will Kron Beteiligungen von mehr als 3 Mrd Euro verkaufen. Rund die Hälfte dieses Betrages soll der Bereich Übertragungstechnik (Transformation and Distribution; T&D) beitragen. Ferner ist der Verkauf der Industrieturbinen geplant, dessen Marktwert auf knapp eine Mrd Euro geschätzt wird. Die Geschäftseinheiten machen zusammen einen Umsatz von gut 5 Mrd Euro aus. Weitere Erlöse sollen der Verkauf von Immobilien sowie Kosteneinsparungen in der Höhe von rund 500 Mio Euro über die kommenden zwei Jahre einbringen.
*Beschränktes Interesse auf Käuferseite*
Allerdings ist das Kaufinteresse im Branchenumfeld beschränkt. Finanziell gesunde Unternehmen halten sich zurück. Dies, auch wenn sie über die theoretische Schlagkraft, zu akquirieren, verfügen würden, so Conrad. Angst und Unsicherheit prägten den Markt. Das Geschäft mit Kapitalgütern harzt allgemein (siehe Tabelle). Das vorrangigste Ziel in dieser Situation: Wer kann, der kümmert sich in erster Linie um die eigenen Belange. Oberste Priorität hat dabei die Präsentation einer möglichst soliden Bilanzstruktur. Da passen Übernahmegedanken schlecht ins Bild. Auch relativ gesunde Konzerne hegen wenig Interesse daran, durch Zukäufe ihre Ratings zu gefährden. Erwägt einer trotzdem zu akquirieren, dann müsste die Kaufgelegenheit schon nahezu 100-prozentig ins eigene Portfolio passen und das Verhältnis von Risiko und Preis restlos aufgehen. Sehr gut ins Portfolio von Siemens passen die Steuerungstechnik im Bahngeschäft sowie die Industrieturbinen von Alstom, an denen auch GE oder Caterpillar Interesse nachgesagt wird, während für das gut laufende T&D-Geschäft (Übertragungstechnik) von Alstom wiederum General Electric in Frage kommen könnte. Andere europäische Interessenten kommen in diesem Fall wegen kartellrechtlicher Beschränkungen weniger in Betracht. Auch für ABB sieht Conrad zumindest für Teile des OGP-Geschäfts Interessenten. So zum Beispiel für den Bereich Tiefseebohrungen, wo ABB über eine einmalige Technologie verfüge. Der Verkauf ganzer Geschäftseinheiten dürfte dagegen zum jetzigen Zeitpunkt schwierig sein.
Grundsätzlich stehen die Zeiten für M&A-Aktivitäten schlecht (vgl. «HandelsZeitung» Nr. 11). Gerade Alstom wird so nicht umhin kommen, beim französischen Staat anzuklopfen. Dieser wiederum wird es kaum zulassen, dass dem Milliarden-Konzern mit solch prestigeträchtigen Produkten wie dem Hochgeschwindigkeitszug TGV die grosse Pleite droht.
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Kapitalgüter: Mit dem Rücken zur Wand
Für Alstom und ABB wird es eng. Sie müssen möglichst rasch Konzernteile verkaufen, um nicht unterzugehen. Doch nicht nur sie stecken in der Krise. Die Märkte sind eingebrochen, und Investoren bleiben
Von Christian Huggenberg
am 18.03.2003 - 19:22 Uhr
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