Die Volkswagen-Abgasaffäre droht zu einem weltweiten Flächenbrand für den Automobilhersteller zu werden. Wie das Unternehmen mitteilte, wurde offenbar an deutlich mehr Autos die Steuerungssoftware manipuliert als zunächst angenommen – und das nicht nur in den USA. Volkswagen steht global unter Beschuss.

Wie es in einer Mitteilung des Automobilherstellers heisst, hätten «weitere bisherige interne Prüfungen ergeben, dass die betreffende Steuerungssoftware auch in anderen Diesel-Fahrzeugen des Volkswagen-Konzerns vorhanden ist». Eine ganze Reihe von Regierungen kündigte umgehend an, Sondertests für VW-Fahrzeuge einzuführen, und forderte eine explizite Untersuchung der Vorgänge, darunter Frankreich, Südkorea und Australien.

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Volkswagen musste zugeben, dass «Fahrzeuge mit Motoren vom Typ EA 189 mit einem Gesamtvolumen von weltweit rund elf Millionen Fahrzeugen auffällig» seien. Bei diesem Motortyp sei «eine auffällige Abweichung zwischen Prüfstandswerten und realem Fahrbetrieb festgestellt» worden.

«Einmalig in der Automobilgeschichte»

«Probleme bei Fahrzeugen, die auf vorsätzliche Manipulation zurückzuführen sind, hat es in diesem Ausmass noch nie gegeben. Das ist einmalig in der Automobilgeschichte», sagte Branchenexperte Stefan Bratzel.

Dass nun einige hochrangige Manager ihre Jobs verlieren werden, ist sicher. Doch Personalrochaden beschäftigen Vorstand und Aufsichtsrat des Konzerns längst nicht mehr vorrangig. Der Skandal hat eine Dimension erreicht, die existenzgefährdend für den derzeit grössten Autohersteller der Welt sein könnte. Die Milliardenkosten und Strafzahlungen, die auf das Unternehmen zukommen, könnten selbst den bislang so starken Dax-Konzern erdrücken.

Da ist zum einen die Gewinnwarnung, die Volkswagen am Vormittag herausgeben musste. «Zur Abdeckung notwendiger Service-Massnahmen und weiterer Anstrengungen, um das Vertrauen unserer Kunden zurückzugewinnen, beabsichtigt Volkswagen, im dritten Quartal des laufenden Geschäftsjahres rund 6,5 Milliarden Euro ergebniswirksam zurückzustellen», hiess es in einer Mitteilung.

Astronomische Kosten erwartet

«Aufgrund der laufenden Untersuchungen unterliegt der angenommene Betrag Einschätzungsrisiken. Die Ergebnisziele des Konzerns für das Jahr 2015 werden entsprechend angepasst», erklärte Volkswagen weiter. Zum Vergleich: Das Zündschloss-Debakel von General Motors (GM) hat die Opel-Mutter bislang etwa drei Milliarden US-Dollar gekostet. Experten glauben, dass die 6,5 Milliarden Euro allein im dritten Quartal nicht ausreichen werden, um die Probleme in den Griff zu bekommen.

Als Folge der Gewinnwarnung beschleunigte sich der Einbruch der VW-Aktie. Der Kurs rauschte am Dienstag um 17 Prozent auf 111 Euro in die Tiefe, nachdem die Aktien bereits am Montag um knapp 19 Prozent eingebrochen waren. Damit büsste der Wolfsburger Konzern seit Bekanntwerden des Abgasskandals rund 25 Milliarden Euro an Börsenwert ein. Dies entspricht in etwa der gesamten Marktkapitalisierung der Münchener Rück, des weltgrössten Rückversicherers.

Hinzu kommt die drastische Strafe, die die US-Umweltschutzbehörde vermutlich gegen Volkswagen verhängen wird. Sie könnte bis zu 18 Milliarden Dollar betragen – Strafzahlungen werden in den USA in Fällen wie diesen pro Fahrzeug erhoben. Das war allerdings beim Stand von rund 500’000 betroffenen Autos, bevor Volkswagen am Dienstag eingeräumt hat, dass an etwa elf Millionen Fahrzeugen die Motorsteuerung manipuliert wurde.

Gefürchtete Sammelklagen in den USA

Klar ist, dass Volkswagen drastische Umsatzeinbrüche hinnehmen muss, wohl nicht nur in den USA. Und dass die Kosten für den Austausch der Steuerungssoftware hohe Summen kosten dürften. Fraglich ist zudem, ob das US-Werk weiter auf hohen Touren laufen kann oder ob die Produktion gedrosselt werden muss, am Ende sogar teilweise stillsteht. Autowerke, die nicht den geplanten Ausstoss schaffen, vernichten schon nach Stunden Millionenwerte.

All das sind aber Peanuts im Vergleich zu den Summen, die auf Volkswagen in den USA durch Kunden- und Anlegerklagen zukommen könnten. Da die Autos nicht so sauber sind wie erklärt, können Käufer darauf beharren, ihr Auto sei gesundheitsschädigend und erfülle technisch nicht die versprochene Leistung. Vor allem die bei Unternehmen gefürchteten Sammelklagen von VW-Kunden in den USA gegen Volkswagen sind ziemlich realistisch. In aller Regel fordern die Kläger in diesen Fällen viele Milliarden als Ausgleich.

Anleger könnten viel Geld einfordern

Hinzu kommt, dass Anleger Klage gegen VW erheben könnten und das ziemlich sicher auch tun werden. Sie werden argumentieren, dass sie sich vom Unternehmen getäuscht fühlen, da dies Produkte verkauft, die nicht den angegebenen Standards entsprechen.

Zudem habe Volkswagen nach Bekanntwerden der Manipulationen keine Ad-hoc-Erklärung veröffentlicht, also die Anleger nicht informiert. Damit, so werden die Anwälte von Anlegern argumentieren, sei gegen Aktienrecht verstossen worden. Auch in diesem Fall werden die Kläger Milliardensummen fordern. «Wir wissen noch gar nicht, was da alles auf uns zukommt», räumt ein VW-Manager ein.

Dieser Artikel ist zuerst auf unserer Schwester-Publikation «Die Welt» unter dem Titel «Abgas-Skandal könnte die Existenz von VW bedrohen».