Die Konsumentinnen und Konsumenten stellen heute fest, dass die Konsumwelt, die sie während zweier Jahrzehnte heraufbeschworen haben, auf die Dauer ausgesprochen unattraktiv wird. Es gibt unheimlich viel, aber überall das Gleiche. Zu dieser Feststellung kommen die Verfasser der Studie «Hyper Consuming 2010» des Zukunftsinstituts in Kelkheim/Frankfurt.

Natürlich haben Hersteller und Handel eifrig mitgemischt und sind nicht unschuldig daran, dass viele Konsumenten heute genug vom Zuviel haben. Hin- und hergerissen zwischen einem Überangebot, Schnäppchenpreisen und Billigstangeboten auf der einen Seite und einer neu entdeckten Sehnsucht nach Vereinfachung des Lebens jenseits des materiellen Besitzes auf der anderen Seite scheint manchen Zeitgenossen nur noch ein Ausweg möglich: Konsumverweigerung.

*Billiges zieht nicht mehr*

Darin sind sich im Grunde alle Trendforscher einig: Billigstangebote verlieren dramatisch an Ausstrahlung. Trends, die Matthias Horx und Andreas Steinle vom Kelkheimer Zukunftsinstitut neu entdeckt zu haben glauben, stellen einen geläuterten Kunden ins Rampenlicht, dem innere Werte und Sinnsuche wieder näher liegen als die zeitaufwendige Schnäppchensuche in einem Outlet oder der Kampf um Billigangebote im Sonderverkauf.

*Moralische Werte*

Allem, was mit «überflüssigem» Konsum zu tun hat, steht eine zunehmende Skepsis gegenüber, die eher zum Verzicht als zum Kauf zusätzlicher Güter tendiert - es sei denn, ein spezieller Wert oder ein moralischer Aspekt überzeugt den Kunden. Dann greift er tiefer in die Tasche für Max-Havelaar-Produkte, Fleisch vom Bio-Bauern, Minergie-Häuser, Regenwasserzisternen oder das neueste Elektro-Benzin-Hybridfahrzeug. Diese Konsumenten sind gemäss der Hyper-Consuming-Studie vergleichsweise unempfänglich für den Virus der Discountangebote. Denn allzu minderwertige Produkte sind für sie intransparent, was die Herstellung betrifft.

Jörg Brun, Leiter Marketing Food Departement Marketing von der Migros, ist überzeugt, dass Herkunfts- und ethische Labels auch in Zukunft eine sehr gute Chance haben werden, aber nur für einen Teilmarkt.

Der Kunde wird weiterhin zwischen billig und Premium wählen. Jörg Brun definiert das Kundenverhalten so: «Heute bin ich Budgetkäufer, morgen Premiumkonsument.» Dies habe ein Detailhändler in den Supermärkten abzubilden, oder er werde sich auf ein spezialisiertes Sortiment beschränken müssen. Migros hat die Strategie des «Vollsortimenters«, des Content Retailers gewählt.

Martin Hotz vom Schweizer Marketing-Forum gibt zu bedenken, dass die derzeit weiter boomende Verkaufsflächenexpansion, die mit einer einmaligen Erweiterung des Sortiments Hand in Hand geht, in einer Sackgasse enden kann. «Wir stellen fest, dass auf den bestehenden Flächen eigentlich kaum Umsatzzuwächse zu verzeichnen sind», sagt der Marketingexperte und stellt die Frage: «Wann wird endlich wieder rentables Wachstum im Fokus stehen und nicht der mühsame Versuch, sich Umsätze durch Verkaufsflächenvergrösserung und Sortimentserweiterung zu erkaufen?»

*Auf Sehnsüchte gestossen*

In der neuesten Studie des Schweizer Marketing-Forum sind die Experten auf Sehnsüchte gestossen - ein Trend, der sich auch mit den Erkenntnissen praktisch aller internationaler Studien deckt: Überschaubarkeit, Orientierung, Berechenbarkeit und teilweise auch Geborgenheit. Der Kunde hält Ausschau nach überblickbaren Läden und Sortimenten. Er reagiert mit Kaufaufschub oder Kaufverzicht, wenn die Sortimente unübersichtlich sind.

*Stress des Zuviel*

Aus der Lust am Mehr ist der Stress des Zuviel entstanden. Jörg Brun ist davon überzeugt, dass Migros noch mehr leisten muss, um den Kunden im Laden zu behalten. Einzelne Sortimente werden ganz verschwinden, sagt er, neue werden eingeführt. Die Frische im Nahrungsmittelbereich wird das zentrale Element bleiben, dazu noch mehr Dienstleistungen.

Brun: «Vielleicht sind es ja aber auch nicht nur die neuen Ladenkonzepte, sondern auch ganz spezifische und gezielte Aktivitäten mit Kundengruppen oder sogar mit dem einzelnen Kunden.»

Ob in einem Sehnsucht-nach-Geborgenheit-Umfeld in den Schweizer Supermärkten die als Kostensenker angepriesenen neuen Self-Check-Lösungen, also das eigene Scannen von gekauften Waren, wirklich genauso erfolgreich sein werden wie in den USA, dürfte bezweifelt werden. Denn dadurch gewinnt der Konsument nicht mehr Zeit, sondern muss kräftig mitarbeiten - und verstrickt sich in noch mehr Nebensächlichkeiten, die dem Wunsch nach Entschleunigung und Reduktion von Unwesentlichem krass entgegenstehen.

Wenn sich die Schweizer Detailhändler jedoch von den Category-Killern in einen Preiswettbewerb hineinkatapultieren lassen, kommt das nach Meinung von Martin Hotz einem Himmelfahrtskommando gleich. Doch derzeit sehen die beiden Grossen das noch eher gelassen. Auf die Frage, wie sie in Zukunft mit diesen Wettbewerbern umgehen werden, gibt sich Jörg Brun von der Migros entspannt: «Mit Respekt, aber mehr nicht! Wenn wir uns im Klaren sind, welchen Nutzen wir unseren Konsumenten bieten können und uns auf diese Kompetenzen konzentrieren, werden wir weiter wachsen.»

*Neue Hausaufgaben*

Martin Hotz sieht für den Schweizer Detailhandel neue Hausaufgaben vor allem darin, dass die eigenen Geschäftsmodelle besser ausdifferenziert werden müssen und der Einheitsbrei durchbrochen wird. Auf der Lieferanten- und Produzentenseite seien strategische Überlegungen nach der Berechtigung der Produkte im Markt ein absolutes Muss.

Hotz ist sich aber dessen absolut bewusst, dass die breite Masse des hybriden, wechselbereiten Konsumenten das Ganze erschwert, weil der es als Sport und Erfolgserlebnis sieht, Tiefstpreise und Schnäppchen zu ergattern. Denn wie sagte doch gleich der frühere Metro-Manager Erwin Conradi so treffend: «Arme Leute brauchen tiefe Preise, reiche Leute lieben tiefe Preise.»

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