Die 50 besten KMUs | |
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Was hat Ruedi Noser, dessen Engineering-Firma das grösste Mobilfunknetz der Welt überwacht, gemein mit dem Dachdecker oder dem Drogisten im heimatlichen Hombrechtikon? Was Rolland-Yves Mauvernay, dessen Debiopharm sich mit einem Krebsmedikament auf dem US-Markt durchsetzt, mit seinem Garagisten? Oder was Thomas Held mit dem Chef des Reinigungsinstituts, das die Büros seines Think-Tank Avenir Suisse putzt? Sie alle führen kleine und mittlere Unternehmen (KMUs), also Betriebe mit weniger als 250 Beschäftigten – das Kriterium für die Aufnahme in diese Kategorie gemäss EU-Norm. Und sie alle liegen Joseph Deiss am Herzen.
«Sie sind das Rückgrat und das Netzwerk unserer Wirtschaft», schmeichelt der Volkswirtschaftsminister den Vertretern der KMUs, wo immer er vor ihnen auftritt. Im Herbst wählt das Schweizervolk sein Parlament, und wenn die CVP so schlecht abschneidet, wie es die Umfragen ankünden, wackelt ihr zweiter Sitz im Bundesrat. Kein Wunder, dass CVP-Mann Joseph Deiss einen engagierten Wahlkampf führt – für seine Partei und für seinen Posten. Er tut es, wo sich am meisten Stimmen holen lassen. «In der Schweiz gibt es 1000 Grossbetriebe und 305 000 KMUs», betont der Volkswirtschaftsminister. «Die KMUs sind mir wichtig.»
Denn diese 99,7 Prozent der Betriebe beschäftigen zwei Drittel der Erwerbstätigen im Land. «Ist nicht jede Wirtschaftspolitik ohnehin KMU-Politik?», fragte Joseph Deiss deshalb, als er Ende Mai vorstellte, was sein Departement für die kleinen und mittleren Firmen unternehmen will. Nein, meinte er: Die KMUs hätten «berechtigte spezifische Bedürfnisse und Anliegen», und auf diese müsse der Bund eingehen – etwa mit «generellen Regulierungsfolgeabschätzungen» beim Beschliessen von neuen Gesetzen oder mit einer «stärkeren Koordination der Bundesinstrumente» für den Auftritt der Schweizer auf den Märkten der Welt.
Dem widerspricht Thomas Held mit gewohnter Energie: Für ihn gibt es die KMUs gar nicht. Dass die Politik 99,7 Prozent der Unternehmen in denselben Topf wirft, verspottet er als Vorwand für Strukturerhaltung: «Das entspricht nicht der wirtschaftspolitischen Realität.» Statt einer homogenen Landschaft sieht Thomas Held vier Landesteile mit unvereinbaren Mentalitäten, in einer Matrix mit den Dimensionen KMUs/Grossbetriebe beziehungsweise nationale/internationale Ausrichtung.
Auch bei den Grossen stellt der Kritiker zwei Welten fest, wenn er die multinationalen Konzerne mit den auf den heimischen Markt beschränkten Kolossen wie Coop, Migros oder Swisscom vergleicht. Aber bei den Kleineren zeigen sich noch stärker ausgeprägte Unterschiede: «Lange nicht alle KMUs sind in den Weltmarkt integriert.» Oder umgekehrt ausgedrückt: Viele überleben nur im abgeschotteten helvetischen Filz.
Es gibt sie, die Schweizer Unternehmen, die sich mit ihren Leistungen weltweit durchsetzen. Dies zeigen die 50 Top-KMUs aufs Neue, welche die BILANZ zum fünften Mal auszeichnet (siehe die top 10 in fünf Kategorien).
In der Biotechnologie halten zahl-reiche Jungfirmen an der Weltspitze mit. Die Genfer Athelas, die gegen Antibiotika resistente Bakterien auf ihre eigene Art bekämpft, bekam letztes Jahr vom «Wall Street Journal» die Auszeichnung als beste Biotech-Firma Europas. Und die Zürcher Glycart, die Antikörper gegen Krebs entwickelt, hatte bereits ein Jahr zuvor Gold vom Weltblatt erhalten.
Einige Firmen unterstützen, als ausgelagerte Forschungsabteilungen, die Giganten Roche und Novartis bei der Suche nach neuen Medikamenten: mit mehr Ideen, mehr Tempo, mehr Mut zum Risiko. Sie erhalten deshalb selbst in schwierigen Zeiten viel Venture-Capital von gewichtigen Geldgebern wie Henri B. Meiers HBM Bioventures, dem grössten Fonds Europas – wenn sie sich nicht, wie Debiopharm dank einem geschickten Geschäftsmodell oder wie Prionics mit einem gefragten Produkt, dem BSE-Test, selber finanzieren.
In der Medizinaltechnik entstehen um die Schweizer Schwergewichte Centerpulse, Synthes-Stratec oder Straumann viel versprechende Firmen, zum Teil als direkte Konkurrenz: Ebenfalls im verschlafenen Waldenburg baut der ehemalige Straumann-CEO Andreas Stutz, mit einer kräftigen Geldspritze von HBM Bioventures, die Thommen Medical auf, die mit Biss den immer noch stark wachsenden Markt der Dentalimplantate erobern will. Und Precimed aus Orvin im bernischen Jura, letztes Jahr als eines der auffallendsten Top-KMUs vorgestellt, eröffnete für ihre Instrumente vor allem für Hüftgelenkoperationen ein zweites Werk in Columbia City, Indiana, nahe bei den amerikanischen Abnehmern. Das Unternehmen verzeichnete in diesem Jahr bisher nur Rekordmonate, auch für das Werk in der Schweiz, wo es seine Produkte entwickelt – und der Umsatz soll nach 2002 nochmals um satte 50 Prozent steigen.
Aber auch im Hightechbereich, wo vermeintlich die Amerikaner und die Asiaten die Weltmärkte beherrschen, machen Schweizer von sich reden. Gleich zwei Firmen, die Milliardenmärkte erschliessen könnten und deshalb Investoren und Interessenten wie Intel, Infineon oder Nokia anziehen, finden sich in Dübendorf: BridgeCo, die in der guten Stube den PC mit der Stereoanlage und dem Fernsehgerät vernetzt, und Esmertec, die mit ihren Java-Anwendungen den tragbaren Kommunikationsgeräten Intelligenz verleiht.
Schliesslich setzen sich sogar Industriefirmen aus dem Hochlohnland weltweit durch, wenn sie dank durchrationalisierter Produktion die Kostenführerschaft erringen. Nestlé vergab so den Auftrag, die Milliarden von Nespresso-Kapseln herzustellen, an Alupak aus Belp: Das Unternehmen, das daneben auch die Konfitürenportionen von Hero oder das Katzenfutter von Sheba verpackt, stellte letztes Jahr 20 weitere Mitarbeiter ein und sieht in seinem Zehnjahresplan die Verdoppelung des Personalbestands von 102 auf 200 vor. DT Swiss aus Biel, 1994 aus den maroden Vereinigten Drahtwerken herausgekauft, liefert Speichen und inzwischen auch ganze Räder für die schnellsten Velofahrer wie Lance Armstrong. Und Sigg aus Frauenfeld, ebenfalls noch vor wenigen Jahren konkursreif, beherrscht mit ihren Bottles für Sport und Freizeit, auch dank geschicktem Marketing, 95 Prozent des Weltmarktes und erzielt Gewinnmargen wie ein Dienstleistungsbetrieb.
Neben diesen Spitzenfirmen, die sich im weltweiten Wettbewerb behaupten, finden sich indes zahllose Drogisten, Zahntechniker oder Kaminfeger, Baufirmen oder Dorfläden, die nur dank Protektion überleben. In den Bereichen Wohnungsbau, Therapie oder Telekommunikation, meint Thomas Held, wirke die Regulierung als «staatlich sanktionierter Kartellschutz». Und die Verwaltung sowie die staatlichen Betriebe betrachten Wettbewerb ohnehin als Fremdwort: «Wo die öffentliche Hand dahinter steht, geht es gemütlich zu», weiss Ruedi Noser. Erst vereinzelt brechen Unternehmen in diese traute Welt des Gewerbes und des lokalen Handels ein, wie etwa McOptik: Thomas Kühni aus Nidau eröffnet Optikerläden – im Gegensatz zu Fielmann und Visilab – in kleineren Städten, und er kalkuliert seine Pauschalpreise noch knapper als die beiden Riesen. So ist er innert fünf Jahren mit inzwischen 30 Filialen zum drittgrössten Anbieter der Schweiz herangewachsen.
Alle 305 000 KMUs, ob Baufirma mit Gefälligkeitsaufträgen vom Gemeinderat oder Biotech-Start-up mit revolutionären Antibiotika, liegen Bundesrat Joseph Deiss am Herzen. Was aber sind denn eigentlich die Herzensanliegen der KMUs? Von einer «überproportionalen Last administrativer Arbeiten, die uns aufgebürdet wird», spricht Andreas Stamm. Mit seinen Spritzgussspezialisten stellt er im schaffhausischen Hallau für anspruchsvollste Grosskonzerne Mikroteilchen her, an die sich sonst weltweit kaum jemand wagt. Nachdem er aber kürzlich sein neues Betriebsgebäude bezogen hatte, prüften ein halbes Jahr lang Beamte Gebäude und Anlagen: «Man staunt, wie viele Ämter sich um so ein Projekt kümmern.» Und auch im Alltag erlebt der Unternehmer den bürokratischen Aufwand als belastend, etwa für die Arbeitsbewilligungen, die er für seine zahlreichen Grenzgänger häufig braucht: «Früher genügte ein Formular, heute braucht es ein ganzes Dossier.»
Auch Ruedi Noser kennt die bürokratischen Belastungen der KMUs, sei es beim Berechnen der Lohnnebenkosten, sei es beim Zurückfordern von Lenkungsabgaben, durch interpretationsbedürftige Regelungen bei der Mehrwertsteuer oder – aktuelles Ärgernis – die Anordnung eines landesweit einheitlichen Lohnausweises, der das Aufführen von Firmenparkplätzen oder Mahlzeitenverbilligung verlangt. Doch der weltgewandte Unternehmer möchte nicht auf Stammtischniveau ausrufen: «Selbstverständlich stinkt es mir auch, den neuen Lohnausweis einzuführen – aber das kann doch kein politisches Thema sein.»
Ruedi Noser erntete Lacher, als er am Swiss Economic Forum bei einem Podiumsgespräch sagte: «Wir von den KMUs haben in Bern keine Lobby – wir müssen arbeiten.» Andreas Stamm lässt sich denn auch von staatlichen Behinderungen nicht davon abhalten, seinen Kunden Weltklasseleistungen zu liefern. Dagegen will Ruedi Noser, bereits Kantonsrat und Präsident der FDP Zürich sowie Vizepräsident der FDP Schweiz, als Kandidat für den Nationalrat auch in der eidgenössischen Politik mitreden. Wie sieht denn aus seiner Sicht eine Politik für die KMUs aus?
«KMUs sollen prinzipiell nicht vom Staat gefördert werden», meint der Unternehmer. «Förderung heisst beim Staat meistens, Geld zu verteilen.» Stattdessen sollte der Staat die kleinen und mittleren Unternehmen vermehrt fordern, etwa mit ehrgeizigen Grossprojekten.
Gegenwärtig geschieht das Gegenteil: Noser überwacht die Mobilfunknetze der Deutschen Telekom mit weltführender Software – die Swisscom interessierte sich nicht dafür; Noser entwickelte ein System für das Steuern der Züge am Gotthard – erprobt wird es am Brenner. Der Staat sollte seine Milliarden nicht in Beton, sondern in Innovation stecken und daneben seine eigenen Aufgaben möglichst effizient und kostengünstig erfüllen: Das ist es, was die weltweit erfolgreichen Unternehmer erwarten.
Und daneben soll er sie nicht schützen, sondern machen lassen. «Der gegenwärtige Trend gegen die Liberalisierung richtet sich auch gegen die KMUs», sagt Thomas Held. «Wer die KMUs fördern will, der lässt sie sich frei entfalten.»