Er nennt sich Gastgeber, nicht Direktor, einfach nur Gastgeber. 40 Prozent seiner Arbeitszeit verbringt Christian Lienhard, Chef des Hotels Hof Weissbad im Appenzellerland, mit seinen Gästen. Die Türe seines Büros gleich neben der Réception ist immer offen – für die Anliegen der Gäste wie auch der 180 Angestellten. Und die Gäste danken es ihm. Mit einer Zimmerauslastung von 98 Prozent im letzten Jahr. Mit dem besten Ergebnis seit der Neugründung des Hofs Weissbad im Jahr 1994. Mit einer Kundentreue, von der andere Hotels derselben Klasse nur träumen können. 75 Prozent der Hotelgäste sind Stammkunden «In diesem Jahr wird unser Ergebnis noch besser», sagt Lienhard, «in den ersten Monaten haben wir alle bisherigen Rekorde geschlagen.»
Wie schafft dies ein Hotel nur, dessen Chef selbst sagt, dass «wir am Ende der Welt leben»? Dort hinten, wo der Alpstein seine langen Schatten wirft, die Hänge stotzig werden, die Strasse ins Niemandsland führt, spielt sich eine beispiellose Erfolgsgeschichte ab. An einem gewöhnlichen Donnerstag Anfang Juni ist der grosse Parkplatz vor dem Hotel bis auf den letzten Platz besetzt. Bis auf eines sind alle Zimmer belegt. Die grossräumige Terrasse ist mit Gästen brechend voll.
43 000 Übernachtungen zählt der Hof im Jahr, was einem Drittel der Übernachtungen im Kanton Appenzell Innerrhoden entspricht. Der Umsatz des ganzen Betriebs mit Rehabilitationsbereich und eigener Käserei beträgt 17,3 Millionen Franken. Er stieg im letzten Jahr um 4,6 Prozent. Der Cashflow erreichte die Rekordmarke von 3 Millionen Franken – ein Plus von 8,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Der Eigenkapitalanteil an der Bilanzsumme beträgt traumhafte 54,5 Prozent. Alle Investitionen werden aus den selbst erarbeiteten Mitteln bestritten. «Das können wir nur, weil unseren 2750 Aktionären die Unabhängigkeit des Hofs Weissbad sehr am Herzen liegt», sagt Lienhard. 2006 wurde über eine Million Franken in den Betrieb und in den Umbau der Hotelhalle investiert.
Vor rund 30 Jahren sah alles ganz anders aus. Das 1750 gegründete Kurhaus Weissbad musste schliessen. In den folgenden 20 Jahren stand die Liegenschaft leer, bis eine Gruppe Einheimischer sich aufraffte und eine Neugründung plante. Als Berater wurde Christian Lienhard zugezogen, der damals stellvertretender Direktor im Fünfsternehotel Giardino in Ascona war. Eine Studie im Vorfeld des Wiederaufbaus zeigte, dass es in der Region an Seminarräumen fehlte und die Nachfrage nach Hotelaufenthalten zur Pflege von Gesundheit und Wohlbefinden zunehmen würde. Lienhard, der die Leitung des Hotels entgegen seinen ursprünglichen Absichten dennoch übernahm, möchte keine Missverständnisse aufkommen lassen: «Wir sind kein Wellness-, sondern ein Gesundheitshotel.»
Heute hat sich der Hof Weissbad die eingängige Botschaft «Appenzell und Gesundheit» als Markenzeichen zu eigen gemacht. «Appenzell» steht dabei für Kultur und Tradition, aber auch Eigenständigkeit und Qualität. So spielt einmal pro Woche eine Appenzeller Volksmusikkapelle im Hotel auf. Neben den üblichen Massagen und Therapien hat sich der Hof Weissbad eigene Nischen geschaffen, die ihm Exklusivität garantieren. Die Zutaten der Molkenkur stammen aus der eigenen Käserei, die nur Biomilch der sieben Weissbad-Kühe verarbeitet. Das Bier für die Bierkur liefert ein Appenzeller Brauer – ein Bier mit Biozertifikat und nur im Hof erhältlich. Jetzt plant der Betrieb unter der Marke Bonadea die Herstellung einer eigenen Kosmetiklinie aus einheimischen Kräutern.
Für Lienhard geben neben der soliden Finanzierung zwei weitere Gründe den Ausschlag dafür, dass der Hof das erfolgreichste Hotel der Schweiz ist: ein auslastungsfördernder Gästemix und eine moderne Personalpolitik.
«Unsere Gästestandbeine ergänzen sich gegenseitig», sagt Lienhard und gibt ein Beispiel: «Im Juli und August finden keine Seminare statt, dafür kommen mehr Individual- und Wandergäste.» Oder über Weihnachten/Neujahr sei die Reha-Station mit ihren zwölf Zimmern unausgelastet. Dann werden die Gäste in diesen Zimmern einquartiert. Der Hof Weissbad ist in einem weiteren Punkt aussergewöhnlich. Das Hotel kennt keine Saisonpreise. Der Gast zahlt das ganze Jahr hindurch gleich viel für die Übernachtung. Ein Problem will Lienhard nicht verschweigen: die Überalterung der Stammgäste. Die baulichen Erneuerungen werden vermehrt die jungen Kunden ansprechen. Dazu gehört für Lienhard der Ausbau des Seminarteils und des Gesundheitsbereichs in Richtung Schönheitspflege. «Hier», sagt er, «haben wir noch Potenzial.»
Dann kommt er auf den grössten Asset zu sprechen: seine Leute. «Ohne sie», sagt er, «geht gar nichts.» Alle Mitarbeiter sind am Erfolg des Unternehmens beteiligt. Prämien, Samstags- und Sonntagszuschläge sowie Lohnerhöhungen können bis zu fünf Prozent über den normalen Lohn hinaus ausmachen. Zugleich hat jeder Angestellte einen persönlichen Weiterbildungsfonds, den er periodisch einlösen kann. Auch das Thema «Mitsprache» ist für Lienhard keine leere Floskel. In jedem Departement sind alle Mitarbeiter in täglichen Sitzungen an den betrieblichen Entscheiden beteiligt. «Das Kader, bestehend aus den Departementchefs, gibt nur die Richtung vor», sagt Lienhard. Die Erfahrung gibt ihm recht. Die Fluktuation ist enorm tief, 105 der 180 Angestellten sind Einheimische, und 50 Prozent sind gar Aktionäre.
Hof Weissbad
Firmenname: Hof Weissbad
Hauptsitz: Weissbad AI
Umsatz: 17 Millionen Franken
Gewinn: 341 000 Franken
Mitarbeiter: 180
Produkte: Gesundheitshotellerie
Die Auswahl der Schweizer Top-KMU, die in dieser Serie vorgestellt werden, erfolgt in Zusammenarbeit mit dem Swiss Venture Club (SVC), der in allen sieben Wirtschaftsregionen einen Unternehmerpreis verleiht. www.swiss-venture-club.ch