Die Abteilung Festhallen hat an diesem sonnigen Nachmittag alle Hände voll zu tun. Während sich die einen mit Hochdruck und Wasserschlauch an die Reinigung des Mobiliars vom letzten feuchtfröhlichen Anlass machen, sind andere bereits wieder damit beschäftigt, die Einrichtungen für das nächste Partywochenende parat zu stellen. Karin Lenzlinger navigiert ihre Besucher bestimmten Schrittes durch das Areal der Lenzlinger Söhne AG in Nänikon: Doppelbodenproduktion und -montage, Parkett- und Teppichverlegerei, Metallbau, Schreinerei.
Das Familienunternehmen, 1862 in Uster gegründet, hat sich mit Dauer seiner Geschichte vom einfachen Handwerksbetrieb zum diversifizierten Spezialisten in der Sparte Innenausbau entwickelt. Hinzu kommt als wichtiges Standbein die Vermietung von Festhallen, hinzu kommt aber auch eine kleine Tankstelle. «Wenn man so will, sind wir schon ein bisschen ein Gemischtwarenladen», schmunzelt Karin Lenzlinger, während sie auf das Bürogebäude an der Hauptstrasse zusteuert, von dessen oberstem Stock aus die Geschicke des Betriebes geführt werden. Von ihr, der Ururenkelin des Firmengründers Johann Joseph Lenzlinger.
Immer Neues wagen aus Tradition
Tradition, das ist für die 45-Jährige klar, hat auch mit dem Mut zu tun, Neues zu wagen. Ein Verdikt, das durchaus auch bezüglich des Karriereverlaufs von Karin Lenzlinger Gültigkeit hat.
Dass Tradition verpflichtet, will Karin Lenzlinger nicht in Abrede stellen. Zum Engagement im Familienunternehmen habe sie sich indes nie gedrängt gefühlt. Im Gegenteil. «Man liess mir bei der Berufswahl alle Freiheiten.» Und so absolvierte sie, die von sich sagt, über keine «eindeutige Begabung» zu verfügen, erst einmal das Lehrerseminar, um anschliessend während dreier Jahre an einer Primarschule zu unterrichten. «Ich wollte schon in jungen Jahren auf eigenen Beinen stehen und unabhängig vom familiären Hintergrund agieren können», sagt die mittlerweile mit einem Unternehmensberater verheiratete Mutter zweier Söhne mit Blick auf ihren Einstieg in die Berufswelt.
Die eingeschlagene Route führte sie weiter an die ETH Zürich, wo sie Vorlesungen des Betriebsingenieuren-Lehrganges besuchte. Später ging es in die USA, um Englisch zu lernen und Kurse in Betriebswirtschaft und Organisationspsychologie zu absolvieren. Zurück in der Schweiz, schrieb sie sich an der Hochschule St. Gallen ein, wo sie am Institut für Technologiemanagement ihren Doktor machte. Titel der Dissertation: «Wettbewerbsfähigkeit des schweizerischen Industriesektors.»
Wirtschaft statt Wissenschaft
Die Türen zu einer wissenschaftlichen Karriere standen der frischgebackenen Dr. oec. zu diesem Zeitpunkt weit offen sie, ganz Spross einer Unternehmerdynastie, entschied sich indes für die Privatwirtschaft. Als Verantwortliche des Bereiches Doppelböden stieg sie 1993 bei Lenzlinger Söhne ein. Eine Herausforderung, habe sie damals von der Baubranche, deren Gesetzen und Gepflogenheiten doch kaum eine Ahnung gehabt. Und dann noch dieses nicht unwesentliche Detail: Sie als Frau inmitten eines von Männern geprägten Umfeldes. Mit einem Schulterzucken erinnert sie sich heute an eine Anekdote, die wohl so manch eine Frau in führender Position aus eigener Erfahrung kennt. «Da rief mich einmal ein Kunde an, unterhielt sich mit mir und sagte dann plötzlich: So, jetzt will ich aber noch den Chef sprechen.» Inzwischen, da ist sich die in zahlreichen Gremien und Verbänden engagierte Frau sicher, weiss die Kundschaft, dass bei Lenzlinger Söhne AG die Töchter das Sagen haben.
Die Stabübergabe vom Vater an die Töchter wurde im Ustermer Traditionsunternehmen 1999 vollzogen. Seither leitet Karin Lenzlinger den Betrieb zusammen mit ihrer Schwester Annette, einer Juristin, die sie denn vor allem auch in Fragen ihres Fachs berät. Vater Urs Lenzlinger präsidiert derweil den Verwaltungsrat.
Stand und steht Urs Lenzlinger im Ruf, ein Patron alter Schule zu sein, so sieht sich seine Nachfolgerin und Tochter eher als Chefin mit akademischem Hintergrund, die einen partizipativen Führungsstil anstrebt und grossen Wert auf Kommunikation und Teamarbeit legt. Karin Lenzlinger analysiert gerne, fährt, wenn es die Zeit zulässt, hinaus auf die Baustellen, um zu sehen, wie die eigenen Produkte eingesetzt werden und wie die Stimmung ist. Sie will diskutieren und motivieren, kurz: «Ich bin dafür verantwortlich, dass Ideen in Erfolge verwandelt werden und 250 Menschen am Erreichen dieser Ziele mitarbeiten.»
«Ich weiss, wann genug genug ist»
Dass im Verlaufe dieses Prozesses Entscheide mitunter rasch gefällt werden müssen, kommt dem Wesen und Führungsstil Karin Lenzlingers entgegen. Zwar sei sie stets darum bemüht, den persönlichen Betrachtungswinkel weit geöffnet zu halten, diverse Standpunkte anzuhören und möglichst viele Aspekte einer Problemstellung in ihre Überlegungen mit einzubeziehen, dennoch bereite es ihr keine Mühe, den richtigen Zeitpunkt zu finden, um ein Urteil zu fällen.
«Ich weiss schon, wann genug genug ist», sagt sie bestimmt, und fügt dem bei, dass Entscheidungsfreudigkeit eine zentrale Rolle in einer Führungsverantwortung spiele. Gleichwohl wie dies auch Sozial- und Fachkompetenz tun würden. Stichworte im Übrigen, die mitunter zur Aversion Karin Lenzlingers führen. Was sie als Chefin nicht ausstehen kann: Leute, die ihre Verantwortung nicht wahrnehmen wollen. Windschattenschleicher, denen die kleinste Form von Motivation abgeht. Und notorische Pessimisten, die jede Aufgabenstellung gleich zum vornherein ins Reich des Nichtmachbaren bugsieren. «Mit solchen Leuten kann ich nicht arbeiten», führt Karin Lenzlinger aus und ergänzt den Satz sogleich mit der Anmerkung, dass sie dies zum Glück auch nicht über Massen oft tun müsse. «Ich glaube, in einer dynamischen Branche wie der unseren haben Drückeberger sowieso keine Chance auf ein längerfristiges Auskommen.»
Die Töchter der Söhne
Das Unternehmertum hat Karin Lenzlinger erblich bedingt im Blut. Die Anerkennung musste sie sich erkämpfen. Mit professioneller Arbeit, wie sie sagt. Einer generellen Voraussetzung für Erfolg indes, die weder männliche noch weibliche Züge trägt. Und dank guter Planung, der Hilfe eines Kindermädchens und dem gesamten «Familienunternehmen Lenzlinger», das als solches ebenso privat funktioniere, sei es ihr auch möglich, Geschäft und Familie unter einen Hut zu bringen.
Bei all den Verpflichtungen, den beruflichen und privaten, dem Engagement in Organisationen und Fachverbänden (etwa Messe CH, Zürcher Handelskammer, Rotary Club), erstaunt es denn auch nicht wirklich, dass Karin Lenzlinger nur wenig Zeit für Hobbys findet. Sport, der Garten, ein gutes Konzert; ist genug Kraft getankt, begibt sie sich wieder in ihr Büro in Nänikon bei Uster, wo das Schild Lenzlinger Söhne AG den Besuchern den Weg zu ihr weist.
«Der Name ist gegeben, Lenzlinger kennt man seit über 100 Jahren als Lenzlinger Söhne, und es wäre falsch, dies ändern zu wollen», sagt sie, angesprochen auf die nunmehr inkorrekte Firmenbezeichnung. Allerdings, das haben die Frauen am Ruder des Unternehmens die Töchter der Söhne sozusagen mittlerweilen durchgesetzt, wird der Zusatz «Söhne» mehr und mehr aus dem offiziellen Logo verschwinden.
Profil: Steckbrief
Name: Karin Lenzlinger Diedenhofen
Funktion: Unternehmensleiterin und Delegierte des Verwaltungsrates der Lenzlinger Söhne AG, Uster
Alter: 45
Wohnort: Zürcher Oberland
Familie: Verheiratet, zwei Söhne
Karriere
1993 Promotion zum Dr. oec. HSG
1993-1999 Geschäftsbereichsleiterin Doppelböden in der Lenzlinger Söhne AG, Uster
Seit 1999 Unternehmensleiterin und Delegierte des Verwaltungsrates der Lenzlinger Söhne AG, Uster
Firma
Lenzlinger Söhne AG wurde 1862 als Zimmerei und Holzbaubetrieb gegründet. Heute ist das Unternehmen in einem breiten Spektrum des Ausbaugewerbes tätig. Die Geschäftsfelder: Element-Doppelböden; Parkett, Teppiche, Bodenbeläge; Schreinerei, Küchen, Gastrobau; Metallbau, Strassengeländer; Festhallenvermietung. Lenzlinger Söhne (LS) beschäftigt an den Standorten Nänikon, Uster, Zürich und Vernier GE rund 250 Mitarbeiter und erwirtschaftet einen Umsatz von rund 60 Mio Fr. Das Unternehmen zählt zu den grössten Arbeitgebern im Zürcher Oberland.