Der Roman «Crazy Rich Asians» von Kevin Kwan war bereits ein Bestseller. Nun hat die Verfilmung in den USA einen überraschend starken Kinostart hingelegt. In den ersten fünf Tagen spielte das Liebesdrama 39 Millionen Dollar ein. Am 30. August kommt der Film auch in der Schweiz auf die grosse Leinwand.
Angesiedelt zwischen «Stolz und Vorurteil» und Klatschmagazin bietet «Crazy Rich Asians» einen Einblick in den exzessiven Lebensstil und die Liebesgeschichten von Asiens Ultra-High-Net-Worth-Familien. Diese haben sich in den letzten Jahren zu wichtigen Kunden für die Luxusindustrie und den Kunstmarkt entwickelt. Kein Wunder: Nirgends auf der Welt stieg die Zahl der Superreichen so stark wie in Ostasien seit der Einführung der Marktwirtschaft in China.
Die «Handelszeitung» sprach im vergangenen Jahr mit Autor Kevin Kwan über das Leben der Superreichen in Asien und ihre Bezüge zur Schweiz und Schweizer Luxusprodukten. Nachfolgend lesen Sie das damalige Interview:
Sie sind der Autor von «Crazy Rich Asians». Ähnelt Ihr Background dem der Superreichen?
Kevin Kwan: Meine Bücher zeigen die Welt, in der ich aufgewachsen bin. Mein Urgrossvater war Mitgründer der ersten Bank Singapurs, der Oversea-Chinese Banking Corporation. Ursprünglich komme ich also aus einer Banker-Familie, noch heute gehört sie zur High Society von Singapur. Als Kind nimmt man das aber natürlich nicht wahr. Dein Onkel ist einfach dein Onkel und nicht der Finanzminister.
Die Personen in Ihren Büchern gehen mit ihrem Reichtum verschwenderisch um. Stört Sie das?
In meinen Büchern versuche ich, die Welt möglichst so abzubilden, wie ich sie sehe. Dann liegt es an meinen Lesern, zu entscheiden, ob sie diese Welt abstösst, ob sie meine Kreaturen lächerlich finden oder ob sie sich davon inspiriert fühlen. Ich versuche, neutral zu bleiben und Menschen in all ihren Facetten zu zeigen – gut und schlecht, sympathisch und widerwärtig. Nur weil jemand reich ist, ist er kein Bösewicht.
Und in der realen Welt?
Schauen wir die Welt als Ganzes an, dann gibt es unzweifelhaft eine grosse Ungleichheit. Es ist ein Problem, dass es dieses eine Prozent gibt – in der Schweiz, in den USA und in Asien – dem der grösste Teil der Welt gehört. Wogegen den übrigen 99 Prozent nur wenig bleibt. Das ist ein fundamentales, wirtschaftliches Problem. Ich löse dieses Problem nicht, aber ich lege den Blick auf die Schicht der Superreichen frei. Anschliessend liegt es an den Lesern, ihre eigenen Schlüsse zu ziehen: Wollen sie diese Welt verurteilen oder Teil davon werden.
In Ihren Büchern finden sich erstaunlich viele Bezüge zur Schweiz. Wie wird die Schweiz in diesen Kreisen wahrgenommen?
Die Schweiz wird generell sehr bewundert – das Land und die Leute werden als Vorbild gesehen. Singapur wird auch gerne als die Schweiz Asiens bezeichnet. Sauber, geordnet, gut organisiert, effizient – das sind keine schlechten Stereotype. Die Schweiz dient vielen asiatischen Ländern als Orientierung. Dann steht Schweiz auch für Qualität: «Made in Switzerland» – Leute bewundern das, gerade bei Uhren.
Einer Ihrer Charaktere bezeichnet eine Uhr von Richard Mille als ultimative Milliardärsuhr. Wird das so gesehen?
Für einige stimmt das sicher. Bei anderen liegen Vintage-Modelle hoch im Kurs. Dann muss es die Rolex Daytona Paul Newman sein. Aber egal welche Vorliebe, in diesen Kreisen gehört für Männer das Sammeln von Uhren dazu. Eine gute Schweizer Uhr gehört zur Garderobe. Massgeschneiderte Anzüge, die richtigen Schuhe – diese Dinge zählen.
Äusserlichkeiten sind alles?
Image ist für Asiaten sehr wichtig. Alles dreht sich darum, wie man aussieht und wie man wahrgenommen wird, welches Auto man fährt, wo man lebt. Das gehört zur Kultur. Aber dann gibt es auch die, die das überhaupt nicht kümmert – meist die ganz Reichen. Einen der reichsten hundert Männer der Welt etwa würde man auf der Strasse nie erkennen. Er sieht aus wie ein Busfahrer. Mit seinen 16 Milliarden Dollar muss er nichts mehr beweisen. Er braucht keine auffällige Uhr.
Was sind die Statussymbole der asiatischen Frau?
Aussehen ist sehr wichtig, angefangen beim Hautton – je weisser, desto besser. Diese Erfahrung hat kürzlich auch Schauspielerin Constance Wu machen müssen, als sie für die Verfilmung von «Crazy Rich Asians» in Singapur war. Ihr, einer amerikanischen Chinesin, wollten Leute überall Aufheller verkaufen. Für die High-Society-Frauen in Asien ist der Hautton und alles, was man trägt, zentral. Marken sind Kennzeichen und dienen dazu, jemanden in der Gesellschaft zu positionieren. Frauen können andere Frauen anschauen und anhand der Ohrringe oder Handtasche genau beurteilen, woher sie kommen, wozu sie gehören.
Ehrlich?
Ich mache ein Beispiel. In New York habe ich eine Person getroffen, die vorgegeben hat, von einer der wichtigsten Familien Hongkongs abzustammen. Ich hatte aber von dieser Familie noch nie gehört und hatte bei unserem Treffen auch nicht den Eindruck, dass sie tatsächlich von einer solchen Familie stammt. Also habe ich bei einer Freundin aus Hongkong nachgefragt, die selbst in diesen Kreisen verkehrt. Ihre erste Frage war: Trägt sie Chanel von Kopf bis Fuss? Wenn ja, dann ist es eine Hochstaplerin. Eine wirkliche Hongkonger Oberschicht-Frau würde sich niemals in einer Marke von oben bis unten ausstatten. Reichtum ist sehr subtil.
Kommen solche Hochstapler häufig vor?
Die gibt es, aber eher im Westen. In Asien ist es schwierig, da kennt jeder jeden. Die Leute waren im gleichen Kindergarten, in der gleichen Schule. Die Schicht der Superreichen ist nicht gross, vielleicht einige hundert pro Land, und sie ist ein eingeschworener Kreis.
Ist die Schweiz auch ein Reiseziel dieser Geldelite?
Unbedingt und immer mehr. Es hängt natürlich davon ab, wen man fragt. Teils kennen die Superreichen die Schweiz seit langem, teils entdecken sie die Destination erst heute. Mein Vater und meine Mutter haben in den 1970er Jahren mit Freunden in der Schweiz Ferien gemacht. Jetzt kommen zwar die neuen Reichen, doch die Faszination für die Schweiz gibt es in Asien schon viel länger.
Wie reisen Superreiche?
Sehr individualisiert, je nach Familie. Die neureichen Chinesen reisen am liebsten in geführten Gruppen. Da sie kaum Englisch sprechen, sind sie auf Reiseführer angewiesen. Auch beim Essen haben sie spezielle Vorlieben, am liebsten soll es immer chinesisch sein. Dann aber gibt es auch andere. Wenn etwa meine Familie reiste, dann übernachteten wir in authentischen Boutique-Hotels, assen in lokalen Restaurants und kamen mit den Leuten hier in Kontakt. Auch Skifahren ist sehr populär geworden. In meiner Familie geht man nach Verbier und St. Anton – seit zwanzig Jahren schon.
In Ihrer Trilogie tauchen auch zwei Schweizer auf. Der Koch Frédy Girardet und der Architekt Peter Zumthor. Wie kamen Sie auf diese zwei?
Ich bin ein Bewunderer der Arbeit der beiden. Frédy war in den 1980ern sehr populär, viele Leute besuchten sein Restaurant. Und Zumthor ist grossartig, er gehört zu meinen liebsten Architekten. Sein Thermalbad in Vals ist wirklich erstaunlich. Ich würde gerne mal hingehen.
Und welche Rolle spielen Schweizer Banken für die ganz reichen in Asien?
In der Vergangenheit waren Schweizer Banken sicher Teil der Vermögensstrategie. Man wollte die besten Banker der Welt. Für superreiche Familien war die Schweiz Teil der Diversifizierung. In den letzten zehn Jahren hat sich das geändert, mit dem Ende des Bankgeheimnisses und der Bereitschaft der UBS, mit den Behörden in den USA und anderswo zu kooperieren. Die Schweizer Banken und die Schweiz als Bankenplatz haben an Reputation verloren. Die Schweiz ist nicht mehr der sichere Hafen von einst.
Wer hat die Schweiz abgelöst?
Wo immer es am verschwiegensten ist, dort ist das Geld. Singapur ist ein wichtiger Hafen.
Für Chinesen ist es wichtig, das Vermögen ausser Land zu bringen?
Genau, aber eigentlich gilt das für alle in der Region. Reiche Thais, Filipinos, Malaysier, sie alle haben Offshore-Konten. Singapur ist tatsächlich die neue Schweiz geworden, könnte man sagen.
Die Ultrareichen in «Crazy Rich Asians» sind stark nach Westen ausgerichtet. Ist das ein neues Phänomen?
Für die Topfamilien in Asien hat die Erziehung der Kinder höchste Priorität. Für die bestmögliche Erziehung geben sie auch das meiste Geld aus. Aber das ist nicht neu, auch die alten Familien waren sehr international ausgerichtet. Mein Grossvater wurde in Schottland ausgebildet. Er ging auf die Universität Edinburgh. Mein Vater wurde in Australien ausgebildet und war an der Uni in Sydney. Wenn du Geld hattest, hast du deinen Kindern eine anständige westliche Bildung ermöglicht. Und es war sehr wichtig, dass die Kinder perfektes Englisch sprachen.
Die Chinesen sind sich bewusst, dass ihr Land sehr wichtig wird. Ändert das die Wahrnehmung des Westens und der westlichen Bildung?
In den Familien der Superreichen in Festlandchina? Nein. Sie wollen immer noch den Westen nachahmen. Das ultimative Statussymbol für eine Familie in Festlandchina ist es, ihr Kind nach Harvard oder ans MIT zu schicken. Aber immer öfter geht der Plan nicht auf: Die Kinder wollen aus New York nicht mehr weg – aber wenn sie in der Familie bleiben und die Geschäfte erben wollen, dann müssen sie nach Schanghai oder Peking zurück. In dieser sehr spezifischen Welt der Ultra-High-Net-Worth-Familien führt das zu grossen Konflikten.
Wie unterscheiden sich die reichen Asiaten – bei Ihnen meist chinesischer Abstammung – von den anderen Ultrareichen der Welt?
Es ist interessant, dass Reichtum im Westen viel mehr mit persönlichem Luxus zu tun hat. Die Leute geben ihr Geld privater aus und leben viel diskreter. In Asien dagegen pflegen diese Familien einen «imperialen» Lebensstil, wie ich es nenne. Zehn bis zwanzig Hausangestellte und eine Autoflotte sind da normal.
In den USA ist das anders?
Ja, selbst in New York – ich kenne einige Leute aus extrem reichen Familien – wollen Reiche so normal wie möglich sein – auf ihre Art. Meist kommen sie ohne Hausangestellte aus, die mit der Familie wohnen. Maximal gibt es eine solche Angestellte und Putzhilfen, die regelmässig kommen. Zu viele Hausangestellte oder zu viele Nannys gelten als Schande. Ein Kindermädchen für alle Kinder geht vielleicht, aber kommst du nach Asien, dann siehst du was ganz anderes.
Zum Beispiel?
Ich kenne eine Familie, die sich selbst als Mittelklasse beschreibt, die aber zehn Haushaltshilfen hat. Sechs sind das Minimum.
Und alle leben im Haus bei der Familie?
Ja, absolut. Alleine für das Gästehaus, wo ich untergebracht war, hatten sie drei Angestellte, die permanent anwesend waren.
Keiner würde das als dekadent bezeichnen?
Nein, es ist normal, sie sind einfach diesen Lebensstil gewohnt. Wenn die Familie am Abend ausgeht, braucht sie dafür mehrere Autos. Das ist eine richtige Entourage: ein Auto für die Eltern, ein sehr luxuriöser Minivan für die Kinder mit ihren einzelnen Nannys, dann noch eines für die Bodyguards. Sie leben in einer völlig anderen Welt als die Leute im Westen.
Könnte sich dies ändern?
Nein, es ist der Lebensstil. Es ist lustig, ich kenne diese eine Familie, die ihre Angestellten wegen Visaproblemen nicht auf Reisen mitnehmen konnte. Die Mutter jammerte: «Oh mein Gott, ich musste die ganzen Ferien mit meinen Kindern verbringen und habe beinahe meinen Verstand verloren. Ich musste sie füttern, anziehen... Wir waren in einem Resort, aber erholen konnte ich mich nicht.»
Kinder als Last?
Natürlich spielen die Mütter mit ihren Kindern. Aber damit hat es sich.
Sie scherzen?
Nein. Aber natürlich sind nicht alle so. Eine andere Mutter, die ich kenne, hat entschieden, mit ihren Kindern aus Asien wegzugehen. Eines Tages wollte sie die Kinder holen – kleine Kinder –, und jedes von ihnen sass auf dem Bett, während das Kindermädchen ihnen die Schuhe band. Für sie war das ein Weckruf und sie sagte sich: «Genug, ich will, dass meine Kinder ihre Schuhe selber binden können. Wir gehen!» Sie zog also in die USA, damit ihre Kinder selbstständig werden und lernen, ihr eigenes Leben zu leben.
Ganz ohne Nannys?
Ich glaube, sie hat noch zwei. Zwei Vollzeit-Haushaltshilfen. Aber in Asien wären es zehn. Das hat auch damit zu tun, dass man mit dem gleichen Geld viel weiter kommt. Ja, wenn du reich bist und beispielsweise auf den Philippinen wohnst, kostet eine Haushaltshilfe, die im Haus wohnt, 150 Dollar pro Monat. Als Multimillionär kannst du dir locker zehn Angestellte leisten – selbst Schuhe kosten mehr.
Im ersten Buch Ihrer Trilogie sind die reichen Leute meist ethnische Chinesen in anderen Ländern Südostasiens.
Ja, ich nenne sie Überseechinesen. Chinesen, die China vor Generationen verlassen haben und in Singapur, Hongkong, Taiwan und anderen Ländern leben. Im ersten Buch geht es um altes Geld – Geld, das vor Generationen gemacht wurde. Aber für die Fortsetzung, die ich zuerst «Crazier Richer Asians» nennen wollte, musste ich nach Festlandchina schauen, weil der Reichtum dort noch extremer geworden ist. In der Vergangenheit hat es einige Generationen gedauert, um 1 Milliarde Dollar anzuhäufen. Im heutigen China reicht eine halbe Dekade. Jack Ma hat Alibaba in seinem Wohnzimmer gestartet, jetzt, ein paar Jahre später, gehört er zu den Reichsten Chinas.
Darum auch die neureiche Festlandchina-Familie, die im zweiten Buch im Zentrum steht?
Ich wollte zeigen, welche Transformation des Reichtums in Asien in den letzten zwei bis drei Jahrzehnten stattgefunden hat. Eine neue Klasse der Reichen ist entstanden. Seit die Chinesen ihre Wirtschaft geöffnet haben, ist das Wachstum explodiert. Sie haben so viel Reichtum produziert – inzwischen gibt es mehr Milliardäre in China als irgendwo sonst auf der Welt und ich glaube auch mehr Millionäre. Und das alles passierte in den letzten zwanzig Jahren.
Trotzdem schauen reiche Singapurer auf reiche Chinesen herab – zumindest in Ihrem Buch.
Genau. Selbst in der asiatischen High Society gibt es viel Snobismus untereinander. Die Chinesen werden als exzessiv angesehen. In China beobachte ich eine Extremform des extremen Reichtums. Sie dominieren den Kunstmarkt, wollen alle teuren Modiglianis aufkaufen. Sie erobern den Uhrenmarkt, kaufen alle Vintage-Uhren, alle teuren Patek Philippes. Ich denke, das liegt daran, dass das Geld so schnell gemacht wurde.
Wie hat sich die Wahrnehmung der Festlandchinesen verändert?
Für den Westen hat sich viel geändert, weil sie gemerkt haben, dass bei den Chinesen das grosse Geld zu holen ist. Man muss sich um sie kümmern. Selbst in New York hat jede teure Boutique mindestens einen Angestellten, der perfektes Mandarin spricht. Man richtet sich nach dem Geld. Doch in Asien sieht es anders aus.
Singapurer halten sich also weiter für etwas Besseres?
Ja, das hat sich sogar noch verstärkt. Aber nicht nur in Singapur, sondern auch in Hongkong, in Thailand. Überall, wo die reichen Festlandchinesen hingekommen sind, sind die etablierten Reichen noch insularer geworden, um diese Leute draussen zu halten. Du willst nicht, dass dein Sohn eine Festlandchinesin heiratet. Dabei waren all diese Leute selbst ursprünglich Festlandchinesen. Es ist seltsam, dass der Zeitpunkt, wann deine Familie ausgewandert ist, als so wichtig angesehen wird.