Am Anfang dieser Geschichte stehen drei Kumpel. Sie kennen sich schon seit Jahren. Und sie haben beruflich alle mit Uhren zu tun. Allerdings – vielleicht liegt hier auch ein Schlüssel zum Erfolg – ist keiner der drei Uhrmacher. Aber am Ende der Geschichte haben sie eine Uhr auf den Markt gebracht, die es in sich hat: Sie ist anders als alle anderen, verbindet augenzwinkernde Coolness mit einem gewissen Neobrutalismus. Sie ist frisch, fröhlich, urban, irgendwie roh, preislich interessant – und in jeder Hinsicht verblüffend. Wir kommen ausführlicher darauf zurück.

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Dass die Uhr auffällt und in einschlägigen Internetforen von Fans und Nerds begeistert aufgenommen wurde, hat natürlich mit ihrem Design und ihrer Machart zu tun – aber nicht nur. Ebenso wichtig: Sie hebt sich ab von den Gepflogenheiten der Branche, welche in der letzten Zeit mit Neuheiten betont vorsichtig und konservativ agiert hat. Man pflegt die Klassiker, dekliniert sie hinauf und hinunter, wechselt mal die Zifferblattfarbe, schraubt ein bisschen an der Grösse – aber wirklich Mutiges findet man selten. 

Ohne Logo auf dem Zifferblatt und dennoch ein Bestseller: Die Uhr Kollokium im 40-Millimeter Gehäuse.

Ohne Logo auf dem Zifferblatt und dennoch ein Bestseller: Die Uhr Kollokium im 40-Millimeter Gehäuse.

Quelle: Diode SA - Denis Hayoun

Dabei könnte etwas Verwegenes sehr wohl rentieren: Die Uhren des Kollokium-Trios – notabene ohne Logo auf dem Zifferblatt – waren innert Sekunden ausverkauft, wie Manuel Emch bestätigt, einer der drei Musketiere im Projekt. Und auf einschlägigen Internetplattformen wird die Uhr überdies bereits zum doppelten des ursprünglichen Kaufpreises angeboten.

Die drei Musketiere aus der Uhrenindustrie

Manuel Emch ist ein Name, den man sich merken muss, wenn man ihn nicht schon längstens kennt. Seine Karriere im Uhrenbereich begann im Jahr 2000 bei Rado – und ging umgehend steil aufwärts: Schon im Juni 2001 wurde er Präsident und CEO der Swatch-Group-Marke Jaquet Droz. Es folgten fünf Jahre als Member of the Extended Management Board bei der Swatch Group, sowie der CEO-Posten bei Romain Jerome. Witz und Einfallsreichtum bewies der gebürtige Grenchner da zum Beispiel mit der Eyjafjallajökull-Uhr, benannt nach dem gleichnamigen Vulkanausbruch in Island im Jahr 2010. Auf dem Zifferblatt waren Asche und Lava des Vulkans aufgetragen – «teuflisch gut», applaudierte der Berner Uhrenladen Uhrsachen, von jeher ein Geschäft für Liebhaberinnen und Liebhaber tickender Spezialitäten. Dass er wirtschaftlich ein glückliches Händchen hat, bewies Emch bei der Marke Louis Erard, wo er als eine Art halb externer Störmanager (Delegate Member of the Board of Directors) Architekt eines spektakulären Turnarounds war. Und nebenbei betätigte er sich beim Wiederaufbau der einstigen Sowjetmarke Raketa.

Zum Kollokium-Trio gehört ferner Bart Nussbaumer, wie Emch Jahrgang 1972, ein zweites Schwergewicht auf seinem Gebiet: Nussbaumer ist ein Designer, der schon für Dutzende von Marken den Zeichenstift geführt hat: für Romain Jerome, TAG Heuer, Blancpain und Porsche Design unter anderem. «Für mich klar der Talentierteste in der Branche», lobt Manuel Emch. 

Die Köpfe hinter Kollokium (von links): Amr Sindi, Barth Nussbaumer und Manuel Emch.

Die Köpfe hinter Kollokium (von links): Amr Sindi, Barth Nussbaumer und Manuel Emch.

Quelle: Diode SA - Denis Hayoun

Der Dritte im Bunde heisst Amr Sindi und ist Uhrenfan sowie Social-Media-Experte. Der junge Lausanner startete seine Uhrenlaufbahn unter dem legendären Patron Jean-Claude Biver, der ihn im April 2011 als Community Manager für die Marke Hublot engagierte. Breiter bekannt wurde Sindi als Chefredaktor der Internetpostille Thehorophile.com.

Und so begann alles

Die drei pflegten seit Jahren ihre Freundschaft, ab 2019 intensiver als zuvor. Grund dafür waren eine Feststellung und eine Frage. Die Feststellung: «Wir haben bisher alle drei immer nur für andere gearbeitet.» Die Frage: «Wäre es nicht cool, selber etwas auf die Beine zu stellen?»

Rasch war klar, dass man gemeinsam etwas machen wollte. Klar war auch, so Manuel Emch, «dass es etwas sein sollte, das sich unterscheidet; etwas, das man für die Marken nie realisieren kann». Und klar war schliesslich, dass man keine Marke ins Leben rufen wollte – «es sollte einfach ein Projekt sein», sagt Emch. Man wollte das sozusagen nebenbei machen, mit den übrigen beruflichen Verpflichtungen vereinbar, kein Business, kein Rennen, keine Excel-Tabellengymnastik. «Es ist das erste Mal, dass ich bei einem Vorhaben keinen Businessplan gemacht habe», lacht Emch.

Der Rest ergab sich. Langsam. In vielen Diskussionen. Mit Ausprobieren. Mit Erfolgserlebnissen. Und auch mit Rückschlägen. Aber stets mit Leidenschaft. Man traf sich ab 2019 jeden Montag um 20.30 Uhr in einem Zoom-Meeting. Und setzte nach und nach die Leitplanken. Wichtig seien gemeinsame Werte gewesen, Freundschaft, Sensibilität. Und über allem die Frage: Was mögen wir? Mehr als um Uhren sei es als Leitmotiv oft um Musik gegangen, um Architektur, Design und Kunst. «Wir wollten etwas von Grund auf aufbauen», sagt Manuel Emch, «ohne etablierte oder ererbte Rahmenbedingungen.» 

Das alles materialisierte sich am Ende in einer Uhr, welche die drei Freunde Kollokium nannten. Müsste man sie mit einem Bauwerk vergleichen, es käme einem vielleicht der Eiffelturm in den Sinn – avantgardistisch beleuchtet. Und im Musikbereich würde man bei der deutschen Elektropopgruppe Kraftwerk landen. Auf jeden Fall ist das Stück ganz anders, als was man sonst so kennt, was auch stark mit den Träumen des Trios zu tun hat. Nussbaumer zum Beispiel wollte schon ewig lange ein Gehäuse, welches im Druckgussverfahren hergestellt wird. Bei dieser Methode werden geschmolzene Legierungen unter hohem Druck und mit hoher Geschwindigkeit in Formen gegossen. Was im Automobilbau gang und gäbe ist, war im Uhrenbereich Neuland; hier setzt man seit je auf CNC-Fräsen oder Stanzen. Entsprechend zeigten Auftraggeberinnen und Auftraggeber dem Anliegen von Barth Nussbaumer die kalte Schulter – «Nein!» war unisono die Antwort. 

«Ja», sagten hingegen Emch und Sindi, «lass es uns ausprobieren!» Herausgekommen ist eine Gehäusearchitektur mit Details, die es in sich haben und mit traditionellen Fertigungsmethoden nicht zu machen wären: Die Form ist luftig, leicht kantig und ziemlich filigran, sie verleugnet mit einer fast brutalistischen Anmutung ihre industriellen Wurzeln nicht und wartet mit speziellen Details auf: Statt in das Gehäuse eingraviert ragt aus der Flanke als Relief in eckiger Typografie der Schriftzug «K, P n°01», was mit herkömmlichen Produktionsmethoden nicht zu realisieren wäre. Und wer die Uhr in die Hand nimmt, staunt über das Federgewicht – das Gehäuse ist zwar aus Stahl, die Druckgusstechnik erlaubt aber einen sehr sparsamen Materialeinsatz, es fühlt sich wie leichtes Titan an.

Neuland in der Uhrenherstellung: Das Gehäuse wird im Druckgussverfahren hergestellt.

Neuland in der Uhrenherstellung: Das Gehäuse wird im Druckgussverfahren hergestellt.

Quelle: Diode SA - Denis Hayoun

Grosses Kino ist das Zifferblatt: 468 Stiftchen sind von Hand vertikal draufgenietet. Die Stifte gibt es in sechs verschiedenen Längen und Durchmessern, was clever angeordnet eine Art 3D-Landschaft ergibt, mit Erhebungen dort, wo normalerweise die Stundenmarkierungen angebracht sind. Wiederum von Hand wurde an der Spitze der Stifte ein Leuchtstoffgupf aus Superluminova aufgetragen, was für hübsche Effekte im Dunkeln sorgt. Die Zeiger darüber sind resolut reduziert, auch hier wurde Superluminova eingesetzt, allerdings nicht als Strich im Zeiger, sondern als Einrahmung darum herum.

Eine erste Auflage von 99 Stück verkaufte das Trio an «Friends, Family and Fools» für 2333 Franken und 33 Rappen. Die Stifte leuchteten orange, der Sekundenzeiger ebenfalls. Der zweite Batch von 199 Stück wurde online abgesetzt – diesmal für 2666 Franken und 66 Rappen. Und mit Leuchtmittel in Blau für die Stifte und in Weiss für den Sekundenzeiger. Eine dritte Auflage von 299 Stück – für 2999 Franken und 99 Rappen – ist derzeit in der Mache; man wird sie am grünen Superluminova erkennen.

Dreht man die Uhr, entdeckt man eine witzige Gravur: «Basically, a Swiss made watch that can get wet», steht da. Tatsächlich ist die Uhr bis dreissig, künftig bis fünfzig Meter wasserdicht. Doch der Satz passt aus einem anderen Grund: Irgendwie sind auch die drei Kumpel vor dreieinhalb Jahren einfach ins kalte Wasser gesprungen.

Dieser Artikel ist im Millionär, dem Magazin der «Handelszeitung», erschienen (Oktober 2024).

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