BILANZ: Danke für das Gespräch, Herr Wellershoff, trotz Maulkorb, oder sind Sie den inzwischen wieder los?
Klaus Wellershoff: Ich bin bei meinen Äusserungen wieder deutlich freier, weil die UBS mit meinem Abgang nun einverstanden ist und die Modalitäten klar sind. Zudem muss sich ein Arbeitgeber innerhalb gewisser Grenzen bewegen.
Sie haben sich gewehrt, als die UBS Ihnen öffentliche Auftritte untersagte. Ein Rosenkrieg nach 14 gemeinsamen Jahren?
Ich will nicht über die Motivation für das zeitweilige Redeverbot spekulieren, aber vermutlich hätte man mich nach dem Abgang als Chefökonom lieber von der Bildfläche verschwinden sehen.
Ab wann sind Sie denn nun frei, und was möchten Sie tun?
Ab 1. September. Ich bin dabei, meine eigene Firma zu gründen. Gemeinsam mit Partnern möchte ich Unternehmen bei der Einschätzung von volkswirtschaftlichen Entwicklungen und Risiken beraten. Zudem bleibe ich im Verwaltungsrat von Schindler.
Ein Beratungsunternehmen mehr, ruft der Markt danach?
Gerade die aktuellen Entwicklungen haben deutlich gemacht, dass sich Firmen zunehmend systemischen und makroökonomischen Risiken aussetzen, oft ohne sich darüber bewusst zu sein, ohne sich professionell damit auseinanderzusetzen.
Die Welt ist komplex geworden.
Viele haben auch gemerkt, dass sie sich bei ihren Entscheidungen auf falsche Erwartungen stützen. Da tragen die Ökonomen die Schuld, die falsche Sicherheiten erzeugt haben, durch Prognosen, die man eigentlich gar nicht abgeben kann – also Wechselkurs-Vorhersagen per 31. Dezember und so ähnlich –, anstatt sich auf die Dinge zu konzentrieren, über die wirklich aussagekräftige Prognosen möglich sind. Auch da möchte ich mich gerne positionieren. Mittelfristig möchten wir dann auch eng mit einer Universität zusammenarbeiten.
Inwiefern hat Ihr Abschied mit der Krise der UBS zu tun?
Ich habe eine lange, spannende Zeit bei der Bank verbracht und viel gelernt. Während zwölf Jahren war ich als Chefökonom bei der UBS tätig, da wird mir keiner verübeln, dass ich andere Herausforderungen suche. Trotz aller Loyalität kann ich aber auch nicht verhehlen, dass die vergangenen Jahre frustrierend waren.
Was war frustrierend?
Etwa die Art und Weise, wie man intern und extern auf die Probleme der Weltwirtschaft reagierte – oder eben nicht. Es war schwierig, zu den Leuten durchzudringen und sie davon zu überzeugen, dass nicht einfach alles weitergeht wie bisher.
Wenn man auf Sie gehört hätte …?
(lacht) Nein, nein, das sagt ja heute jeder. Was ich eher sagen wollte, ist dass ich mich in einem Umfeld wohlfühle, wo Meritokratie und Performance-Orientierung auch gelebt werden.
Wie lautet Ihre Einschätzung zur konjunkturellen Lage, haben wir den Boden bereits gesehen?
Viele geben sich derzeit dieser Illusion hin, doch insbesondere in der Industrie gibt es noch keine Anzeichen für eine Erholung. Im Gegenteil, in der zweiten Jahreshälfte werden viele Unternehmen Arbeitskräfte entlassen, das wird dann den Konsum belasten. Gleichzeitig sind die öffentlichen Haushalte zerrüttet, die Regierungen müssen Infrastruktur- und Wachstumspakete schnüren, gleichzeitig aber in vielen Bereichen auf die Bremse stehen.
Ab wann ist Besserung in Sicht?
Positive Wachstumsraten mögen wir eventuell schon Ende Jahr sehen, doch bis sich diese auf breiter Basis durchsetzen, dauert es sicherlich bis ins zweite Halbjahr 2010.
Und an der Börse? Hält der Aufwärtstrend an?
Die Erholung derzeit ist Resultat einer positiven Mischung. Einerseits ist da die Reaktion auf die Talfahrt vom März. Dazu kommt Optimismus aufgrund einiger «Green Shots», Hoffnungsschimmer, die da und dort ausgemacht werden können. Doch die nächste Enttäuschungswelle wird kommen.
Sie sind ja auch noch als Handballer aktiv, sitzen im Finanzvorstand bei GC.
Stimmt, aber auf dem Spielfeld bin ich nicht mehr aktiv, da macht meine Schulter nicht mehr mit. Ich war früher Goalie. Handball hat mir viel gegeben. Es ist ein Mannschaftssport mit differenzierter Rollenverteilung. Und natürlich lernt man gewinnen und verlieren.
Klaus Wellershoff: Seit 1995 stand der 45-jährige Dr. oec. HSG im Dienst der UBS, die vergangenen zwölf Jahre als Chefökonom. Zudem war der Deutsche Leiter des Research und des Anlageausschusses Wealth Management. Im Herbst trat er von diesen Posten ab. Anfang Jahr wurde bekannt, dass er die Bank verlassen wird.