Die Metapher passt: Amerikas Konjunktur ist wie Donald Duck über die Kurve hinausgefahren. Und da wir nicht im Trickfilm leben, blicken wir jetzt ins Tal hinunter. Was allerdings noch nicht heisst, dass wir abstürzen werden. Denn die Zeichen, die wir unten erblicken, widersprechen sich heftig. Was nämlich zuerst nur einige US-Warenhäuser meldeten, hat sich jetzt in den Statistiken als Trend bestätigt. Die amerikanischen Konsumenten kauften im Januar nach Kräften ein, etwa 3,5 Prozent mehr als im Vorjahr. Die Zahl der Jobs in der Wirtschaft nahm – trotz anrollenden Entlassungen – insgesamt zu wie seit Monaten nicht mehr.

Denn die Firmen standen den Konsumenten nicht nach. Nach Neujahr nahmen die Aufträge für Kapitalgüter, also Maschinen und Einrichtungen, um 6,5 Prozent zu, ohne Flugzeuge und Militärbeschaffungen, die stark zu schwanken pflegen. In der Industrie allein bestellten die Firmen neue Anlagen im fast gleichen Wachstumsrhythmus, nämlich 5,7 Prozent mehr. Damit liegen diese Bestellungen auf dem höchsten Niveau seit einem Jahr, und das letzte Jahr war bekanntlich kein schlechtes, im Gegenteil. Wenn aber die Firmen derart investieren, kann kaum Verzweiflung herrschen.

Noch eine gute Meldung: Die vorauslaufenden Indikatoren der Wirtschaftstätigkeit in den USA nahmen im Januar erstmals nach drei Monaten «Rezession» wieder zu, um 0,8 Prozent in einem einzigen Monat.

Die schlechten Zahlen fehlen aber nicht. Die Preise, der Anlass der ganzen Bremsübung der Notenbank, kletterten um 3,7 Prozent weiter – oder um 2,6 Prozent, nimmt man nur die Kernrate ohne Öl und Lebensmittel. Die Einkaufsmanager, stets am Puls des künftigen Geschehens, meldeten einen Februarstand von 41,9 Punkten ihres Index. Jeder Stand unter 50 Punkten drosselt wenig später die Wirtschaftstätigkeit, und unter 42,7 Punkten bricht die Wirtschaft sogar um mindestens ein Prozent ein. Etwas Hoffnung keimt dennoch, weil im Vergleich zum Januar der Index schon um einige Zehntel angestiegen ist.

Aber die Sorgen der Konjunkturauguren halten sich im Moment nicht bei diesen Zehntelspunkten auf. Sie erschrecken ob dem Tempo, mit dem die Wendepunkte der Konjunktur einander folgen. Ein schockierendes Beispiel bot der Programmierkonzern Oracle am 1. März. Er gab bekannt, dass «in den letzten Februartagen» die Aufträge zurückgegangen seien und seine Gewinne deshalb die Erwartungen der Analys-ten kaum erfüllen könnten – und die ganze Technikbörse Nasdaq brach erneut um mehrere Prozent ein. Man muss sich das im realen Ablauf vorstellen. Vom Moment, da die E-Mails mit Bestellungen auf dem Oracle-Server etwas abnahmen, vergingen nur ein paar Dutzend Stunden, bis die Investoren diese Firma, dann die ganze Branche landesweit, dann weltweit im Wert heruntersetzten. Das ist das Neue, dass die Firmen unerhört rasch ihre veränderte Lage erkennen, mitteilen und dass das Publikum seinerseits massiv reagiert.

Auch viel repräsentativere Zahlen zeigen, wie das Verhältnis zwischen den Lagerbeständen und den Verkäufen der US-Firmen trotz Abschwung unter Kontrolle ist. Als im November die Aufträge zu fallen begannen, stieg dieses Verhältnis nur von 1,35 auf 1,36 an – die Firmen haben dank Informatik und Supply-Chain-Management die Warenflüsse stündlich im Griff. Das führt zu einem ungewohnt raschen und heftigen Rückstau in der ganzen Wirtschaft, die Lager werden getrimmt, die Nachbestellungen heruntergefahren, die Endproduzenten und die Zulieferer entschleunigen sich gleichzeitig. Wie bei Oracle kann dies den Abschwung verstärken und Panik verursachen. Andererseits aber bleiben die Firmen handlungsfähig, und ihre Liquidität gerinnt nicht zu unverkäuflichen Lagern. Ebenso rasch könnte dereinst dann die Bestellungslawine wieder anziehen, denn bei knappen Lagern lassen neue Einkäufe der Konsumenten die ganze Wertschöpfungskette ebenso schnell anspringen.

Deshalb sehen viele in der amerikanischen Zinspolitik eine Just-in-Time-Geldpolitik, die sich dem neuen Rhythmus der informatisierten, kurzgeschlossenen Wirtschaft angepasst habe. Die raschen Schritte zum Zinsabbau im ersten Vierteljahr 2001 wären dafür das klare Zeichen und der über 70-jährige Alan Greenspan einer, der immer noch Neues lernt und begreift.

Die Europäer erscheinen dagegen bedächtiger. Allerdings läuft die Konjunktur in Europa noch rund, die Inflationsraten steigen munter an, auf 2,6 Prozent in Deutschland, 2,8 Prozent in Österreich und auf schon 4,2 Prozent in Holland, nicht zu reden vom bereits aus Brüssel gemahnten Irland mit 5,2 Prozent. Die europäische Zentralbank wird daher Zinssenkungen aufschieben. Ob die europäischen Firmen ihren Lagerzyklus so im Griff haben wie die US-Konkurrenten, ist unsicher. Ausserdem gehen die Amerikaner auch mit einem anderen Kostenblock viel flexibler um, nämlich mit ihren Beschäftigten. Zehntausende von Entlassungen verzeichnete man im letzten Monat bei WorldCom, 3com, Chrysler und Motorola. Auch dies kann die Ausschläge jenseits des Atlantiks verschärfen, im Abschwung wie im Aufschwung.

Allerdings federt sogar in Amerika die staatliche Umverteilung die Auswirkungen der rascher drehenden New Economy auf den Geldbeutel der Betroffenen ab. Im Januar stützte der Teuerungsausgleich auf Renten die Verkäufe, im Dezember waren es die Jahresschlusspauschalen von Fürsorgegeldern, und im Februar hob Präsident Bush die Moral der Berufssoldaten mit mehr Sold. In Europa sind solche Transfers viel höher und werden als Bremsen für den Aufschwung kritisiert, können aber im Abschwung als «eingebaute Stabilisatoren» wirken.

Die Schweiz hat, wie Europa, vorderhand keinerlei Konjunktursorgen. Der Aussenhandel läuft wie geschmiert, die Konsumenten sind so freudig gestimmt wie noch nie, die Beschäftigung wuchs letztes Jahr um hervorragende 1,9 Prozent. Laut der KOF-Konjunkturforschung an der ETH kann die Industrie mit «einem weiteren Produktionsanstieg rechnen», die Dienstleistungen sehen «die günstige Entwicklung bis zum Jahresende fortgesetzt». Hier zu Lande hängen wir nicht in der Luft eines Trickfilms, sondern brausen auf steiler Strasse bergan.

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