Ende September war Eric Tveter im Dauereinsatz. Am Zurich Film Festival zeigte sich der UPC-Chef als einer der Hauptsponsoren während acht Abenden an elf Events. An der Party nach der Opening Night in der Delicatessa von Globus an der Bahnhofstrasse unterhielt er sich zwischen Käsetheke und Kaviarkühlschrank intensiv mit Filmproduzent Harvey Weinstein; vier Tage später amüsierte er sich während zweier Stunden bestens im Gespräch mit der Regisseurin von «Bridget Jones’s Baby», Sharon Maguire («eine sehr lustige Person», so Tveter). Es war wieder ein grosser Auftritt des UPC-Chefs.
Einer der wenigen, wie viele Kritiker monieren. Seit seiner Amtsübernahme 2009 hat Tveter eine schier unmögliche Aufgabe gemeistert: Der 58-Jährige verwandelte die meistgehasste Firma der Schweiz, die damals noch Cablecom hiess, in einen ganz normalen Telekomanbieter. Das brachte dem Amerikaner mit norwegischen Vorfahren intern und extern viel Anerkennung. Doch seit rund 18 Monaten ist in Wallisellen vom Chef kaum mehr etwas zu spüren. «Tveter ist nur noch selten physisch präsent», sagt einer, der das Unternehmen verlassen hat.
Die Abgänge häufen sich
Im Haus rumort es: «Die Stimmung ist schlecht wie lange nicht mehr», erzählt ein Insider. Und die Abgänge häufen sich. So traute die Personalverantwortliche eines Schweizer Finanzdienstleisters ihren Augen fast nicht, als sie im Frühling 2015 die Anfragen auf eine Marketingstelle durchging: Auf ihrem Pult lagen gleich vier Bewerbungen aus der Marketingabteilung von UPC Schweiz.
Zu diesem Zeitpunkt war der Braindrain beim Kabelnetzbetreiber schon in vollem Gange. Bis heute ist er nicht versiegt: Rund zwanzig Kaderleute sind seither gegangen. Mindestens so viele Leute aus den unteren Chargen sollen ihnen gefolgt sein, berichten Insider.
Sparhammer fiel kurz nach Umzug
Natürlich ist die Stimmung in der ganzen Branche nicht die beste: Preiszerfall, Kostendruck und die übermächtige Swisscom machen allen privaten Anbietern zu schaffen. «Die Goldgräberstimmung ist definitiv vorbei», sagt Jörg Halter von der Telekomberatung Ocha. «Es wird zunehmend schwieriger, neue Kunden zu gewinnen.» Doch die Unzufriedenheit bei UPC hat ein aussergewöhnliches Mass erreicht. «Die Leute sind verunsichert, die Angst um den Job zehrte an der Arbeitsmoral», sagt ein früherer Mitarbeiter.
Gleich mehrere Gründe kamen zusammen: Ende 2014 verschob UPC den Hauptsitz von zentralster Lage beim Zürcher Hauptbahnhof in die Agglogemeinde Wallisellen. Die 1600 Angestellten hatten sich kaum eingerichtet, als der Sparhammer fiel: 250 Stellen müssten verschwinden, teilte Tveter seiner schockierten Belegschaft mit, Entlassungen seien nicht ausgeschlossen.
Gründe waren der Zusammenschluss mit UPC Österreich zu einer Regionalorganisation und die Elimination der dadurch entstandenen Doppelspurigkeiten. Bis 2018, so gibt es das US-Mutterhaus Liberty Global vor, sollen die Umsätze bei gleichen Kosten markant gesteigert werden. Dafür verantwortlich: Tveter und seine Mannschaft.
Die Krux mit den Österreichern
Praktisch über Nacht übernahmen die Schweizer in Wien das Kommando, der bisherige Österreich-Chef wurde zum Regionalleiter degradiert. Im zwölfköpfigen Management durften nur zwei Österreicher Einsitz nehmen. «Die Schweiz ist der grössere Markt», erklärt Tveter die Machtverteilung – sie macht dreimal mehr Umsatz als Österreich und hat doppelt so viele TV-Kunden. Die Folge: Die Zusatzarbeit bekamen die Leute in Zürich aufgehalst. «Das ganze Produktmanagement hat eine Zeit lang fast ausschliesslich für Österreich gearbeitet», sagt ein Insider. «Für die Schweiz blieb kaum mehr Management Attention.»
Ein Ex-Mitarbeiter bestätigt: «Für uns war Österreich ein Bremsklotz. Wir hatten die Nachbarn immer belächelt, jetzt mussten wir dort die Verantwortung übernehmen.» Auch die Arbeitskultur ist völlig unterschiedlich: Die Österreicher kommen mit dem Tempo und der Strukturiertheit der Schweizer Kollegen nicht klar. Ist die Unzufriedenheit in Zürich gross, so ist sie in Wien riesig.
Multi-Chef Tveter
Der Umbruch war noch nicht verdaut, da kam die nächste Zusatzaufgabe für Tveter: Letzten Herbst legte das Mutterhaus auch noch die Verantwortung für Polen, Ungarn, Rumänien, Tschechien, die Slowakei und die von Luxemburg aus gemanagten Satellitendienste in seine Hände. Ausser Deutschland, Holland und Belgien verantwortet er nun alle Liberty-Global-Gesellschaften in Festland-Europa.
Und auch hier wird fusioniert: derzeit Tschechien mit der Slowakei, demnächst Rumänien mit Ungarn sowie – ausserhalb von Tveters Einflussbreich – Irland mit Grossbritannien. Das macht die Arbeitsbelastung nicht geringer.
In Wien, London, Amsterdam und Denver
Faktisch hat sich Eric Tveter aus Wallisellen verabschiedet. Er berichtet jetzt direkt an Liberty-Global-CEO Michael Fries, verbringt viel Zeit in Wien, London, Amsterdam und Denver. Je nach Unternehmen kann die Abwesenheit des Chefs positive oder negative Folgen haben.
Bei UPC trat Letzteres ein, weil Tveter die Firma aussergewöhnlich stark prägte. Obwohl er kein grosser Rhetoriker ist, konnte er das Team in der Krise hinter sich scharen, auf ein Ziel einschwören und von seiner Vision überzeugen. Nun, so heisst es, habe seine Abwesenheit zu einer gewissen Lethargie in der Geschäftsleitung geführt. «Man hat es sich gemütlich eingerichtet», erzählt ein Ex-Kadermitglied. «Keiner tritt dem anderen auf die Füsse.»
Zufriedenheit stiegt um 13 Punkte
Tveter sieht das natürlich ganz anders. Die schlechte Stimmung? Einzelfälle! «Bei 1500 Angestellten gibt es immer ein paar, die mit etwas unzufrieden sind», sagt er und verweist auf eine Mitarbeiterumfrage, laut der die Zufriedenheit diesen Frühling um 13 Punkte zugenommen habe. Dies, nachdem sie im Herbst angeblich um fünf Punkte gefallen war. Eine detaillierte Auswertung dazu hält Tveter aber unter Verschluss.
«Sollte sich dieser positive Trend in der nächsten Mitarbeiterumfrage nicht bestätigen, würden wir das selbstverständlich ernst nehmen und Massnahmen zur Zufriedenheitssteigerung ergreifen», stellt Tveter in Aussicht. Von Frust in Österreich will er nichts wissen.
«Kompletter Unsinn»
Dass man ihn am Hauptsitz kaum mehr sehe, sei «kompletter Unsinn». Die Schweiz habe für ihn weiterhin Priorität: «Die meiste Zeit bin ich hier, in Österreich etwa einen Tag pro Woche.» Und überhaupt gehe es nicht um physische Präsenz: Wenn er nicht anwesend sein könne, schalte er sich per Videokonferenz zu.
Auch von einer Abgangswelle will Tveter nichts wissen. Dass bei einer Umstrukturierung ein paar Leute das Unternehmen verlassen, sei unvermeidlich: «Aber seit Januar ist der Bestand um 23 Mitarbeiter gewachsen.» Und er verweist auf die seit Jahren stabile Konzernleitung und die Tatsache, dass von 29 Vice Presidents nur einer gegangen sei.
Fakt ist: Mindestens fünf Vice Presidents haben UPC seit Frühling 2015 verlassen. Und aus der Geschäftsleitung verabschiedeten sich CFO Ivan Nash Vila und demnächst Marketingleiter Ivo Hoevel. «Hoevel pendelte zwischen München und Zürich, was mit seinem Familienleben nicht dauerhaft vereinbar war», begründet Tveter den Abgang. Und Vila habe einen neuen Job bei einer ganzen Gruppe gefunden. Gemeint ist der TV-Produktionskonzerns Endemol. Intern heisst es, er habe Tveter als CEO beerben wollen. Doch ein Chefwechsel steht in Wallisellen nicht an.
Das Fundament brökelt
Und schon rollt die nächste Welle aufs Kader zu. B2B-Chef Marco Quinter wird seine Sparte komplett neu organisieren. Die letzten rund 15 Jahre war der Geschäftskundenbereich aufgeteilt in die Bereiche SoHo (Small Office / Home Office), KMUs sowie Grosskunden (etwa Migros und Coop). Nun soll er nach Funktionen organisiert werden: Betrieb, Support, Verkauf etc. «Wir verändern unsere Struktur von Zeit zu Zeit», versucht es Tveter herunterzuspielen. «Ich würde das nicht als grössere Umstrukturierung bezeichnen.»
Die Turbulenzen kommen zur Unzeit. Vordergründig laufen die Geschäfte gut. Der Umsatz steigt immerzu – im letzten Jahr um 3,4 Prozent auf 1,34 Milliarden Franken (Gewinnzahlen gibt UPC nicht bekannt). Genau betrachtet aber bröckelt das Fundament des Kabelnetzbetreibers.
Übermacht Swisscom
Im wichtigen TV-Segment verliert er seit Jahren Kunden an die Swisscom, die erst vor zehn Jahren in den Markt eingestiegen war. Anfang Jahr überholte sie erstmals UPC bei den Kundenzahlen. Der B2B-Bereich wächst zwar. Aber mit nur sieben bis acht Prozent Marktanteil kommt man der Swisscom (rund 85 Prozent) seit Jahren nicht näher.
Auch das 2014 mit grosser Verspätung lancierte Mobilfunkangebot enttäuscht. 56'000 aktive Abos weist UPC aus, weniger als ein Prozent von Platzhirsch Swisscom (6,6 Millionen). Mit amerikanischem Brachialoptimismus feiert das Tveter als «grossen Erfolg in diesem Jahr». Im Frühling munkelte man in der Branche gar, dass Salt, die das Mobilfunknetz für UPC zur Verfügung stellt, den Vertrag nicht verlängern werde (man verlängerte ihn schliesslich).
Auch bei den bestehenden Kunden verliert UPC an Boden. Zwar sagt Tveter, die Zufriedenheit sei dieses Jahr von 8,0 auf 8,2 gestiegen (auf einer Skala von 0 bis 10). Doch im «Bilanz»-Telekom-Rating, bei dem rund 10'000 Schweizer Privat- und 1500 Geschäftskunden ihre Carrier bewerten, landete UPC in fast allen Kategorien im hinteren Drittel der Anbieter.
Spiel mit den Preiserhöhungen
Den Umsatz pusht Tveter allein mit Preiserhöhungen. Seit 2012 hob er je dreimal die Preise für Internetabos und den Tarif für den Kabelanschluss an. Die Grundgebühr stieg in dieser Zeit von 28.40 auf 36.90 Franken pro Monat. Begründet werden die Erhöhungen jeweils mit Investitionen ins Netz. Nach UPC-Angaben kostete das in den letzten zehn Jahren zwei Milliarden Franken. Der Preisüberwacher konnte nur noch zuschauen, weil durch den Markteinstieg von Swisscom und Sunrise Wettbewerb entstand. Im Sommer 2015 gab er das Dossier Cablecom ganz auf.
Tveters Spiel mit den Preiserhöhungen ist geschickt und gefährlich zugleich. Er profitiert zwar von der Trägheit der Kunden, die kaum Lust haben, die ganzen UPC-Gerätschaften zurückzugeben. Doch geht er zu weit, könnten irgendwann die Dämme brechen und die Kunden in Massen zur Konkurrenz wechseln. Im letzten Quartal musste UPC bereits 20'000 Abgänge hinnehmen. Mit jeder weiteren Preiserhöhung wird die Kundenbasis noch stärker erodieren.
Gleiche Spots
Der Stellenabbau, sagt Tveter, sei nun abgeschlossen. Weiter gespart werden muss trotzdem. Das treibt bisweilen absurde Blüten. Etwa in der Werbung. So nutzt man die gleichen Spots nun für beide Länder. Markenbotschafter sind neben Michelle Hunziker auch Carlos Leal und Stéphanie Berger. Der Schauspieler und die Ex-Miss sind in der Schweiz C-Prominente, in Österreich sind sie fast gänzlich unbekannt. «Um ein paar Franken zu sparen, macht man eine binationale Werbestrategie», sagt Ocha-Partner Jörg Halter. «Das funktioniert nicht.» Und konnte man hierzulande bislang das überlegene Netz ins Zentrum stellen, so fehlt dieser Wettbewerbsvorteil in Österreich.
Also müssen die drei Markenbotschafter ihren TV-Anbieter jetzt mit austauschbaren Lifestyle-Argumenten anpreisen. Wobei drei mehr oder weniger prominente Köpfe unter Marketingexperten als zwei zu viel gelten: «Ganz offensichtlich fehlt eine übergeordnete Strategie», sagt Werbefachmann Peter Metzinger, Gründer von Business Campaigning.
Mehr Sport, mehr Schärfe
Die Zeiten werden nicht ruhiger. Im Wochentakt kündigt das Unternehmen neue Produkte, Abos und Kooperationen an. Anfang Oktober übernahm UPC die Internettelefonie-Firma E-fon. Die 30 Mitarbeiter werden nach Wallisellen zügeln. Ab Sommer 2017 werden auf der neuen Plattform MySports exklusiv Eishockeyspiele live gezeigt. Dass er dafür den Zuschlag erhielt, nennt Tveter «one of my proudest career moments».
Vielleicht kommen auch noch die Formel-1-Rechte hinzu. Diese wurden zwar nicht von der UPC-Muttergesellschaft Liberty Global gekauft, wie vielerorts berichtet wurde, sondern von Liberty Media. Doch deren Shareholder sind teilweise dieselben wie bei Liberty Global, was UPC mindestens einen Verhandlungsvorspung bringt. Und schliesslich soll bald eine hochauflösende Nachfolgerin für die in die Jahre gekommene Horizon-TV-Box kommen.
Tveter ist an allen Ecken gefordert. Trotzdem konnte er kürzlich ein privates Projekt abschliessen. Seit 2009 lebt er an der Goldküste zur Miete. Im September hat er in Meilen ein Haus gekauft. «Wir haben entschieden, die Schweiz auch langfristig zu unserem festen Wohnsitz zu machen», sagt er. Zumindest beim Lebensmittelpunkt sucht Tveter Stabilität.