Die Konsumentenschützer sind unzufrieden mit dem bald 15-jährigen Konsumenteninformationsgesetz (KIG). Es regelt die Finanzhilfe an Konsumentenorganisationen, ist Rechtsgrundlage für die Eidgenössische Kommission für Konsumentenfragen und enthält Vorschriften über die Deklaration von Waren und Dienstleistungen, die aber praktisch nicht angewendet wurden. Nun soll es nach den Vorstellungen des Eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartements (EVD) durch ein Bundesgesetz über die Information und den Schutz der Konsumentinnen und Konsumenten (KISG) abgelöst werden. Bis Mitte Juli 2004 ist der Vorentwurf bei Kantonen, Parteien und interessierten Organisationen in Vernehmlassung.
Neben der Verbraucherinformation soll das KISG auch die Sicherheit, Gesundheit und Interessen der Konsumenten besser schützen. Zu diesem Zweck auferlegt das KISG nach Interpretation des EVD den Anbietern die Pflicht, die Sicherheit von Waren und Dienstleistungen während der normalen Nutzungsdauer zu überwachen. Es soll zudem eine Produktsicherheit garantieren, die der europäischen Richtlinie entspreche. Beide Verheissungen werden jedoch nicht eingehalten. Dem in die Vernehmlassung geschickten Entwurf, der ohnehin völlig überladen ist, fehlen die Zähne.
Der KISG-Vorentwurf stammt vom Freiburger Universitätsprofessor Pascal Pichonnaz, der auch den Begleitbericht verfasste. Zuständig für das Projekt im EVD ist das von Monique Pichonnaz Oggier (nicht verwandt mit dem Entwurf-Autor) geleitete Eidgenössische Büro für Konsumentenfragen. Das KISG enthält Regeln über die aussergerichtliche Beilegung von Konsumentenstreitigkeiten und die Finanzhilfe an Konsumentenorganisationen, Spielregeln für vergleichende Tests und einen Katalog von Straftaten. Es definiert zudem die Aufgaben der eidgenössischen Konsumentenkommission und des Eidgenössischen Büros für Konsumentenfragen, bietet bei Verstössen ein Klagerecht für Berufs- oder Wirtschaftsverbände und Konsumentenorganisationen.
Hebelt eigenen Anspruch aus
Zentraler und gleichzeitig fragwürdigster Punkt im neuen KISG sind jedoch die Sicherheitsvorschriften für Produkte und Dienstleistungen. Mit der Dienstleistungssicherheit zum Beispiel beim Angebot von risikoreichen Freizeitaktivitäten wie Riverrafting wird ein Gebiet aufgegriffen, das selbst für die EU, ausser im Finanzbereich, zu komplex für eine Richtlinie war.
Ob das KISG die Versprechungen, die im Begleitbericht gemacht werden, erfüllen kann, ist jedoch fraglich. Denn es beschränkt sich laut Vorentwurf auf Fälle, in denen «keine anderen spezifischen Bestimmungen vorhanden sind». Damit hebelt es den von ihm selber angepeilten hohen Gesundheits- und Sicherheitsschutz gemäss EU-Niveau aus. Der Grund: Diese «anderen Bestimmungen» in den sektoriellen Gesetzen sind in der Schweiz vielfach weniger streng. So dürfen gemäss dem Bundesgesetz über die Sicherheit technischer Einrichtungen und Geräte (STEG) Erzeugnisse nur in Verkehr gebracht werden, wenn sie bei ihrer bestimmungsgemässen und sorgfältigen Verwendung Leben und Gesundheit der Benutzer und Dritter nicht gefährden. In der EU hingegen darf ein Produkt auch bei vorhersehbarem Fehlgebrauch niemanden schädigen.
Sektorielle Gesetze müssen in der EU mindestens gleichwertig oder strenger sein, damit sie anstelle der EU-Produktsicherheitsrichtlinie angewendet werden können. Dasselbe sagt das brandneue deutsche Geräte- und Produktsicherheitsgesetz (GPSG). Bei uns hingegen wären die Verbraucher auch nach dem Inkrafttreten des KISG der heutigen fragwürdigen «Produktsicherheit» ausgesetzt, die in zahllosen Bundesgesetzen und Verordnungen auf zu tiefem Niveau umrissen ist. Beispielsweise schreiben nur die Lebensmittelverordnung und die Verordnung über Gebrauchsgegenstände vor, dass Produktinformationen an gut sichtbarer Stelle in leicht lesbarer und unverwischbarer Schrift angebracht werden müssen.
Riesenaufwand für zu wenig
Weil es sich beim KISG um ein Grundsatzgesetz handeln soll, das angewandt wird, falls keine spezifische Regelung im sektoriellen Recht besteht, ist vorgesehen, 29 Gesetze und Verordnungen hinsichtlich der Sicherheits- und Informationspflichten des Anbieters zu revidieren. Das ist ein Riesenaufwand, den man sich mit der viel intelligenteren Umschreibung des Anwendungsbereichs in der EU-Produktsicherheitsrichtlinie oder im GPSG ersparen könnte. Danach müsste das KISG immer zum Zuge kommen, sofern ein sektorielles Gesetz nicht mindestens das gleich hohe Schutzniveau aufweist.
Fragwürdig ist auch, dass das KISG den Schutz der körperlichen Integrität nicht jedermann gewährt, sondern nur dem «Konsumenten». Dieser wird restriktiv definiert als Person, die eine Ware oder Dienstleistung für den persönlichen oder familiären Gebrauch erwirbt. Selbst wenn man herauslesen wollte, dass auch die Familienangehörigen des Erwerbers vor Produktgefahren geschützt werden, hätten Drittpersonen keinen Schutz (zum Beispiel wer sich ein Haushalt- oder Heimwerkergerät beim Nachbarn leiht). Dasselbe gilt für jemanden, der als Unbeteiligter durch ein Produkt verletzt oder getötet wird.
Auch wer eine Sache gebraucht, die zur gewerblichen Nutzung angeschafft wurde, hat vom KISG keinen Schutz zu erwarten. EU-Richtlinie und GPSG schützen hingegen jedermann, auch den gewerblichen Anwender. Der Ausrutscher unterlief, weil das KISG neben dem verwaltungsrechtlichen Schutz der körperlichen Integrität gleich noch die finanzielle Integrität durch ein Widerrufsrecht schützen will. Ein solches setzt ein Vertragsverhältnis zwischen Anbieter und Konsumenten voraus, also einen «Konsumvertrag» im Sinne des KISG. Den Schutz der körperlichen Integrität darf man hingegen nicht von einem Vertragsverhältnis abhängig machen.
Als Beispiele für die ökonomische Schutzbedürftigkeit des Konsumenten erwähnt der Begleitbericht Kredite, Wertpapiere, Versicherungen und Teilnutzungsrechte an Immobilien. Das erweckt den Anschein, es gebe kein Konsumkreditgesetz, keine Teil- und Gesamtrevision des Versicherungsvertragsgesetzes und keine OR-Revision zum Schutz der Konsumenten bei Immobilienteilzeitnutzung. Auch das kommende Finanzmarktaufsichtsgesetz, die Börsengesetzgebung und die Revision des Anlagefondsgesetzes dienen dem Anlegerschutz, sodass das KISG offene Türen einrennt.
Offene Türen eingerannt
Die als Innovation behauptete Produktüberwachungspflicht der Anbieter kann man im KISG nicht finden. Sie lässt sich weder aus dem Gebot ableiten, nur sichere Waren und Dienstleistungen «im Umlauf» zu halten, noch aus der Pflicht, nicht sichere Produkte «anzuhalten», «vom Markt zu nehmen» oder «zurückzurufen». Auch geht aus dem KISG nicht hervor, ob die Konsumenten nur vor Personenschäden durch gefährliche Produkte geschützt werden oder auch vor Sachschaden. Der Begleitbericht schliesst zwar einen Produktrückruf beim Risiko der «Beschädigung oder Zerstörung von Gütern von grossem Wert» nicht aus, doch steht im Gesetz kein Wort davon.
Eugénie Holliger-Hagmann ist Juristin und Journalistin. Sie befasst sich seit Jahren mit Fragen des Konsumentenschutzes und der Produktehaftpflicht.
Deklarationspflicht: Information bedingt grosse Verpackung
Das Gesetz über Information und Schutz der Konsumenten (KISG) verpflichtet den Anbieter von Gütern zu einer Fülle von Informationen, die «objektiv sein» und «der Wahrheit entsprechen» müssen. Werden dem Konsumenten wesentliche Informationen vorenthalten, kann er den Vertrag widerrufen. Ein offener Katalog solcher Informationen erlaubt es dem Richter, versäumte Angaben als «wesentlich» zu bezeichnen.
Anstelle der ein, zwei oder drei Amtssprachen gemäss den sektoriellen Produktsicherheitserlassen werden nun mindestens drei der vier Landessprachen verlangt. Wegen des enormen Aufwandes einer auf die Regionen abgestimmten Produktdeklaration läuft die Vorschrift auf eine viersprachige Deklaration hinaus. Das hat grössere Verpackungen zur Folge.
Dasselbe gilt für die Pflicht, die Herkunft der Komponenten einer Ware oder einer Dienstleistung zu deklarieren. Man stelle sich die riesige Informationsmenge auf der Verpackung von Fertiggerichten, Saucen oder Backwaren vor, bei Kosmetika oder Automobilen. Aber auch bei Bankdienstleistungen müssen wohl importierte Komponenten ausgewiesen werden etwa die einer Vermögensverwaltung zugrunde liegenden Finanzanalysen, die outgesourcten Zins- und Zinseszinsberechnungen sowie die an ausländischen Börsen generierten Wertsteigerungen eines Portefeuilles oder Anlagefonds. (ehh)
Offenlegungspflicht: Busse bis zu 1 Million Franken
Der Bund wird im Gesetz über Information und Schutz der Konsumenten (KISG) verpflichtet, nicht nur über unmittelbare Gefahren für die Sicherheit oder Gesundheit der Konsumenten zu informieren, sondern auch über Produktrückzüge und strafrechtliche Verfolgung eines Anbieters. Auf diesen warten Gefängnis oder Busse von 1 Mio Fr., wenn er falsche Informationen über Waren oder Dienstleistungen abgibt, Falschinformationen nicht berichtigt, Rückrufe unterlässt, nicht über Risiken informiert oder es versäumt, die Behörden zu orientieren. Fahrlässige Begehung, Versuch und Gehilfenschaft sind strafbar, beispielsweise der Versuch, eine irreführende Information nicht zu berichtigen. (ehh)
EU ist strenger: Unsicherheit für Hersteller
Produktehaftpflicht: Bei einem Schadenfall durch fehlerhafte Produkte kommen Hersteller in der Schweiz und in der EU aufgrund des fast identischen Produkthaftpflichtrechts nach dem gleich strengen Massstab zur Kasse. Er entspricht jenem der EU-Produktsicherheitsrichtlinie.
Statt einen Eigenbau eines Produktsicherheitsgesetzes zu basteln, wäre es in der Schweiz wohl ratsam, sich an dem in der EU geltenden hohen Produktionssicherheitsniveau zu orientieren, nur schon wegen der Menge schweizerischer Erzeugnisse und Teilprodukte, die in den EU-Raum gelangen. (ehh)