Allmählich drehen die Stimmungsindikatoren zaghaft nach oben. Der Aufschwung, heisst es auch dieses Mal wieder, stehe bevor. Ist das Schlimmste somit endlich ausgestanden? Oder kommt das dicke Ende erst noch? Ein Blick auf den Zustand der USA, wo der konjunkturelle Optimismus seinen Ursprung hat, lässt Zweifel an der Gesundungsthese aufkommen. Zu wenig hat man dort aus den Fehlern gelernt, die in den Neunzigerjahren begangen wurden.

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Als sei nichts gewesen, plündert man weiter die kollektiven Ressourcen, belügt systematisch ein ganzes Volk und zieht – um die ausgepowerte Wirtschaft auf Touren zu bringen – sogar die Möglichkeit eines Staatsbankrotts mit ins Kalkül. Angeführt von einem Präsidenten, der seit seiner «Machtergreifung» unter einem schwelenden Legitimationsmanko leidet, lässt eine Clique von Polit-Hasardeuren keine Gelegenheit aus, um dessen angeknackste Vertrauensbasis weiter zu untergraben. Bis zu den Wahlen im kommenden Jahr werden die Berater von George W. Bush alles daransetzen, eine unpopuläre Wahrheit zu vertuschen: Es gibt keine anhaltende Prosperität – auch nicht im Land der sprichwörtlich unbegrenzten Möglichkeiten. Nach allen Regeln der Kunst wird derzeit versucht, die kranke US-Wirtschaft noch einmal fit zu spritzen. Ob die gewählten Mittel dem längerfristigen Wohlergehen des Patienten zuträglich sind oder doch eher auf die Liste der verbotenen Substanzen gehören, kümmert die makroökonomischen Wunderheiler dabei nur wenig.

Stellt sich die Frage: Ist den Statistiken, die uns von jenseits des Atlantiks erreichen, unter solchen Voraussetzungen überhaupt noch zu trauen? Wie weit geht eine Regierung, die Geheimdienstberichte fälscht, um einen Krieg zu legitimieren, in ihrem Bemühen, eine Entwicklung zu beschönigen, die – gemessen an ihren sozialen und ökonomischen Defiziten – nachweislich auf tönernen Füssen steht? Für die amerikanische Bevölkerung sei es an Zeit, zivilen Ungehorsam zu leisten, liess der US-Ökonom und Nobelpreisträger George Akerlof unlängst verlauten und sprach damit eine unmissverständliche Sturmwarnung aus.

Symptomatisch für das Vabanquespiel der US-Regierung ist der grassierende Verlust an Vertrauen in die staatlichen Institutionen. Notenbankpräsident Alan Greenspan – verblichenes Aushängeschild eines vermeintlich immer währenden Aufschwungs – hat auf den internationalen Finanzmärkten inzwischen den Status einer Lachnummer. Nachdem sich der Traum von der New Economy verflüchtigt hat, ist der vermeintliche Magier der Märkte zu einer Geisel seiner eigenen Illusionen geworden. Bei negativen Realzinsen können selbst die glühendsten Verehrer des Fed-Vorsitzenden heute nicht mehr darüber hinwegsehen, dass sein Köcher leer ist und Greenspan mit seinen 77 Jahren zu einer Marionette der Bush-Ad-ministration zu verkommen droht. Was Wunder, wird der ratlose Notenbankveteran mit Blick auf die Preisexzesse am amerikanischen Immobilienmarkt bereits ungeniert als «Mister Double Bubble» verulkt.

Waren sinkende Zinssätze der Leim, der die amerikanische Wirtschaft in den Jahren des Aufschwungs zusammenhielt, so hängt die Aussicht auf eine Trendwende am Geldmarkt heute wie ein Damoklesschwert über ihr. Konsumenten und Unternehmern ist es nicht zu verargen, wenn sie es vorübergehend vorziehen, über ihre Verhältnisse zu leben. Von denjenigen, welche die US-Wirtschaft zu steuern vorgeben, sollte man mehr Voraussicht erwarten dürfen. Denn so viel ist sicher: Der Tag der Wahrheit lässt sich nicht beliebig in die Zukunft verschieben. Wenn es eine Gewissheit gibt, die ihre Gültigkeit im Tollhaus der Neunzigerjahre nicht eingebüsst hat, dann die: Der Konjunkturzyklus ist weder tot, noch lässt er sich langfristig überlisten.