Sie zählt zu den ältesten Möbelfabriken Europas und ist als Herstellerin schöner Designmöbel anerkannt. So stammen aus den Hallen der Möbelfabrik Horgen Glarus AG der Restaurantstuhl, auf dem jeder Schweizer schon ein Mal sass, aber auch der elegante Stuhl des Architekten Werner Max Moser und der Barhocker von Max Bill. Die Fabrik, 1880 einstmals von Emil Baumann in Horgen bei Zürich gegründet, 1902 nach Glarus verlegt, ist seit dem Jahr 2000 in neuen Händen: Markus Landolt und seine Frau Tanja Landolt-Virchaux haben das Unternehmen gekauft. Sie stellen sich der Herausforderung, die Marke «horgenglarus» mit ihrer prestigeträchtigen Vergangenheit in die Zukunft zu führen.
Bei der Ankunft auf dem Gelände des Unternehmens fällt der erste Blick auf eine grosse Villa aus der Jahrhundertwende am unteren Ende des Hofes. Der zweite Blick bleibt am Haus rechts hängen: Sein enger Eingang führt zu den Büroräumen. Die Treppe knarrt, im ersten Stock steht man vor einem Milchglasfenster mit der Aufschrift «Empfang». Klopfen oder Klingeln? Geöffnet wird es von einer freundlichen jungen Frau. Sie führt einen in einen mit schlichten, eleganten Stühlen und Tischen möblierten Besprechungsraum. Diese ersten Minuten in den Räumen der Firma irritieren: In der Luft schwingt Industriegeschichte und Unternehmertum mit. Der erste Eindruck ist alles andere als Hightech und Design, ganz im Gegensatz zu den bekannten Produkten des Unternehmens, die von hoher Innovationskraft und Ästhetik zeugen. Markus Landolt und seine Frau Tanja Landolt-Virchaux haben das traditionsreiche Unternehmen, welches mit seinen Produkten die Schweizer Architekturgeschichte und Designentwicklung wesentlich mit geprägt hat, im Frühjahr 1999 übernommen. «Fast zufällig», erinnert sich Markus Landolt. Seit zweieinhalb Jahren führt er zusammen mit seiner Ehefrau das Unternehmen operativ. Heute kann er die ersten Erfolge verzeichnen, wie zum Beispiel eine Umsatzsteigerung von 25% in zwei Jahren.
Europäisches Holz
«Ein Rundgang ist sicher einer der besten Wege, das Unternehmen kennenzulernen und zu verstehen», erklärt der Unternehmer. Der Weg führt über den Hof. Landolt stösst die Tür auf zu einem Raum, der mehr Schopf als Fabrikraum ist. Ein Mann in roter Holzfällerjacke verarbeitet an einer modernen Sägemaschine handverlesenes Holz zu Stangen. Die zwei Männer begrüssen sich freundlich. «Wir verarbeiten zu 90% Holz aus dem Schweizer Wald, 10% kaufen wir im Schwarzwald und im Elsass zu», erklärt er. Der Weg führt weiter durch einen hohen Gang, an dessen Wänden Schablonen hängen; nebenan gibt es eine perfekt ausgestattete Schlosserei. «Wir arbeiten nach Schablonen, nicht nach Plänen», erklärt der Firmenbesitzer. Die nächste Türe führt in den Raum, der dieses Unternehmen von anderen Möbelherstellern in der Schweiz unterscheidet: die Holzbiegerei. Der Trakt, wo das zugesägte Holz bedampft, gebogen und getrocknet wird, riecht gut nach Holz. Der erste Eindruck ist überwältigend, in dem hohen, langen, schmalen Raum verlässt einem kurz der Zeitbegriff: Die Maschinen stammen ausnahmslos aus den 20er und 30er Jahren. Sie tragen ihr Alter sichtbar mit Würde und Stolz. So zum Beispiel der runde, niedrige Ofen, in dem die Holzteile bedampft werden, um dann in die Formen gelegt zu werden. Ebenso erstaunt der kurze Besuch der «Sauna», in der die bedampften Teile bei einer Temperatur von rund 90 ¡C über eine Woche lang in der Form getrocknet werden. Oder die hohen, schmalen Öfen, in denen die Teile ebenfalls in Formen gelegt werden. Die einzelnen Formen sind aus Stahlband, Eisen und Holz und tragen dieselben Jahreszahlen wie die Maschinen. Wo-möglich sind sie älter. «Dass diese Maschinen noch arbeiten und, für ihre Qualitäten und Fähigkeiten bekannt, für die Herstellung von Topdesign-Stücken eingesetzt werden, haben wir unseren Mitarbeitern zu verdanken. Denn sie warten die Maschinen selber und stellen, wenn nötig, die Ersatzteile in der eigenen Schlosserei her», erklärt Markus Landolt stolz. Diese Halle mit den ursprünglichen Maschinen und Werkzeugen ist das Herz des Unternehmens. Denn es gibt kaum noch Hersteller in Europa, die es heute schaffen, nach allen Regeln der Kunst Holz zu biegen. Der Weg führt Halle um Halle, Tür um Tür wieder in die Gegenwart, an einer hochmodernen Holzschnitzel-Heizanlage vorbei, bis in diejenige, in der die neuesten CNC-gesteuerten 5-Achs-Maschinen stehen.
Ein Stuhl wird von den dreissig Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern dieser Manufaktur an die fünf-zig Mal in die Hand genommen, bis er fertig dem Kunden übergeben wird. Ein Tisch weniger oft, er entsteht aber mit demselben Engagement von Seiten aller. Offensichtlich gerne beantworten die Mitarbeiter Fragen zu ihrer Aufgabe innerhalb des Produktionsvorganges. Diese familiäre Atmosphäre ist für das Unternehmen charakteristisch. Markus Landolt pflegt diese Kultur umsichtig, weil «nur wenn sich jeder Mitarbeiter engagiert, kann das Unternehmen sich weiterentwickeln, innovative Produkte und höchste Qualität liefern». Jede Neuheit wird mit dem Designer, Architekten oder Gestalter im Team entwickelt und erarbeitet. Im Team wird auch nach der sinnvollsten und besten Herstellungsmethode gesucht.
Aktuelle Klassiker
Im Showroom wird der Bogen von gestern zu morgen sichtbar. In dem lang gestreckten, perfekt proportionierten Raum mit dem hellen gewaschenen Holzboden und den zwei parallel verlaufenden Reihen filigraner weissen Säulen fällt das Tageslicht durch grosse Fenster von beiden Seiten ein. Der schöne Raum bietet den richtigen Rahmen für die ganze Produktpalette: Tische und Stühle aus Holz. Einfach, elegant, leicht, ästhetisch, sinnvoll und solide. Gutes Design verlangt unerbittlich nach hoher Qualität und Langlebigkeit. Dies beweisen/zeigen Stühle wie «Classic», der Restaurantstuhl: Der schlichte, dunkel gebeizte Stuhl aus Massiv- und Formsperrholz wurde im Unternehmen 1918 entwickelt und ist heute ein Bestseller. «Moser», ein weiterer Stuhl auf dem Siegerpodest, ist ein Entwurf aus der Hand des Architekten Werner Max Moser aus dem Jahre 1931. Moser, ein Schüler Frank Lloyd Wrights, lehrte in den USA wie in Deutschland Architektur, darüber hinaus zählte er zu den Initianten der 1931 gegründeten Wohnbedarf AG. Auf dem Podest steht auch «Miro», ein Stuhl des international anerkannten Designers Hannes Wettstein. Der leicht kantige, puristische Stuhl zeigt beispielhaft, wie das Unternehmen den Bogen von der Geschichte in die Gegenwart spannt: indem versucht wird, aktuelle Klassiker zu entwickeln. Die Firma pflegt dieselben Werte: Form und Funktion, Beständigkeit und Einfachheit, Qualität und Service. Markus Landolt sagt, ein wenig nachdenklich, in diesem noch von einem letzten Windstoss an Industriegeschichte geprägten Saal, dass er in seiner täglichen Arbeit die Tradition und Geschichte des Unternehmens wie ein Proviantsack mit sich trägt. Aus ihm kann er für sich und seine Frau Inspiration, Mut und Motivation, Kontinuität und Kraft schöpfen. In diesem Sinne denkt und arbeitet das junge Unternehmerpaar langfristig und will die Nischenposition in der internationalen Design- und Architekturwelt auch in Zukunft besetzen und dabei sorgsam ausbauen.
Tradition und Innovation
«Casa» befragte Hannes Wettstein, den Verantwortlichen für die gesamte gestalterische Ausrichtung von «horgenglarus», zu seiner Arbeit.
Was unterscheidet die Entwurfsarbeit für dieses Unternehmen von der für einen anderen Hersteller?
Hannes Wettstein:Das Unternehmen besitzt eine interessante Geschichte, geprägt von einer engen, kontinuierlichen Zusammenarbeit mit Architekten. Vieles ist in den Räumen dieser Manufaktur für ein bestimmtes Projekt entstanden, auf Mass. So ist für mich und mein Team die Arbeit für diese Firma eine andere: Wir können von einem Fundus an Entwürfen ausgehen, der den klassischen Holzstuhl zum Thema hat. Für dieses Unternehmen entwerfen wir nicht aus-schliesslich neu, sondern gehen auch von bestehenden Modellen aus und passen sie der Zeit und ihrer Bestimmung an. Ja, wir betreiben eher eine intensive, hinterfragende Modellpflege. Die Entwurfsarbeit geschieht sehr diszipliniert mit stetem Blick auf die Geschichte und die inneren Ressourcen. Hier werden nie modische Produkte angeboten. Die konsequente Modellbereinigung haben wir im Jahr 2001 begonnen, zwei Jahre nach Beginn unserer Tätigkeit für diese Firma, in enger Zusammenarbeit mit den heutigen Besitzern und Unternehmensleitern.
Wie unterscheidet sich dieses Unternehmen von andern?
Wettstein:Viele seiner Stuhlmodelle sind eine Art Archetypen in technologischer wie auch in formaler Hinsicht. Heute wird die hohe Kunst der Fertigungstechnik wie auch der Mass- und Wunscharbeit präsentiert. Aus diesem Grunde ist das Unternehmen der richtige Partner für anspruchsvolle Architekten: Ruhig, direkt, kompetent, mit einem gewissen Charme. Es gibt kaum ein anderer Hersteller, an den sich der Architekt wenden kann und ihn bitten, den einen Stuhl aus seiner Kollektion mit einer leichten Änderung zu fertigen. Diese Fähigkeit hat das Unternehmen und pflegt sie auch. Dazu muss die Zusammenarbeit am Projekt offen und eng geschehen. Der Stuhl oder der Tisch müssen ihren ursprünglichen Charakter beibehalten. So bietet dieser Fabrikant auch die Möglichkeit, einen Stuhl oder Tisch ganz nach dem Entwurf des Architekten oder Gestalters zu realisieren. In beiden Fällen kann es sein, dass mein Team und ich als Berater beigezogen werden.
Wie gestaltet sich die Kollektion in Zukunft?
Wettstein:Die Kollektion wird deutlicher nach Themen gegliedert sein: Gastronomie, Schulung, Theater, Büro, Altersresidenz, Museum usw. Denn es gibt, zum Beispiel für die Gastronomie, Stühle und Tische für Cafés, Lounges, Bars, Restaurants. Andere Stühle und Tische sind eher für Büros und Schulungsräume bestimmt. Eine dritte Gruppe richtet sich an den privaten Verbraucher. Darüber hinaus muss das Angebot an Ti-schen erweitert werden. Diese Erweiterung geschieht vorsichtig, wie auch die Arbeit an der Stuhlkollektion.
Und die Botschaft des neuen Corporate Design?
Wettstein:Das neue Corporate Design, gestaltet von Richard Feurer, drückt die Idee und Philosophie des Unternehmens aus: Es orientiert sich nicht an kurzlebigen Trends, sondern an Tradition und zugleich konsequenter Innovation.