Heute wollen wir uns etwas mit dem Liebesleben des erwachsenen Mannes beschäftigen. Der erwachsene Mann legt sich eine Geliebte zu. Erst beobachtet er sie. Dann überlegt er sich die Wahl des Köders. Dann steigt er ihr nach. Dann verführt er sie. Dann erlegt er sie.
Die Forelle. Alexander Spoerl hat einmal über die Forelle geschrieben, man lauere diesem sinnlichen Biest auf «wie ein verliebter Idiot». Da ist etwas dran. Auf der Liste der lustvollsten Männersportarten dieses Planeten steht das Forellenfischen weit vorne. Natürlich verwerfen wir als Gentleman-Sportler gleich die unsportlichen Möglichkeiten, die es gibt, um die Forelle herumzukriegen. Die Forelle erobert man nicht mit dem Wurm, auch nicht mit dem Blinker, dem Spinner oder anderen Imitationen eines Köderfisches. Auf die Forelle geht man mit der Fliege.
Fly-Fishing. Wir stehen beispielsweise am Doubs, in der Nähe von St-Ursanne. Ein Junimorgen, die Sonne brennt, der Fluss ist grossartig, mal rauscht er durch smaragdene Schluchten, dann wieder ruht er sich aus zwischen Wiesen und auf sanften Rieselstrecken. In den tieferen Wassergräben hocken die Forellen, diese sinnlichen Biester. Hier am Doubs sind sie besonders heikel, denn die Insektenschwärme am Fluss sind reichhaltig. Wir brauchen also einiges an Verführungskunst, damit die Biester statt nach echten Fliegen nach unseren künstlichen Dingern schnappen. Wir nehmen heute leichte Trockenfliegen, rot und braun.
Schon der legendäre Charles Ritz stellte hier der Forelle nach. Er hatte das «Ritz» in Paris von seinem Vater César übernommen, doch das Hotelgewerbe war nicht seine Sache. Zum Schein richtete er sich ein grosses Büro ein, war aber nie dort. Lieber angelte er, rauchte Zigarren und soff, und bei allen drei Beschäftigungen war sein Kumpel Ernest Hemingway gern dabei, auch er ein echter Countryman. Mit «Fly Fisher’s Life» schrieb Ritz 1954 das beste Fliegenfischerbuch aller Zeiten. Neben dem Doubs waren die Traun in der Steiermark, die Kyll in Rheinland-Pfalz und die Risle in der Normandie seine meistgeliebten Jagdgründe.
«Jagd» ist das passende Wort. Falls es unter den BILANZ-Lesern Männer gibt, die nicht hinter der Forelle her sind, wäre dies zwar erstaunlich, zwingt uns aber zu einem kurzen theoretischen Teil. Fly-Fishing unterschiedet sich von allen anderen Formen des Fischens in einem entscheidenden Punkt. Normalerweise ist der Fisch, der schliesslich an der Angel hängt, rein zufällig daran geraten, es hätte genauso gut einen anderen erwischen können. Beim Fliegenfischen aber wird die Forelle individuell attackiert, wir spähen sie zuerst wie ein Jäger aus und lokalisieren, wo sie im Wasser steht. Nun werfen wir die Schnur aus, an deren Spitze ein hauchdünnes Vorfach mit der künstlichen Fliege hängt. Wenn wir richtig werfen, setzt unsere künstliche Fliege so sanft wie ein echtes Insekt auf der Wasseroberfläche auf, schön vor dem Forellenmaul.
Und jetzt beginnt der Thrill. Die Forelle beisst zu, bemerkt ihren Irrtum und will den Köder ausspucken. Zu spät, wir parieren mit einem scharfen Gegenzug mit der Gerte. Nun ist sie dran, sie taucht ruckartig ab, die Rute biegt sich durch, sie zieht wie verrückt, wir halten auf Biegen und Brechen dagegen. Nun saust unser Exemplar vierzig Meter den Fluss hinunter und wendet plötzlich wieder scharf flussaufwärts. Das ist der heikle Moment, weil wir sie nicht mehr voll unter Zug halten können. Denn als saubere Sportsfreunde wollen wir einen fairen Zweikampf und verwenden beim Fliegenfischen deshalb nur Angeln ohne Widerhaken. Die Forelle kann die Angel also jederzeit loswerden, wenn sie es geschickt anstellt. Und das tut sie oft.
Natürlich ist auch in diesem Bereich des Sammelns und Jagens die Vorfreude entscheidend, weil man sich dabei mit Hingabe der Materialfrage zuwenden kann. Was dem Golfer der neue Driver, der neue Putter und die neuen Bälle, sind dem Fischer die Rute, die Rolle und die Fliegenkollektion. Vor allem die Auswahl der Fliegen entscheidet darüber, ob wir den Fisch zur Strecke bringen. Es gibt Hunderte davon, doch die Frage bleibt: Geht die Forelle einer blauen Nonne auf den Leim, ist der rote Palmer der richtige Köder, oder ist sie mit der grünen Maifliege zu verführen?
Und damit wären wir zurück bei unserer Anfangsfrage. Der Fliegenfischer braucht keine Geliebte, denn er hat die Forelle. Oder wie es ein alter Fischerwitz sagt: Was ist der Unterschied zwischen Fliegenfischen und einer neuen Liebe? Der Fisch fragt nicht, wie viele andere Fische man zuvor schon gefangen hat.
Kurt W. Zimmermann, Inhaber Consist Consulting AG, Zürich