Er war Freund, Förderer, Mäzen, Sammler und Organisator von Ausstellungen: Gustave Caillebotte (1848-1894). Der reiche Junggeselle, der eigentlich Marineingenieur war, hatte sich mit all seinem Vermögen den Impressionisten verschrieben. Doch sollte es nahezu hundert Jahre dauern, ehe die Kunstwelt entdeckte, dass Caillebotte nicht nur eine wichtige Rolle in der impressionistischen Bewegung spielte, sondern dass er selbst ein sehr bedeutender Maler war, der von 1876 bis 1882 auch an fünf Impressionistenausstellungen mitwirkte. Heute werden seine Gemälde hoch geschätzt, denn man erkennt an ihnen zahlreiche künstlerische Ansätze, die im 20. Jahrhundert Epoche machten.
Erste Einzelausstellung in der Schweiz
Die von der Fondation de l'Hermitage konzipierte Retrospektive «Im Herzen des Impressionismus», die unter der Schirmherrschaft des französischen Staatspräsidenten Jacques Chirac steht, ist die erste Einzelausstellung zu Caillebottes Werk in der Schweiz, wo der Künstler noch wenig bekannt ist. Sie umfasst Leihgaben aus den bedeutendsten öffentlichen und privaten Sammlungen in Europa und Amerika. Mit rund 100 Gemälden und Pastellen sowie einer bedeutenden Gruppe von Zeichnungen macht diese Ausstellung, die ausschliesslich in Lausanne zu sehen ist, den grundlegenden Beitrag Caillebottes zum Impressionismus deutlich.
Der dokumentarische Teil der Ausstellung mit zahlreichen Fotografien von Martial Caillebotte, dem Bruder des Künstlers, zeigt die Vielseitigkeit und Grosszügigkeit seiner Persönlichkeit auf: Seine Rolle in der Impressionistengruppe, die unablässige Unterstützung seiner Freunde, aber auch seine Begeisterung für das Segeln und den Gartenbau werden anhand dieser spannenden Archivbilder deutlich.
Nach einer akademischen Ausbildung bei Léon Bonnat an der Ecole des beaux-arts wurde Caillebotte, der bereits ein Universitätsstudium mit dem Lizentiat abgeschlossen hatte, nach der Einreichung seines Ölgemäldes «Raboteurs de parquets» (1875), das zwei Männer beim Abhobeln eines Parkettbodens zeigt, mit seinem Werk vom Salon abgelehnt. Daraufhin trat er 1876 der Impressionistengruppe als Maler bei und nahm im selben Jahr auf Einladung von Renoir an der zweiten Impressionistenausstellung teil. Er wurde schon bald zum Hauptorganisator dieser Ausstellungen, an denen er bis 1882 regelmässig seine Werke zeigte.
Ungewohnte Blickwinkel und gewagte Perspektiven
Gefühle, spontane Inspirationen und das Agieren aus dem Augenblick waren der Antrieb für die meisten Impressionisten. Gustave Caillebotte entwickelte von Anfang an eine originelle Kunst, indem er ungewohnte Blickwinkel mit gewagten Perspektiven kombinierte. Er schwankte zwischen einem realistischen Stil und freien Pinselstrichen, zwischen den Stimmungen naturalistischer Romane und den grossen Themen der Impressionisten. Mit den von ihm bevorzugten Themen wie das Interesse an den neuen technischen Errungenschaften, aber auch an ländlichen wie urbanen Szenen stand er zwar den Impressionisten nahe, doch blieb er dem naturalistischen Ausdruck treu und erarbeitete sich im Laufe der Jahre eine eigene, neue Bildsprache zwischen Tradition und Moderne.
Vom ländlichen Yerres bis zu den Strassen von Paris, von den bürgerlichen Interieurs bis zu den normannischen Küsten und Seine-Landschaften, vom Portrait bis zum Stillleben reichen die Themen seines komplexen Werkes, das in nicht viel mehr als zwanzig Jahren entstanden ist. Seine Kompositionen sind das Ergebnis einer intensiven Reflexion, die aussergewöhnliche Blickwinkel und wagemutige Perspektiven mit einer perfekt beherrschten Kompositionstechnik vereint.
Caillebotte stand Renoir und Monet nahe; er unterstützte unablässig seine Freunde und trug aktiv zum Durchbruch der «neuen Malerei» bei. Insbesondere mit dem einige Jahre älteren Claude Monet, den er immer wieder moralisch und auch finanziell unterstützte, verband ihn eine tiefe Freundschaft.
Eine aussergewöhnliche Privatsammlung
Caillebotte war nicht nur ein äusserst origineller Maler, sondern er besass auch einen aussergewöhnlichen Kunstverstand, wie es seine einmalige Privatsammlung mit Werken von Cézanne, Degas, Manet, Monet und Pissaro bezeugt, welche er dem französischen Staat vermacht hat. Gerade 28 Jahre alt war er geworden, als er sein Testament veröffentlichte, worin stand, dass er seine Sammlung dem Staat schenken werde. Dieses Vermächtnis war geknüpft an die (ungeheuerliche) Bedingung, diese Kunst müsse im Louvre dem damaligen Allerheiligsten gezeigt werden.
Diese Forderung stellte er zu einer Zeit, als die Bilder der Impressionisten noch Prügeleien unter dem Publikum verursachten und die Maler grosse Werke für wenige Francs verschleudern mussten. Caillebotte dagegen zahlte freiwillig angemessene Preise, er half seinen Künstlerkollegen und kaufte bis er finanziell ruiniert war.
Im Alter von nur 46 Jahren starb er. Doch der Staat wollte Caillebottes Sammlung zunächst gar nicht haben, und man suchte sich schliesslich ohne viel Begeisterung 38 Bilder aus. Es dauerte bis 1928, ehe diese Hauptwerke des Impressionismus endlich im Louvre zu sehen waren. Heute bilden sie den Kern der Impressionistensammlung des Musée d'Orsay in Paris.
Fondation de l'Hermitage, Lausanne; bis 23. Oktober 2005.