In der Fabrikhalle reiht sich Maschine an Maschine. Alle sind sie mit grossen Stahldraht-Trommeln bestückt, die sich ruckartig bewegen. Der Lärm ist infernalisch, eine Verständigung nur mit erheblichem Stimmvolumen möglich. Doch Marco Zingg scheint dies nicht zu stören. Er führt durch seine Fabrik, die DT Swiss in Biel. Der 50-jährige Geschäftsleiter erklärt, dass diese Maschinen täglich Hunderttausende von Fahrradspeichen vollautomatisch auf die vorgegebene Länge schnitten und – nach vier weiteren Arbeitsgängen – schliesslich zum Versand bereit ausspuckten. Viele der Maschinen laufen sieben Tage die Woche rund um die Uhr.
Ein kleines Unternehmen, ein typisch schweizerisches KMU, wartet mit ganz grossen Zahlen auf. Die Hälfte aller rostfreien Velospeichen weltweit wird von DT Swiss hergestellt, in den USA mit eigenem Werk sind es gar 100 Prozent. In Europa beträgt der Marktanteil 50 Prozent, in Asien deutlich weniger, aber mit steigender Tendenz. Jährlich verbraucht DT Swiss 2000 Tonnen Draht von bester Qualität, der aus Schweden importiert wird. Aus diesem Draht entstehen 230 Millionen Speichen und ebenso viele sogenannte Nippel, mit denen die Speichen an der Felge festgeschraubt werden. Die Speichen werden in zwölf Grundtypen hergestellt, woraus 14 000 verschiedene Artikel in allen Längen und Farben entstehen. «Diese müssen wir alle am Lager haben», sagt Zingg. Geschäftsphilosophie sei, jederzeit jedes von den Kunden angeforderte Speichenset liefern zu können – eine gigantische logistische Leistung.
Hohen Anforderungen zu genügen, war seit der Gründung 1994 eines der zentralen Anliegen von DT Swiss. Schon das Management-Buy-out erforderte damals ein hohes persönliches und finanzielles Engagement des Gründer-Triumvirats. Neben Zingg sind Verkaufsdirektor Frank Böckmann und der technische Leiter Maurizio D’Alberto zu je einem Drittel an der Firma beteiligt. Sie kauften die Speichenproduktion aus den ehemaligen Vereinigten Drahtwerken Biel aus. Es war eine schwierige Operation. «Wir mussten uns bis unters Dach verschulden», sagt Zingg. Mit grösserem Absatzmarkt und breiterem Sortiment begann 1994 die Geschichte einer beinahe beispiellosen Expansion in Märkte und Regionen. Schon 1996 wurde das US-Geschäft aufgegleist. Im Gegensatz zu Westeuropa hat der US-Markt noch einiges an Potenzial. In Amerika wird das Velo ausschliesslich zu sportlichen Zwecken verwendet – der Alltagsgebrauch ist praktisch unbekannt. Nun will die US-Regierung das Bike in ihrem Kampf gegen das Übergewicht vorab bei Kindern schulwegtauglich machen.
Enorme Entwicklungsmöglichkeiten bieten künftig die osteuropäischen und die asiatischen Märkte. Osteuropa wird von der Schweiz aus bearbeitet, und für Asien hat man eine eigene Tochtergesellschaft gegründet.
Die Dynamik, welche die Firma seit ihrer Gründung an den Tag legt, lässt sich an den Zahlen nachvollziehen. Seit 1994 hat DT Swiss rund 130 Stellen geschaffen. Schon 1996 war der Umsatz auf zwölf Millionen Franken gestiegen. Der eigentliche Wachstumsschub folgte dann 1998 bis 2000, als der Umsatz auf 40 Millionen stieg. Ein Jahr später kam dann der Einbruch. Die gesamte Fahrradbranche trudelte in eine tiefe Krise, die zu einem starken Konzentrationsprozess führte. «Wir selbst», sagt Zingg, «konnten den Umsatz wenigstens halten.»
Möglich war dies nur dank einer Strategie, die auf eine schnelle Kadenz bei der Produktinnovation setzte. 1995 dehnte das Unternehmen die Speichen- auf die Nabenherstellung aus. 2003 erfolgte die Einführung der ersten DT-Swiss-Felgen. Damit war das Unternehmen zum Systemanbieter geworden – und weltweit die erste Firma, die alle Komponenten rund ums Velorad selbst fertigt. Mit ein Grund dafür war, dass die Produzenten nur noch ganze Systeme und nicht Einzelteile einkaufen wollen. Zwar arbeiten zwölf Ingenieure mit Volldampf an der Entwicklung neuer Produkte. Die Onyx-Naben, das Sortiment von mittlerweile 35 unterschiedlichen Highend-Felgen und der Dämpfer etwa sind Eigenentwicklungen. Doch gibt es eine günstige Gelegenheit, so werden Übernahmen nicht ausgeschlossen. Die Hügi-Naben wurden 1995 und die Pace-Federgabeln im letzten Jahr übernommen. «Durch den Kauf der englischen Pace haben wir die Entwicklungszeit einer eigenen Federgabel um zwei Jahre auf sechs Monate verkürzt», sagt Zingg. Die Produktion wird im Mai am Bieler Standort aufgenommen.
Für die Zukunft haben sich Zingg und seine beiden Mitstreiter einiges vorgenommen. Bis in fünf Jahren soll die Schallgrenze von 100 Millionen Franken Umsatz erreicht werden. Expansion und Innovation werden weiterhin die wichtigsten Themen am Hauptsitz in Biel sein. So müssen die Mountainbikes immer leichter und zugleich stabiler werden. Neue Materialien wie Karbon werden dazu eingesetzt. Schon jetzt ist das leichteste Fahrrad der Welt mit DT-Swiss-Komponenten ausgerüstet. Es gilt: je leichter das Mountainbike, desto schwerer der Preis. Ab 7500 Franken sind solche Highend-Produkte zu haben.
DT Swiss
Firmenname: DT Swiss
Hauptsitz: Biel
Umsatz: 60 Millionen Franken
Mitarbeiter: 160
Produktion: Schweiz, Taiwan, USA
Exporte aus der Schweiz: 90 Prozent
Produkte: Fahrradkomponenten und Kompletträder
Die Auswahl der Schweizer Top-KMU, die in dieser Serie vorgestellt werden, erfolgt in Zusammenarbeit mit dem Swiss Venture Club (SVC), der in allen sieben Wirtschaftsregionen einen Unternehmerpreis verleiht.