So tröstlich kann nationale Buchhaltung sein: Die Schweiz durchläuft eine zwölfmonatige Rezession, derweil die Chefstatistiker des Bundes nichts davon merken und bei fallender Produktionsleistung unbeirrt damit fortfahren, die Bevölkerung mit positiven Zuwachsraten bei Laune zu halten. Obschon das Bruttoinlandprodukt (BIP) der Schweiz während eines vollen Jahres zurückging, verharrte das Publikum bis vor kurzem im Glauben, bei der zu beobachtenden Eintrübung handle es sich lediglich um eine vorübergehende, statistisch kaum signifikante Verschnaufpause in einem langfristig angelegten Wachstumstrend. Erst als das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) Mitte September offiziell bekannt gab, dass der inflationsbereinigte Output der schweizerischen Volkswirtschaft im zweiten, im dritten und im vierten Quartal 2001 wie auch im ersten Vierteljahr 2002 in absoluten Zahlen rückläufig war, wurde die Schrumpfungstendenz sozusagen amtlich.

Die unpopuläre Wahrheit einer sinkenden Wertschöpfung lässt sich seither nicht mehr vom Tisch wischen. Selbst Bundesrat Pascal Couchepin, der seine Rolle als Volkswirtschaftsminister kaum dahin gehend interpretieren dürfte, den Wirtschaftssubjekten Angst einzujagen, kann mittlerweile nicht mehr anders, als den verfänglichen Begriff «Rezession» in den Mund zu nehmen. Weil das Konsumklima in den vergangenen Monaten trotz allem relativ stabil geblieben sei, habe in der fraglichen Zeitspanne niemand etwas davon gemerkt, rechtfertigte sich der freisinnige Departementsvorsteher in einem Interview mit der Boulevardzeitung «Blick». «Ich schaue lieber durch die rosa statt durch die schwarze Brille», sagte Couchepin.

Beruhigend zu wissen: Aus dem Blickwinkel der nationalen Buchhalter liegt die Rezession nicht mehr vor, sondern bereits hinter uns – was unter psychologischen Gesichtspunkten natürlich erhebliche Vorteile hat. Eine gewisse Skepsis gegenüber den amtlichen Zahlen bleibt in Anbetracht der fluktuierenden Datenreihen allerdings geboten, denn auch die jüngst in den Negativbereich gefallenen BIP-Messungen für die vergangenen vier Quartale sind vorläufig nur provisorischer Natur. Mit anderen Worten: Anlässlich der nächsten, mit Sicherheit auf uns zukommenden Datenrevision könnten die Vorzeichen da und dort durchaus noch einmal wechseln.

Bis es so weit ist, dürfen die Konsumenten erst einmal aufatmen und darauf hoffen, das Schlimmste sei überstanden. Unübersehbar bleibt allerdings, dass das Vertrauen in die Berechnungen der Konjunkturexperten – ähnlich wie in die Versprechungen der Finanzanalysten und Börsenpropheten – in letzter Zeit merklich gelitten hat. Phasenweise erinnert das Datengeschäft nämlich fatal an die Gesundbeterei und die Bilanzierungskosmetik aus der Trickkiste der in Verruf geratenen Manager. Um zu vertuschen, dass man, anstatt Reserven zu bilden, von der betrieblichen Substanz lebt, wird die Öffentlichkeit mit Pro-forma-Rechnungsabschlüssen und permanenter Beschönigungsrhetorik in falscher Sicherheit gewiegt.

Ähnlich scheint es sich heute – zumindest in Teilbereichen – mit der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung zu verhalten. Da die Konjunkturforscher alles vermeiden, was im Volk Angstreaktionen hervorrufen könnte, geben sie sich mit ihren Prognosen tendenziell immer einen Tick zu optimistisch. Anstatt den Wirtschaftssubjekten reinen Wein einzuschenken, behelfen sich die professionellen Kaffeesatzleser viel zu oft mit der sattsam bekannten Hinhalteformel, der Aufschwung stehe unmittelbar bevor. Entprechend häufig mussten die Auguren in den letzten Jahren über die Bücher, um ihre zweckoptimistisch gefärbten Prognosen in einem rollenden Prozess von Abwärtskorrekturen der weniger beschaulichen Realität anzupassen.

Angesichts der Hartnäckigkeit der Flaute, in der sich die Weltwirtschaft derzeit befindet, und der Vielzahl von schwer einschätzbaren Grossrisiken, die einen möglichen Aufschwung gefährden könnten, lässt sich unter Konjunkturbeschauern neuerdings ein Bestreben zu mehr Realismus ausmachen. So stellt heute kaum mehr einer der Auguren ein Ende der wirtschaftlichen Lethargie vor Mitte des kommenden Jahres in Aussicht. Sollte man darin einen Anlass zu berechtigter Hoffnung erblicken? Auch wenn die weltweiten Rahmenbedingungen gegenwärtig nicht eben ermutigend sind und die Gefahr grösser denn je erscheint, dass mit dem Konsum der amerikanischen Privathaushalte in den kommenden Monaten auch noch die letzte Stütze der schleppenden Weltkonjunktur wegbricht, wäre es verfehlt, die Flinte jetzt schon ins Korn zu werfen. Besser hält man sich wohl an eine psychologische Grundregel, die besagt, dass die Wende zum Besseren nicht mehr fern sein kann, wenn die Pessimisten erst einmal die Oberhand gewonnen haben.

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