Die Bankkunden sind einerseits immer besser informiert und deshalb anspruchsvoller, andererseits intensiviert sich der Wettbewerb unter den Banken. Wer seine Kunden besser versteht, kann bessere Dienstleistungen bereitstellen, erhält mehr Geschäft zu besseren Konditionen und wächst dadurch profitabel. Eine kunden- statt produkteorientierte Perspektive ist deshalb die Erfolgsformel für eine Bank.
Die «Magic Moments»
Obwohl die Kundenbedürfnisse immer vielschichtiger und anspruchsvoller werden, erfolgt die Kundensegmentierung heute bei vielen Banken nach wie vor auf Basis der Vermögensgrösse anstelle einer bedürfnisorientierten Segmentierung aus Sicht der Kunden. Die Einteilung der Privat- und Firmenkunden allein nach Grösse ist jedoch unzureichend. Denn Kunden in der gleichen Grössenkategorie haben nicht unbedingt identische Anliegen und benötigen folglich nicht zwingend die gleiche Betreuung.
Im Privatkundengeschäft der Credit Suisse erfolgt die Ausrichtung der Kundenbetreuung anhand der Lebensphasen «Entdecken», «Aufbauen», «Optimieren», «Verwirklichen» und «Geniessen». Das Studium, die Heirat, das erste Wohneigentum oder der absehbare Eintritt ins Rentenalter sind «Magic Moments» in den jeweiligen Lebensphasen der Kunden. Die Erfahrung zeigt, dass in solchen «Magic Moments» ein erweiterter Bedarf für Beratung und Bankdienstleistungen besteht, gleichzeitig aber auch die meisten Wechsel einer Bankbeziehung erfolgen – für eine Bank Chance und Risiko zugleich. Hier gilt es, rechtzeitig den Puls zu fühlen.
Im Segment der vermögenden Private-Banking-Kunden sind neben der Lebensphase die Quelle, aus der ein Vermögen stammt, sowie der Verhaltenstyp des Kunden entscheidend. So haben Kunden, deren Vermögen zum Beispiel aus unternehmerischer Tätigkeit oder aus der Tätigkeit als Top-Executive eines Unternehmens stammen, unterschiedliche Anforderungen an die Beratung und Dienstleistungen der Bank. Der Verhaltenstyp des Kunden bestimmt ebenfalls stark seine Präferenzen bezüglich Beratungsstil und -intensität sowie bezüglich Produkten und Dienstleistungen. Analoges gilt für Firmenkunden, wobei sich hier die bedürfnisorientierte Segmentierung aus der Geschäftstypologie, wie etwa der Industriezugehörigkeit, ergibt.
Die Herausforderung für die Bankenindustrie besteht darin, den Kunden und seine Bedürfnisse viel systematischer als in der Vergangenheit zu erfassen und zu verstehen und ihn durch seine Lebensphasen zu begleiten. Zusätzlich müssen die Banken für diese Kundensegmente dezidierte Kundenlösungen sowie Betreuungsmodelle anbieten.
Der intensivierte Wettbewerb und der damit einhergehende Ausbau der Produktpalette bei den meisten Banken lassen nur eine geringe Differenzierung auf der traditionellen Produkteseite zu. Echte Differenzierungsmöglichkeiten ergeben sich jedoch aus der bedürfnisorientierten Kundensegmentierung. Hier können für spezielle Kundensegmente und deren komplexe Bedürfnisse massgeschneiderte Lösungen erarbeitet werden, welche anstelle eines rein produktorientierten Ansatzes spezifische Beratungen (zum Beispiel zum Thema Nachfolgeplanung für Unternehmer), spezifische Produkte (zum Beispiel klassische Kredite kombiniert mit Zinsderivaten) und weitere Dienstleistungen und Privilegien (zum Beispiel besondere Anlässe) umfassen. Diese Kundenlösungen bedingen meist eine nahtlose Zusammenarbeit über die Geschäftsfelder hinweg.
Aus diesem Grund hat die Credit Suisse zur besseren Betreuung der Unternehmer in der Schweiz unter anderem spezifische «Entrepreneur Desks» geschaffen. Dabei wurden interdisziplinäre Arbeitsgruppen mit Experten aus allen oben genannten Geschäftsfeldern gebildet. Damit kann ein sehr breites und individuelles Angebot an Kundenlösungen angeboten werden, von der detaillierten Nachfolgeplanung für Unternehmer bis hin zu Family-Office-Leistungen.
Neben bedürfnisorientierter Segmentierung und innovativen Kundenlösungen spielen die emo-tionale Kundenbindung und die Servicequalität eine wichtige Rolle zur Positionierung der Bank. Eine emotionale Bindung kann durch das Verfolgen gemeinsamer Themen und Interessen erreicht werden – die Credit Suisse ist z.B. Sponsor der Schweizer Fussball-Nationalmannschaft. Die stärkste emotionale Bindung erfolgt aber durch die Beziehung des Bankmitarbeiters in der Filiale oder durch den persönlichen Kundenberater.
Konzept des «Floor Managers»
Bei der Servicequalität können die Banken von anderen Dienst-leistern lernen, unter anderem von der Hotelindustrie – gemäss dem Motto der Ritz-Carlton-Hotelgruppe: «We are Ladies and Gentlemen, serving Ladies and Gentlemen.» Die Credit Suisse hat deshalb beim Umbau von Bankfilialen das Konzept und die Rolle des «Floor Managers» eingeführt. Dieser empfängt den Kunden, beantwortet erste Fragen und leitet ihn dann an die richtigen Personen in der Filiale weiter – analog dem Ansatz des Hotelportiers. Dabei kommt dem Training der Mitarbeitenden und einer systematischen Messung der Servicequalität grosse Bedeutung zu. Beispiele sind das verstärkte Service-Training der Mitarbeitenden im unternehmenseigenen Schulungsprogramm «Hotel Paradiso», die Intensivierung verdeckter Testbesuche in den Filialen oder die Einführung eines Verantwortlichen für Servicequalität pro Filialstandort.
Eine weitere grosse Herausforderung für die Banken ist neben der Servicequalität ein einheitlicher und hoher Qualitätsstandard in der finanziellen Beratung des Kunden. Dabei setzt die Credit Suisse seit einiger Zeit auf den Einsatz eines strukturierten Beratungsprozesses, welcher bankweit eingeführt und intensiv trainiert wird. Dieser erhöhte die Kundenzufriedenheit signifikant, wie umfangreiche Messungen bei den Kunden ergaben. Erfreulich dabei ist, dass sich diese Zufriedenheit auch in einer höheren Kundenprofitabilität widerspiegelt. Mit einer verstärkten Kundenorientierung kann für die Bankkunden und die Aktionäre der Bank nachhaltiger Wert geschaffen werden. Der Erfolgsfaktor «Kunde» ist gleichzeitig der Erfolgsfaktor «Bank».
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Ulrich Körner, CEO Credit Suisse Switzerland, Zürich.