Peter Rothwell ist das Beste, was Corporate Britain zu bieten hat: Er ist smart, kompetent, adrett gekleidet, ausgestattet mit Selbstironie – und immer gut für einen Spruch. So schätzen ihn seine Mitarbeiter am Kuoni-Hauptsitz an der Neuen Hard in Zürich ein. Wenn sie ihren CEO denn zu sehen bekommen.

Der 53-jährige Brite ist oft unterwegs. Für den Konzern, aber auch in eigener Sache. Rothwell wohnt in einem Appartement in der Zuger Altstadt, besitzt ein Landhaus mit Frau, Kind und Pferd in Little Gaddesden, 50 Kilometer nördlich von London. In Zermatt hat er eine Ferienwohnung gemietet.

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Seine Hobbys: Ski fahren, reiten, fliegen. In England hält er sich eine schnittige Zweimotormaschine des Typs Diamond DA42. 2010 kämpfte er sich durchs deutschsprachige Helikoptermanual – mit Bravour; im April 2011 schaffte er die Privatpilotenlizenz fürs Helifliegen. Seine Schweizer Fliegerbasis liegt im thurgauischen Sitterdorf. Im aktuellen Kuoni-Geschäftsbericht liess sich der Konzernchef in der Pilotenkluft ablichten. Was ihn am Fliegen reizt: «Fun and difficulty».

Problemmarkt Europa. Über den multisportiven Chef mit den vielen Hubs kursiert mittlerweile ein böses Kürzel am Hauptsitz: Di–Do. Was nicht etwa für die Immatrikulation seiner TwinStar-Maschine steht – diese lautet G-OPFR –, sondern für Dienstag bis Donnerstag, für jene Zeit, in der man Rothwell am ehesten am Konzernsitz sichtet. Auf diversen Etagen, ergeben Gespräche, wünschte man sich den Chef mehr «hands-on». Der Kuoni-Sprecher verweist auf die Knochenarbeit der letzten Jahre: «Die Konzernleitung um CEO Peter Rothwell hat Kuoni von einem traditionellen europäischen Reiseveranstalter zu einem globalen, breit diversifzierten Reisedienstleistungsunternehmen gewandelt.»

Das trifft zwar zu, doch gerade jetzt ist Rothwells volle Aufmerksamkeit gefragt. Der Branchenprimus fliegt durch Turbulenzen. Die Margen im Reisegeschäft sind unter Druck. Das traditionelle Tour-Operating-Geschäft – der Verkauf von Badeferien-Arrangements – bricht weg. Die rasante Verlagerung der Geschäfte ins Internet, neue Online-Player, sinkende Preise und veränderte Konsumgewohnheiten setzen allen Reiseveranstaltern zu – auch der erfolgsverwöhnten Premium-Marke Kuoni. Touristik-Manager Rothwell, der letztes Jahr 2,076 Millionen Franken verdiente, ist voll gefordert.

Man lese nur das jüngste Halbjahresergebnis: Das in den ersten sechs Monaten traditionell negative Konzernergebnis verschlechterte sich gegenüber dem eh schon schwachen Vorjahr und zeigte einen Verlust von fast 50 Millionen Franken. Dramatisch ist der Negativtrend in der umsatzmässig zweitwichtigsten Division, dem Reisegeschäft in Europa: Sie wies mit einem Betriebsergebnis (Ebit) von minus 42,5 Millionen Franken ein beinahe doppelt so grosses Loch aus wie 2011.

Die Aussichten bleiben getrübt. Davon ist selbst Rothwell überzeugt. Prompt stürzte die Aktie ab. Sie bewegt sich bei 245 Franken, 25 Prozent tiefer als bei seinem Jobantritt im Januar 2009. Finanzexperten reagierten ungnädig. «Die Glaubwürdigkeit des Managements ist in den letzten Monaten beschädigt worden. Der Spielraum für weitere Enttäuschungen ist beschränkt», schreibt die Bank Vontobel. Branchenanalyst Jean-Philippe Bertschy begründet die Kritik mit fehlenden Sanierungsmassnahmen in den serbelnden Märkten in Südeuropa – Spanien, Italien – und in Benelux. Die strukturellen Probleme in Südeuropa müssten «sofort gelöst» werden, schreibt Vontobel, die den Titel noch auf «Buy» hält. Commerzbank-Analyst Johannes Braun war aggressiver und stufte die Kuoni-Aktie auf «Hold» zurück. Sein Kommentar: «The outlook was not pretty.»

Jeder Reiseprofi weiss: Wenn die Preise sinken, ist Kostendruck ein täglicher Kampf. Analysten aber sehen die Sparvorgaben von Rothwell und seiner Mannschaft zu wenig konsequent umgesetzt. Anfang 2009 hatte der Konzern ein Effizienzsteigerungsprogramm angekündigt, das zu einer jährlichen Ebit-Steigerung von 40 Millionen Franken bis 2011 hätte führen sollen. «Better focus, lower costs», so hiess das Motto. «Davon ist zu wenig zu sehen», sagt ein Beobachter. Kuoni dagegen lässt verlauten, die Ziele seien eingehalten worden.

Hoher Handlungsbedarf besteht für Rothwell im Heimmarkt Schweiz. Dieser wird 2012 wohl in die roten Zahlen rutschen. Letztes Jahr reichte es auf Ebit-Stufe noch für ein Plus von acht Millionen Franken. Intern wie extern sieht man die Entwicklung mit Besorgnis. «Der Konzernchef muss die Ärmel hochkrempeln und der verunsicherten Belegschaft vermitteln, dass er am Karren zieht», sagt ein Kuoni-Intimus.

Interne Unruhe. Auch im Management gärt es. Der für Europa und bis vor kurzem für die Schweiz zuständige Leif Larsen setzte Anfang August die langjährige Tour-Operating-Chefin Marianne Häuptli vor die Tür. Häuptli, eine meinungsstarke, engagierte Managerin, hatte 23 Jahre für Kuoni gearbeitet, war zuletzt Larsens Stellvertreterin für die Schweiz. Nachdem Larsen mit Thomas Goosmann einen neuen Schweiz-Chef installiert hatte, gab es für Häuptli keinen Platz mehr. Ins Assessment für den Schweiz-Chef-Job wurde sie gar nicht erst eingeladen. Schliesslich musste sie ihr Pult innert 24 Stunden räumen. Ein Vorgehen, das für Kopfschütteln sorgte und zu Protesten unter Mitarbeitern führte. «Rothwell hätte das nicht zulassen dürfen», meint ein Beobachter.

Dass Larsen nun nicht mehr direkte Verantwortung für die Schweiz trägt, kommt einer Teilentmachtung gleich. Kuoni hält dagegen, die Wiedereinsetzung eines Schweiz-Chefs sei lange geplant gewesen. Der Däne, seit 2009 Mitglied der Konzernleitung, gilt als eher entscheidungsschwach. Bis dato präsentierte er keine überzeugenden Ideen, wie das kriselnde Europa-Geschäft zu sanieren und die Verlustlöcher zu stopfen wären. Zudem gilt er – im Gegensatz zu Rothwell – nicht als kommunikativ. Larsens Tage als Europa-Chef scheinen gezählt, heisst es. Auch in diesem Brennpunkt wurde lange zugewartet (siehe «Sesseltanz»).

Rund läuft es derzeit nur in der von Rolf Schafroth geleiteten Division Global Travel Services, wo der für 650 Millionen Franken zugekaufte Online-Incoming-Spezialist Gullivers Travel Associates (GTA) integriert ist. Für die Akquisition erntete Rothwell viel Lob, obwohl die treibende Kraft hinter dem Deal Ex-Finanzchef Max Katz war.

Panne in China. «Auf den GTA-Move waren wir alle neidisch. Rothwell muss nun etwas daraus machen», sagt ein Konkurrent. Immerhin hat GTA in den letzten sechs Monaten um 15,5 Prozent zugelegt. Die Online-Firma ist stark im Geschäft mit asiatischen Gruppen in Europa. Da bietet Kuoni den Zugriff auf eine riesige Bettendatenbank und andere Landdienstleistungen – mit Fokus auf Städte. Für Badeferien sind nach wie vor andere Lösungen gefragt.

Doch grundsätzlich geht der Schritt in die richtige Richtung, und Schafroth wird attestiert, dass er die Integration der neuen Firma ohne Blechschaden über die Runden brachte. Erträge verspricht auch das globale Visa-Geschäft, mit dem sich Kuoni vom Stammgeschäft unabhängig macht und das weiteres Ausbaupotenzial hat. Auch in den aufstrebenden Märkten Asiens, die Stefan Leser unterstehen, dürfte künftig die Musik spielen.

Dass das Terrain in diesen Wachstumsmärkten glitschig ist, bekommt Kuoni jetzt in China zu spüren. Die Schweizer landeten 2009 einen vermeintlichen Coup, als sie 32 Prozent am Touristiker Et-China kauften. «Einer der grössten Meilensteine in der über hundertjährigen Geschichte von Kuoni», jubelte Rothwell. Doch in den letzten Monaten überschlugen sich die Ereignisse: Matthew Ng, Gründer von Et-China, wurde von einem Gericht in Guangzhou wegen angeblicher Bestechung zu elf Jahren Haft verurteilt. Der Fall schlug in Australien Wellen, weil der Chinese Ng auch australischer Staatsbürger ist. Längst ist die Causa Ng/Et-China ein Politikum.

Verständlich, wenn sich Kuoni aus diesem heiklen Geschäft lieber heute als morgen zurückzöge. Es ist die Baustelle von Stefan Leser. Ob er das China-Problem zeitgerecht lösen kann, muss er erst noch beweisen. Immerhin hat er den Indien-Chef von Kuoni kürzlich elegant und ohne Negativ-Schlagzeilen abserviert. Managing Director Rajiv Duggal habe ihn um ein Sabbatical ersucht, steht in der internen Meldung, das man ihm – welche Grosszügigkeit – gewährt habe.

Leser gilt intern als der starke Mann hinter Rothwell. Dem Deutschen werden – neben Finanzchef Peter Meier – Ambitionen auf den Chefposten nachgesagt, sollte sich Rothwell auf sein englisches Landgut zurückziehen. Intern wird gemunkelt, das könnte in zwei Jahren der Fall sein.

Würde ein Interner Nachfolger, hätte Leser derzeit gute Chancen. Er kennt das Touristikgeschäft aus dem Effeff, während Finanzchef Meier bis vor zwei Jahren in der Industrie tätig war. Zudem verkauft sich Leser intern gut. Wahr ist aber auch: Er steht einem Bereich vor, der weit weniger herausfordernd ist als das kriselnde Europa-Geschäft. Lediglich Aussenseiterchancen werden Konzernleitungsmitglied Schafroth zugerechnet.

VR hält sich bedeckt. In der aktuellen Situation ist nicht nur der CEO, sondern auch der Verwaltungsrat von Kuoni gefordert. Doch der wirkt, zumindest nach aussen, eher passiv, auch wenn er betont, man habe die Probleme «adressiert». Im Gremium sind diverse Internetexperten versammelt, doch fürs traditionelle Veranstaltergeschäft fehlt das profunde Know-how. Präsident Henning Boysen ist nicht der Treiber, viel lieber setzt er auf Ruhe, nachdem früher Intrigen fast an der Tagesordnung waren und Rothwells Vorgänger Armin Meier 2007 abgesetzt wurde. Dave Schnell, als Vertreter der Kuoni und Hugentobler Stiftung (sie hält 25 Prozent der Stimmrechte, siehe Grafik «Stimmrechte» unter Downloads) der starke Mann im Verwaltungsrat, ist zahlengetrieben. Der kommunikationsstarke Heinz Karrer ist als Axpo-CEO von der Atomausstiegsdebatte gefordert.

Grundsatzentscheide stehen an, zuvorderst in Europa. Kuoni-Sprecher Peter Brun: «Zurzeit wird an verschiedenen Optionen (Restrukturierung, Verkauf, Schliessung) in den Märkten Südeuropas und Benelux gearbeitet.» In der Schweiz, wo knapp 1100 Mitarbeiter auf der Payroll stehen, müssen die Kosten massiv abgehobelt werden. In den letzten Jahren wurden 20 Reisebüros für Millionen umgebaut. Die renovierten Filialen brächten bis zu 20 Prozent mehr Umsatz, meint Brun. Neun Filialen wurden in den letzten Monaten geschlossen, auch die Filiale Zürich Wiedikon, die man 2009 medienwirksam als Experimentierfeld unter dem Namen «Die Agentur» lanciert hatte. Kuoni-Lehrabgänger leiteten die neue Trend-Filiale, die dem Touristikkonzern in Sachen Social Media neue Impulse vermitteln sollte. Das Projekt sei von Anfang an auf zwei Jahre angelegt gewesen, die Erkenntnisse seien bei Kuoni Schweiz eingeflossen, heisst es jetzt offiziell.

Ein Paradigmenwechsel steht an. Die 500 Mitarbeiter in den 92 Filialen müssen umdenken: weg vom bisherigen Produkte-Denken hin zum Kunden, der durch das Internet einen neuen Zugang zu Reisen hat und nicht mehr bereit ist, für Leistungen hinter den Kulissen zu zahlen, von denen er nichts sieht.

Offene Fragen zuhauf, exakt so, wie es der erprobte Touristik-Profi Peter Rothwell schätzt. «Fun and difficulty» oder besser: «Difficulty and fun».