Charlie Chaplin mochte sie, und auch Herbert von Karajan pflegte auf seinen Spaziergängen durch St. Moritz Winterschuhe von Kandahar zu tragen. Mit einem Foto des Dirigenten und seiner Frau aus dem Jahr 1964 wirbt die Schuhmarke für ihre Vintage-Linie im Retro-Stil. Zwar erweiterte Kandahar seit Ende der 1980er Jahre das Sortiment um modische Schuhe und Stiefel. Der Klassiker ist und bleibt aber der Reissverschlussschuh aus dem Jahr 1938 aus Seehundfell.

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Proteste von Tierschützern

Dieses Modell, der erste Après-Ski-Schuh überhaupt, ist in fast unveränderter Form nach wie vor erhältlich. Wegen des Seehundfells ist der Betrieb in den vergangenen Jahren hie und da von Tierschützern angegriffen worden. Die Seehundpopulation ist gemäss einer Auskunft von WWF Schweiz jedoch nicht mehr gefährdet. Ausserdem verwendet Kandahar ausschliesslich Felle von ausgewachsenen Tieren.

«Zum 75-Jahr-Jubiläum in diesem Jahr wollen wir wieder stärker auf die Retro-Linie setzen», erklärt Konstanze von Allmen-Obrowski, die bei Kandahar für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig ist. Ihr Schwiegervater Fritz von Allmen, ein Schuhmachermeister sowie passionierter Skirennfahrer und Skilehrer, gründete die Unternehmung in den 30er Jahren.

Wurzeln im Skiklub

Doch was hat die afghanische Stadt Kandahar mit Winterschuhen aus dem Berner Oberland zu tun? Kandahar war der Name des in Mürren ansässigen englischen Skiklubs. Der wiederum hiess so, weil ein ehemaliger englischer Befehlshaber Ende des 19. Jahrhunderts für seine militärische Leistung in Afghanistan von seinem Heimatland den Titel Baron Roberts of Kandahar erhielt. Besagter Roberts war skibegeistert und stiftete für ein Abfahrtsrennen einen Wanderpokal. Der Pokal wurde nach ihm benannt.

Die Vertreter des Skiklubs Kandahar baten den Schuhmachermeister Fritz von Allmen, Skischuhe für seine Mitglieder anzufertigen. Mit seiner handwerklichen Leistung waren die Engländer derart zufrieden, dass sie ihm den Namen Kandahar für seine Schuhmanufaktur anboten. Nach einigen schwierigen Anfangsjahren kam der Erfolg, und Fritz von Allmen verkaufte seine Schuhe an Fachgeschäfte in der ganzen Schweiz, in Städten sowie in Tourismus- und Wintersportorten.

15000 Paar

Seither hat sich in der Verarbeitung der Schuhe vieles modernisiert. Heute stellt Kandahar jedes Jahr 15000 Paar Schuhe her: Jeden Tag werden in der Schuhmanufaktur in Gwatt bei Thun 80 Schuhpaare produziert, zu Spitzenzeiten im Winter sind es sogar 100. Jeder Schuh durchläuft dabei 120 verschiedene Arbeitsschritte. Weil die meisten davon nicht automatisiert werden können, geschieht vieles in Handarbeit. Dass das 21. Jahrhundert Einzug gehalten hat, beweist aber der CAD-unterstützte Zuschnitt der Leder- und Fellstücke. Die Rohstoffe werden deshalb bereits in einer wasserundurchlässigen und atmungsaktiven Qualität eingekauft.

Material wie Winterpneus

«Nähte in einem Schuh können unbequem sein. Deshalb vermeiden wir jede unnötige Naht und stellen das Futter nur aus zwei Teilen Lammfell her», sagt CEO Dieter von Allmen. Pro Jahr verbraucht Kandahar 4 t Lammfell. In einem Feuchtigkeitsraum bleibt jeder Schuh während 24 Stunden auf seinem Leisten, damit er die richtige Form annimmt und behält. Die auf Schnee und Eis rutschfeste Sohle besteht aus demselben Material wie Winterpneus und verfügt über einen isolierenden Kern aus Naturkork. Jeder Schuh kann jederzeit in die betriebseigene Werkstatt zur Reparatur eingeschickt werden.

Solche Details und die hohe Qualität sind es, die Kandahar bisher davon abgehalten haben, ihre Produktion ins Ausland zu verlegen. «Wir haben schon oft darüber nachgedacht, aber uns immer wieder dagegen entschieden. Die Qualität könnte darunter leiden. Wir wollten beibehalten, was die Leute mit unserer Marke verbinden. Unsere Schuhe sollen keine Massenprodukte werden», so von Allmen.

Auch auf den verkaufsfördernden Hinweis «Made in Switzerland» wollte man nicht verzichten. «Wir sind der letzte Betrieb in der Schweiz, der Schuhe im eigenen Land produziert. Das ist eine Chance für uns», doppelt seine Ehefrau Allmen-Obrowski nach. Ebenso wenig will sich der traditionsreiche Nischenbetrieb dem Preisdruck der Branche anpassen. Schon früher habe man auf ein Paar Kandahar-Schuhe lange gespart. Und noch heute seien die Schuhe eine Investition, die sich wegen der langen Lebensdauer, der Wärme, der Trockenheit und des Komforts auszahle.

In Skandinavien gefragt

Auf dem US-Markt ist diese Rechnung allerdings nicht aufgegangen. Dafür will Kandahar in den nächsten Jahren Russland und China als neue Märkte ins Visier nehmen. Insbesondere in Russland sind bereits vielversprechende Kontakte geknüpft worden. An beiden Orten gibt es kalte Winter und auch eine kaufkräftige Bevölkerungsschicht. Bisher exportierte Kandahar 20% der Produktion ins Ausland. Die Tendenz ist steigend. Abnehmer sind vorwiegend skandinavische Länder sowie Deutschland und Österreich.

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FIRMENPROFIL

Name: Schuhmanufaktur

Kandahar AG, Thun-Gwatt

Gründung: 1932

Führung: Dieter von Allmen

Umsatz: Rund 3 Mio Fr.

Beschäftigte: 23

Produkte: Winterschuhe, Wanderschuhe, Après-Ski-Schuhe, Curlingschuhe, Golfschuhe

Internet: www.kandahar.com