Schwer schlagen die Wellen gegen die Schiffswand. Während des ganzen Nachmittags schon pfeift eine steife Brise entlang der Costa del Azahar bei Valencia; jetzt, in den frühen Abendstunden, hat der Wind 20 Knoten erreicht und türmt die Wellen des Mittelmeers drei, vier Meter hoch auf. Immer wieder versuchen die Seeleute, das kleine Beiboot an der Seite des Mutterschiffs zu vertäuen und so den Passagieren das Übersetzen zu ermöglichen – vergebens, zu wuchtig sind die Wellen. Schliesslich hilft nur die Flucht in einen geschützten Seitenarm des Industriehafens von Valencia. Dort endlich gelingt der Transfer. Das Ziel ist die «Rising Sun», die grösste Privatyacht der Welt. Und die teuerste. Ihr Besitzer, Larry Ellison, Gründer des Softwarehauses Oracle, ist ebenfalls reich an Superlativen: einer der erfolgreichsten Unternehmer der Wirtschaftsgeschichte. Ohne Zweifel der schillerndste. Vermutlich der umstrittenste.

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Larry Ellison, braun gebrannt, relativ schlank, muskulös, sieht nicht aus wie 61. Er benimmt sich auch nicht so.

«Larry Ellison, Sie gelten als Playboy, als Grossmaul, als launischer Despot. Ihr Ego, heisst es, müsse mit einem Gabelstapler transportiert werden. Wie lebt es sich mit so einer Reputation?»

Seine grüngrauen Augen fixieren das Gegenüber. «Sie machen Witze», sagt er scharf, «das höre ich zum ersten Mal!» Eine Sekunde der Stille vergeht, noch eine. Nur das Pfeifen des Windes und das Klatschen der Wellen ist zu hören auf dem Konferenzdeck der «Rising Sun». Dann platzt das Lachen aus ihm heraus. Er ist gut drauf heute.

«Niemand liest gerne Negatives über sich. Aber man gewöhnt sich daran, wenn man in der Öffentlichkeit steht. Ich versuche, nicht mehr allzu viel von dem zu lesen, was über meine Person geschrieben wird. Und wenn jemand etwas Positives schreibt, nehme ich es nicht allzu ernst, denn sonst müsste ich auch die negativen Sachen ernst nehmen.»

Sein Gesicht ist vom Tag auf dem Meer gerötet, auf seinen Unterarmen zeigt sich ein leichter Sonnenbrand. Fast vier Stunden lang ist er heute gesegelt mit dem Team BMW Oracle Racing, das er aus seiner Privatkasse sponsert.

«Hat sich Ihr Ruf jemals als Hindernis erwiesen, wenn es ums Business ging?»

«Es hatte vermutlich einen geringen Einfluss. Aber ich glaube grundsätzlich nicht, dass die Leute wegen meiner Person Oracle-Software kaufen oder eben nicht. In der Regel sind dies rationale Entscheide, die auf Grund von Produktqualität, Preis und Service gefällt werden, nicht auf Grund der Leute, die dahinter stehen.»

In der Tat: Trotz oder wegen seiner Persönlichkeit hat Larry Ellison sein Unternehmen zum zweitgrössten Softwarehaus der Welt aufgebaut. Dieses Jahr wird Oracle mit ihren 50 000 Mitarbeitern über 14 Milliarden Dollar umsetzen. An der Börse ist der Hersteller von Datenbanken und Unternehmenssoftware 66 Milliarden Dollar wert. Nur Microsoft ist grösser.

Und jetzt tut Ellison alles, um die Softwareindustrie nach seinen Vorstellungen umzugestalten. Acht Akquisitionen hat er allein im laufenden Jahr durchgeführt, die spektakulärste war der Kauf des Konkurrenten Siebel Systems Anfang September für knapp sechs Milliarden Dollar. Bereits letztes Jahr hatte sich Oracle nach langem Übernahmekampf für 10,3 Milliarden Dollar PeopleSoft einverleibt. «Wir wollen der Konsolidator im Softwaregeschäft sein», beschreibt Ellison seine Strategie. Er ist überzeugt davon, dass die Gründerzeit im Silicon Valley vorbei ist. «Die Schwachen werden schwächer und die Starken stärker», sagt er. «Langfristig wird diese Industrie von einer Hand voll Unternehmen dominiert werden.» Diesen Konzentrationsprozess schiebt er nun selber an. Und erwartet, seinen Umsatz dadurch in den nächsten Jahren auf 30 Milliarden Dollar mehr als zu verdoppeln.

Spinnerei? Vermutlich nicht. Denn seit er vor 28 Jahren Oracle gegründet hat, hat sich Larry Ellison den Ruf als einer der grössten Visionäre des Silicon Valley erarbeitet. Die Bedeutung des Internets etwa erkannte er bereits 1995, als der Browser-Pionier Netscape noch nicht einmal an der Börse war, und richtete die Strategie und die Produkte von Oracle konsequent darauf aus. Mitbewerber wie Microsoft oder SAP folgten erst Jahre später. Und Ellison ist es gewohnt, in langen Zyklen zu denken. Da er als Gründer und Hauptaktionär des Unternehmens kaum angreifbar ist, konnte er immer am langfristigen Wachstum von Oracle arbeiten, statt unter dem Druck der Quartalszahlen kurzfristige Vorteile suchen zu müssen.

Der Hauptgrund für seinen Erfolg ist freilich ein anderer: Ellison ist, wie er selber sagt, «verrückt nach Sieg». In der Wahl seiner Mittel ist er nicht zimperlich. In seinem unbedingten Siegeswillen wird Ellison bisweilen mit Dschingis Khan verglichen, dessen Maxime es war, dass nicht nur er selber zu gewinnen habe, sondern auch alle anderen zu verlieren. «Everyone else must fail» lautet denn auch der Titel einer der vier Biografien, die über Ellison publiziert wurden, «Softwar» ein weiterer. Und dann natürlich «The difference between God and Larry Ellison». Worin der Unterschied besteht, verrät der Autor bereits auf dem Cover: «God doesn’t think he is Larry Ellison.»

Im März 1986 brachte Ellison Oracle an die Börse – einen Tag bevor Bill Gates es ihm mit Microsoft gleichtat. Seither freilich sieht er von Microsoft nur die Rücklichter, und seither ist Gates sein Lieblingsfeind, den er immer wieder marketingwirksam beschimpft. «Microsoft ist ein schreckliches Unternehmen, ich hasse es abgrundtief!», heisst es dann etwa. Mitte der neunziger Jahre versuchte Ellison, das Microsoft-Monopol zu knacken, indem er einen schlanken, 500 Dollar billigen Network-Computer (NC) propagierte, der ohne Windows auskam und seine Rechenkapazität hauptsächlich von einem Server bezog. «Im Jahr 2000 wird der PC ausgestorben sein!», trompetete er damals. Seine Idee scheiterte wegen technischer Unzulänglichkeiten und des rapiden Preiszerfalls der PC.

«Larry, was ist Ihr fundamentales Problem mit Microsoft?»

Bisher waren seine Gesten sparsam, die Stimme moderat. Aber jetzt schaltet er einen Gang höher, wird laut, beginnt zu gestikulieren.

«Das fundamentale Problem ist, dass Microsoft die Gesetze bricht. Ganz einfach. Ich glaube an freien Handel und harten Wettbewerb. Aber Microsoft geht darüber hinaus. Netscape war in den neunziger Jahren eines der innovativsten Unternehmen. Es ist vom Markt verschwunden, weil Microsoft mehrfach Gesetze gebrochen hat, um Netscape zu zerstören. Und es nervt mich, dass Microsoft dafür nie betraft wird.»

Er starrt ernst, fast finster auf eine der kleinen Yuccapalmen, die über die Decks verteilt sind. Dazwischen stehen grosse dunkle Tische und Sessel aus Holz mit weichen beigefarbenen Polstern.

«Wie würden Sie Ihr persönliches Verhältnis zu Bill Gates beschreiben?»

«Ich habe kein persönliches Problem mit ihm. Nur ein geschäftliches.»

Dann gibt er seiner Crew die Anweisung, die «Rising Sun» aus dem Hafen aufs offene Meer zu steuern.

Zeitzeugen attestieren Larry Ellison ein gesteigertes Selbstbewusstsein von Kindheit an. Direkt nach der Geburt 1944 überantwortete ihn seine minderjährige Mutter der Tante und verschwand; Ellison sollte sie erst im Alter von 47 Jahren kennen lernen. In Chicago wuchs er in bescheidenen Verhältnissen auf. Sein Stiefvater, ein russisch-jüdischer Einwanderer, warf ihm ständig vor, ein Taugenichts zu sein. Seither will Larry Ellison der Welt beweisen, dass nichts unmöglich ist. Der Tod der Stiefmutter warf ihn aus der Bahn, er brach sein Studium der Naturwissenschaften ab und fuhr in einem türkisfarbenen Ford Thunderbird, aber ohne Geld nach Kalifornien, nachdem er ein Buch über die dort aufblühende IT-Landschaft gelesen hatte. Bis er 35 Jahre alt wurde, trieb er mehr oder weniger durchs Leben. Bei der Omex Corp. spezialisierte er sich auf Datenbanken und richtete unter dem Projektnamen «Oracle» eine solche für den Geheimdienst CIA ein. 1977 gründete er mit zwei Kollegen die Firma SDL, die er 1983 in Oracle umtaufte. Das Unternehmen war sehr schlank und deshalb von Anfang an profitabel. Der Durchbruch gelang 1979: Ellison verwendete als Erster die von IBM erfundende Technologie der relationalen Datenbank, die heute Standard ist. In dieser Zeit legte das Unternehmen den Grundstein zum Erfolg und wuchs stürmisch. Seit nunmehr über einem Jahrzehnt ist Oracle im Milliardenmarkt für Datenbanken die Nummer eins – auch deshalb, weil sich die Firma die Fähigkeit zur technologischen Innovation über ein Vierteljahrhundert bewahrt hat.

«Larry, Sie haben das Studium hingeschmissen, um sich als Programmierer im Silicon Valley durchzuschlagen. Welche Ausbildung braucht es, um als Unternehmer erfolgreich zu sein?»

«Die Antwort mag Sie überraschen: Unser Bildungssystem belohnt ein Mass an Konformität, das im Geschäft nicht sehr nützlich ist. Ihre Lehrer wollen, dass Sie gehorchen, dass Sie der Frage mit der Antwort begegnen, die sie Ihnen zuvor selbst gegeben haben. Sie werden also angehalten, gut zuzuhören, statt selbst zu denken.»

Er spricht klar, pointiert, fast druckreif. Nur selten bricht er einen Satz ab, und wenn, dann meist, um ihn noch einmal schärfer zu formulieren.

«Wurden deswegen so viele erfolgreiche IT-Unternehmen wie Microsoft, Apple oder eben Oracle von Studienabbrechern gegründet?»

«Das Geheimnis des unternehmerischen Erfolges ist es, Fehler in den Lehrbuchweisheiten zu finden. Die schnellste Art, vom College zu fliegen, ist, Lehrbuchweisheiten anzuzweifeln. Wie kannst du es nur wagen … Ich bin mir sicher, Galileo wäre bei seiner Astronomieprüfung durchgefallen. Wenn es um Innovation geht, hilft Ihnen Ausbildung nicht viel. Nur wenn man selbst denkt, kann man Fehler finden und Althergebrachtes auf eine neue, bessere Weise angehen. Auch wenn man sich dadurch unbeliebt macht: Darwin war geächtet, Galileo wurde beinahe getötet.»

Wenn er so spricht, versprüht er Humor und lässt seinen berühmten Charme spielen. Das ist Larry Ellison, wenn er gut drauf ist. Wenn er schlecht drauf ist, hat er keine Hemmungen, sein Gegenüber anzubrüllen oder einfach stehen zu lassen. Die Stimmung kann schnell kippen, denn Ellison gilt als extrem launisch (Jeff Henley, Chairman of the Board von Oracle, bezeichnet ihn höflich als «wechselhaft»). Sie hätten den ganzen Tag gebetet, dass er seine beiden Segelregatten heute gewinnen möge, damit er den Interviewtermin nicht platzen lasse, werden zwei PR-Verantwortliche am späten Abend erzählen. Larry Ellison und sein Team gewannen beide Rennen.

Ans eigene Limit zu gehen, ist Ellisons Hauptmotivation, im Geschäftlichen wie im Privaten. 1995 brach er sich vor Hawaii beim Surfen das Genick und riss sich die Lunge an. Beim Mountainbiking brach er sich mehrfach Arm und Ellenbogen. 1998 nahm er mit der «Sayonara» am Rennen Sydney–Hobart teil, einem der anspruchvollsten Segelrennen der Welt. Ellisons Team lag in Führung, als ein schwerer Sturm aufzog. Um den Sieg nicht zu verpassen, zwang er seine Crew, durch den Sturm hindurchzusegeln. Die «Sayonara» wurde beschädigt, aber Ellison gewann das prestigeträchtige Rennen. Die anderen Teams hatten weniger Glück: 6 Seeleute kamen ums Leben, 55 mussten mit dem Helikopter aus den Sturmfluten gerettet werden.

Dieses Draufgängertum brachte Ellison auch den unternehmerischen Erfolg. Und machte ihn zum Milliardär. «Ich war mal arm, nun bin ich reich. Reich sein ist definitiv besser. Ich sage das aus Erfahrung», ist eines seiner Bonmots. Seit er zu Geld gekommen ist, sind Massanzüge von Armani mit einem schwarzen T-Shirt darunter sein Markenzeichen. (Heute freilich trägt er beige Cordhosen und einen schlichten grau-blauen Polo mit den Emblemen des Segelteams). 18,4 Milliarden Dollar sind sein 24-Prozent-Anteil an Oracle plus seine sonstigen Besitztümer derzeit wert. Damit belegt er Platz neun auf der Liste der Reichsten dieser Welt. Im Jahr 2000 war er kurzzeitig sogar die Nummer eins.

«Larry, ist es immer noch Ihr Ziel, wieder der reichste Mensch der Welt zu werden?»

«Dies war nie meine Absicht. Ich glaube nicht, dass irgendjemand, der klar bei Verstand ist, das will. Es ist mit einem Fluch verbunden. Es gab tatsächlich einmal einen Monat, in dem ich vor Bill Gates lag. Ein gemeinsamer Freund sagte mir damals: ‹Bill kondoliert dir!›»

Geld freilich macht sexy: Unzählige Frauengeschichten werden dem 61-Jährigen nachgesagt. Inzwischen ist er zum vierten Mal verheiratet; seine Frau Melanie Craft, eine Romanautorin, ist ein Vierteljahrhundert jünger als er. Aus einer früheren Ehe hat er zwei Kinder, Megan (19) und David (22), die er regelmässig in Malibu besucht, wo die beiden ihre Filmkarrieren vorantreiben.

Sein Geld auszugeben, hat sich Ellison nie gescheut. Das Anwesen, das er sich vor vier Jahren in die Hügel von Woodside, Kalifornien, bauen liess, setzt sogar für das verwöhnte Silicon Valley Massstäbe in Grosszügigkeit und Exzentrik. Auf einer Fläche von 23 Fussballfeldern finden sich Seen mit Inseln, Brücken, Wasserfälle und ein gewaltiger japanischer Garten. Die zehn Gebäude sind im Stil eines japanischen Dorfs aus dem 16. Jahrhundert erbaut, ihre Errichtung überwachte ein Zenmönch. Gefüllt sind sie mit Nippon-Kunst und einer Sammlung von Samuraischwertern. Gekostet hat das Reich 100 Millionen Dollar und damit fast doppelt so viel wie das berühmte 100-Zimmer-Anwesen von Bill Gates in der Nähe von Seattle.

Zu Geschäftsterminen fliegt Ellison bevorzugt mit seinem eigenen Jet, einer Bombardier Global Express; gegen die Behörden setzte er in monatelangen Auseinandersetzungen durch, dass für ihn das Nachtflugverbot am Flughafen von San Jose nicht gilt. In seiner Freizeit rast der Ego- und Exzentriker im McLaren-Formel-1-Boliden durch die Gegend oder steuert ein italienisches Marchetti-Kampfflugzeug. Schon seit Jahren versucht er, eine russische MiG-29 zu importieren. Bislang scheiterte er stets am Widerstand der amerikanischen Regierung. «Die findet die Idee überhaupt nicht lustig, dass ich einen Kampfjet fliegen will, der schneller ist als ihre eigenen», sagt Larry Ellison. «Aber ich glaube, bald habe ich sie so weit!»

Sein grösstes Statussymbol freilich ist die «Rising Sun», mit 138 Meter Länge die längste Privatyacht der Welt und mit 270 Millionen Dollar Baukosten wohl auch die teuerste. 75 Mann Besatzung sorgen sich um das Wohl von Ellison und seinen Gästen. Auf dem Weg aufs offene Meer vor Valencia kreuzt die «Rising Sun» die gewaltige Yacht Ernesto Bertarellis, die «Vava». Mit ihren 45,7 Metern wirkt sie neben der «Rising Sun» wie ein Zubringerboot.

«Larry, warum baut man sich so eine Megayacht?»

Ein Glitzern zeigt sich in seinen Augen. Anfangs war das Schiff selbst für sein Ego zu gross, er hatte Angst, sich darauf zu verlieren, und wollte es gar wieder verkaufen. Jetzt hat er Freude an seinem Milliardärsspielzeug.

«Gute Frage. Ich wollte ein Schiff, das schön aussieht, niedrig gebaut und mindestens 30 Knoten schnell ist. Je länger ein Schiff ist, desto schneller kann es fahren. Die ‹Rising Sun› fing mit 90 Metern an, und dann hat sie ein Eigenleben entwickelt – sie wurde länger und länger und länger, ich habe die Länge unterwegs aus den Augen verloren. Und wir haben viel Platz verschwendet, nur damit das Ganze schön aussieht. Das da etwa war gar nicht nötig», sagt er und deutet aufs Heck der «Rising Sun». Dort, ein Deck tiefer, hat sich Ellison ein komplettes Basketballfeld einrichten lassen. Am Spielfeldrand steht eine Kiste mit Ersatzbällen – für den Fall, dass mal wieder ein Zuspiel über Bord geht.

Viel Platz wurde auch verschwendet, so behaupten böse Zungen, damit das Boot 15 Meter länger ist als die «Octopus» von Paul Allan, Mitbegründer des Erzrivalen Microsoft. Die «Rising Sun» bietet Komfort, wie man ihn bestenfalls auf einem Luxusliner erwarten würde: ein echtes Kaminfeuer, einen Billiardraum, einen Coiffeursalon, ein kleines Kino, ein Freibad und einen Fitnessraum. Niemals zuvor hat Ellison einen Journalisten auf sein schwimmendes sechsstöckiges Ferienhaus gelassen. An diesem Tag macht er zur Feier seines doppelten Regattensieges eine Ausnahme. Dezent und geschmackvoll ist die «Rising Sun» eingerichtet, keineswegs protzig. Einzig dass der Holzboden teilweise mit dunkelbraunem Teppich ausgelegt ist, ist allenfalls etwas ungewöhnlich für ein Schiff. Im komplett verglasten Speisesaal, der Platz für 30 Leute bietet, steht ein schwarzer Klavierflügel. Zahlreiche üppige Liliensträusse verbreiten einen süsslichen, schweren Duft.

Ebenso wie Bill Gates stiftet Ellison einen Teil seines Vermögens für wohltätige Zwecke: Er versorgt Drittweltländer mit Impfungen gegen ansteckende Krankheiten. Er investiert Millionen und seine Zeit als Chairman in die israelische Firma Quark Biotech, die an neuen Krebstherapien forscht (Ellisons Stiefmutter starb ebenso an Leukämie wie Oracle-Mitbegründer Bob Miner). Kürzlich spendete er der Harvard University 120 Millionen Dollar, die grösste Donation in der Geschichte der Elitehochschule. Ziel: die Mechanismen des Alterns und der damit verbundenen Krankheiten wie Parkinson oder Alzheimer zu erforschen. Spielt die eigene Angst vor dem Altern dabei eine Rolle? «Ich habe keine Angst vor dem Altern», entgegnet Ellison. «Aber niemand von uns will krank sein. Also kümmere ich mich um die Alternativen. Und alt zu werden, sollte die Alternative sein.»

Ellison ähnelt in vielen Bereichen der anderen legendären Gründerfigur des Silicon Valley, Apple-Chef Steve Jobs. Beide wurden als Kind adoptiert, sie sind eng miteinander befreundet, und beide polarisieren, auch im eigenen Unternehmen: Die einen verehren Leute wie Jobs und Ellison als brillante Denker, die klare Anweisungen geben, und sind ihnen treu ergeben. Die anderen sehen sie als Machiavellis und verlassen die Firma deswegen. Auf diese Weise verlor Oracle immer wieder Topleute: den Starverkäufer Tom Siebel etwa, der 1993 Siebel Systems gründete und damit Oracle konkurrenzierte; Roy Lane, ehemals die Nummer zwei, der 2000 mit der gewaltigen Abfindung von 850 Millionen Dollar zur Venture-Capital-Institution Kleiner Perkins ging; oder Craig Conway, der 1999 Chef des Konkurrenten PeopleSoft wurde. Diese Überläufer sind Larrys Lieblingsfeinde. «Wenn ich Conway und dessen Labrador Abbey träfe und nur eine Kugel hätte, glauben Sie mir, dann wäre sie nicht für den Hund», giftete er 2003. Conway hatte die Lacher auf seiner Seite, als er seinen Hund daraufhin an einer Konferenz in kugelsicherer Weste auftreten liess. «Normalerweise verhalten wir Geschäftsleute uns anständig und seriös», so seine Replik. «Aber Larry ist ein Raufbold, der sich unmöglich benimmt.»

Vor allem ist Ellison ein Kämpfer, der nie aufgibt. Kaum einer hätte noch einen Dollar auf ihn gesetzt, als ihm das Justizministerium im Februar 2004 verbot, PeopleSoft zu kaufen. Acht Monate hatte da der Übernahmekampf bereits gedauert, mehrmals hatte Ellison den Preis erhöht – und zwischenzeitlich wieder gesenkt –, die beiden Unternehmen hatten sich gegenseitig verklagt. Das Veto der Behörden schien eine unüberwindbare Barriere. Ellison klagte gegen diesen Entschluss und bekam zur allgemeinen Überraschung Recht. Drei Monate später brach der Widerstand der PeopleSoft-Aktionäre zusammen, und Oracle konnte den Konkurrenten schlucken. Insgesamt eineinhalb Jahre hatte der Übernahmekampf gedauert, die Feindlichkeit des Angebots war einmalig für diese Branche. Larry Ellison kann ebenso ausdauernd wie aggressiv sein.

Seine Gegner haben das Nachsehen: Greg Conway musste das Unternehmen kurz vor Ende der Auseinandersetzung verlassen, und durch die Übernahme von Siebel Systems kann Ellison, sollte es ihm danach sein, nun auch seinen Lieblingsfeind Tom Siebel in die Wüste schicken. Denn geschäftliche Rivalität nimmt Larry Ellison immer auch persönlich. Legendär ist seine Auseinandersetzung mit Hasso Plattner, Gründer des deutschen Erzrivalen SAP und wie Ellison begeisterter Segler. Vor einigen Jahren traten sie vor der Küste Kaliforniens gegeneinander an. Fünfmal hintereinander gewann Ellison am Steuer seiner Yacht «Sayonara» gegen Platters «Morning Glory». Am letzten Tag der Regattaserie war der Vorsprung so gross, dass Ellisons Männer sich nicht mehr anstrengten. Stattdessen prosteten sie Platters Boot mit Champagnergläsern zu, als dieses an ihnen vorbeisegelte. Der damalige SAP-Chef war darüber so erbost, dass er die Hose herunterliess und Ellison den nackten Hintern entgegenstreckte. (Platters Darstellung, die Ellison entschieden bestreitet, lautet: Der Oracle-Chef sei ihm nach einem Mastbruch nicht zu Hilfe gekommen und habe ihn so zur Entblössung seines Hinterns provoziert). An den Vorfall erinnert sich Ellison mit sichtbarem Vergnügen: «Meine Seeleute haben sich zu Tode erschreckt!», erzählt er und lacht lauthals. «Bevor Hasso seine Hose das nächste Mal runterlässt, sollte er ein Fitnesscenter besuchen!»

Dem Erzrivalen SAP heizt Ellison auch geschäftlich ein. Bisher waren die Märkte klar aufgeteilt: Oracle ist die Nummer eins im Geschäft mit Datenbanken; dort verdient sie rund 80 Prozent ihres Geldes. Da dieses Geschäft aber nur noch schwach wächst, hat Ellison schon vor Jahren begonnen, in den Bereich der Unternehmenssoftware zu diversifizieren, bislang allerdings nur mit mässigem Erfolg. Denn bei den Programmen für Buchhaltung, Lagerbewirtschaftung oder Kundenpflege ist die deutsche SAP mit ihren umgerechnet zehn Milliarden Dollar Umsatz die klare Nummer eins. Durch die Akquisitionen hat Oracle zu den Deutschen aufgeschlossen. Nun liefern sich die beiden einen heftigen Preiskampf. «Ich schätze mal, in zwei bis vier Jahren werden wir sie in ihrem Kerngeschäft überholt haben», prophezeit Ellison. «Wir sind insgesamt grösser, wir sind profitabler, wir wachsen schneller, und wir sind ein viel besser geführtes Unternehmen als SAP.» Kurzfristig freilich gewinnt SAP Marktanteile, weil Oracle derzeit mehr mit sich selbst als mit den Kunden beschäftigt ist. Und Ellison hatte den Mund schon einmal zu voll genommen, als er 1998 prophezeite: «In fünf Jahren spricht niemand mehr von SAP.»

Oracle, SAP, IBM und Microsoft: Das sind die vier Unternehmen, die nach Ellisons Theorie die Softwareindustrie dominieren werden. Mit den Milliardenakquisitionen beschleunigt er die darwinistische Auslese. Und aus seinem finalen Ziel macht Ellison kein Geheimnis: «Ich will, dass Oracle das Softwareunternehmen Nummer eins wird!» Aber auch wenn Oracle die geplante Umsatzverdopplung gelingt: Microsoft liegt mit ihren 40 Milliarden Umsatz noch weit voraus. Allerdings kämpft das Unternehmen aus Redmond mit einer Wachstumsschwäche und kann wegen seiner Kartellprobleme nicht annähernd so aggressiv Firmen aufkaufen wie Oracle. Microsoft zu überholen, Bill Gates von Thron zu stossen, das wäre Ellisons ultimativer Triumph.

Es gibt einen weiteren Traum, an dem Ellison auf seinem Selbstverwirklichungstrip arbeitet: den America’s Cup zu gewinnen. Vor zwei Jahren hat er es bereits einmal versucht, mit viel Geld und tatkräftigem persönlichem Einsatz. Damals war er offiziell nur Ersatzsteuermann. Doch als Geldgeber scheute er sich nicht, auch Einfluss auf Personalentscheide zu nehmen. Vielleicht auch deshalb unterlag er in der Vorausscheidung mit 1:5 gegen den späteren Gewinner, das Team Alinghi mit dem Schweizer Ernesto Bertarelli an der Spitze (siehe Nebenartikel «Interview mit Larry Ellison: Es war vernichtend!»). Die beiden Unternehmer könnten unterschiedlicher nicht sein: Bertarelli, mit einem Vermögen von 5,8 Milliarden Dollar «nur» auf Platz 77 der weltweiten Reichstenliste, wurde bereits sehr wohlhabend geboren, ist diskret und öffentlichkeitsscheu, hat geschliffene Umgangsformen und will einfach nur Teil des Teams sein, das er finanziert. 150 Millionen Dollar soll der Konzernchef und Hauptaktionär des Biochemiekonzerns Serono in die Titelverteidigung stecken; bei Larry Ellison sollen es sogar 200 Millionen sein. 200 Mann aus 16 Nationen zählt das Team, das ihm 2007 den ultimativen Triumph bringen soll. In den diesjährigen Qualifikationsmatches musste er sich gegen die «Alinghi» freilich meist geschlagen geben.

Auch er selber segelt wieder mit. Um sich seinen Platz zu sichern, liess er extra die Regeln ändern und die Crew von 16 auf 17 Mann erweitern. Auf der «USA 76», wie sein Boot offiziell heisst, arbeitet Ellison als Afterguard, also als Teil der Kommandozentrale des Boots, manchmal auch als Steuermann. Die technischen Fähigkeiten des 61-Jährigen sind beachtlich, aber ihm fehlt die Zeit zum regelmässigen Training. Bereits jetzt ist sein zeitlicher Einsatz für die Operation Titelgewinn enorm. Aus diesem Grund hat er in jüngster Zeit bei Oracle viel Verantwortung abgegeben an seine Stellvertreter Safra Catz und Charles Phillips sowie den neuen Finanzchef Gregory Maffei. Das Hauptquartier von Oracle, sechs gewaltige, funkelnde Glastürme in Redwood Shores im Norden des Silicon Valley, sieht Ellison bisweilen wochenlang nicht. «Seit wann trägt er einen Bart?» ist der Standardwitz seiner Mitarbeiter, wenn er sich mal wieder blicken lässt.

Aber wenn das Unternehmen Ellison braucht, ist er da: Etwa als Oracle im Frühling 1990 in einen Bilanzskandal geriet und sich gleichzeitig die Klagen über schlechten Service häuften. Wichtige Kunden sprangen ab, der Börsenkurs rauschte in den Keller. Ellison übernahm zusätzlich zum CEO-Job für zwei Jahre auch den Posten des Chairman, holte Ray Lane als COO und zog eine harte Restrukturierung durch. Die Sanierung gelang. Und auch jetzt, da sich die Softwareindustrie an einem Wendepunkt befindet, nimmt er die Zügel in die Hand und treibt sein Unternehmen voran.

Langsam senkt sich die Sonne gegen den Horizont des Mittelmeers. Ellison gibt der Crew die Anweisung, das Schiff Richtung Hafen zu steuern. Die vier Dieselmotoren mit zusammen 48 000 PS beschleunigen die «Rising Sun» nahezu geräuschlos auf 30 Knoten.

«Larry, Sie sind seit 28 Jahren an der Spitze von Oracle. Was motiviert Sie noch?»

«Interessante Frage. Wir hatten die Jahre starken Wachstums, als wir noch klein waren. Dann kamen die Internetblase und der Crash und nun die Konsolidierungsphase. Mein Job ändert sich konstant und ist so gesehen immer eine Herausforderung. Es hängt davon ab, wie man sein Leben führen will. Ich muss etwas tun. Ich kann nicht die ganze Zeit nur segeln, wirklich. Ich würde mich zu Tode langweilen!»

Letztes freilich mag man dem Lebemann Larry Ellison nicht wirklich glauben.