Für den Personalchef von Zürich Schweiz, Chris Dunkel, handelt es sich beim Run auf die guten Lehrlinge lange vor dem offiziellen Selektionsdatum (1. November) um eine Art Teufelskreis. «Auch wir sehen uns gezwungen, unser Selektionsverfahren immer früher anzusetzen», sagt er. Früher habe sich Zürich an die so genannten Fairplay-Vorgaben gehalten.
Problematisch aus Dunkels Sicht: Um am Ende nicht ohne Ausbildungsplatz dazustehen, nähmen viele Jugendliche das erstbeste Angebot an und warteten die Antwort ihrer Wunschbetriebe gar nicht ab. Folglich wollten alle Unternehmen der erste Betrieb sein, der mit dem Schulabgänger in Kontakt kommt.
Der Rückversicherer Swiss Re hält sich dieses Jahr bewusst erstmals nicht mehr an die Fairplay-Regeln. «Aufgrund der Erfahrungen des letzten Jahres die Banken begannen bereits im September mit der Rekrutierung werden wir dieses Jahr auch ab September zu rekrutieren beginnen», sagt Kaja Vogel von Swiss Re. Grundsätzlich befürworte sie die Aktion Fairplay. Aber: «Damit sie funktioniert, müssten aber alle Unternehmen verbindlich mitmachen.»
Auf Kosten künftiger Lehrlinge
Bei Migros zeigt man sich sehr besorgt darüber, dass vor allem im Kanton Zürich Grossunternehmen das aus den 80er Jahren stammende Abkommen ignorieren, besonders die Banken. «Wenn der Kanton nichts für die Fairplay-Vereinbarung unternimmt, werden sich immer weniger Unternehmen daran halten», sagt Migros-Sprecherin Monika Weibel. Weiter: «Auch wir werden uns überlegen müssen, die Selektion vorzuverschieben.» Ein immer früherer Selektionsbeginn gehe jedoch auf Kosten der Bewerber, die nicht mehr genügend Zeit hätten, sich sorgfältig mit der Berufswahl auseinander zu setzen.
Im Kanton Zürich will man nun dem destruktiven Wettbewerb einen Riegel schieben: Berufsberatungen, Laufbahnzentren, Personalfachleute und Lehrer haben darum die Kampagne Fairplay lanciert. Den letzten Anstoss dazu gab die Finanzbranche, die im vergangenen Jahr gemeinsam ab den Sommerferien mit der Auswahl begonnen hatte.
Die Kampagne arbeite mit Inseraten und Broschüren für Lehrfirmen und Lehrerschaft, sagt Jürg Stiefel, Mitinitiant und Leiter der ZGP-Erfa-Gruppe aus Wirtschaft und Bildungsbeamten. Die Initiative habe nie mit Sanktionen gearbeitet, sondern wolle mit guten Argumenten überzeugen.
Beim Bundesamt für Berufsbildung (BBT) in Bern wird der Start der Lehrlingsselektion als Hoheitsbereich der Kantone betrachtet. BBT-Sprecherin Suzanne Auer bestätigt allerdings, dass die Lehrverträge immer früher abgeschlossen würden: «Im April 2006 war der Stand der Lehrstellenvergabe weiter fortgeschritten als in Vorjahren 77% (April 2005: 72%) der Lehrstellen waren vergeben.»
Sechs Zentralschweizer Kantone haben bereits vergangenes Jahr Erfahrungen mit einer Fairplay-Initiative gemacht und wiederholen sie heuer. Sie warben nicht nur für Fairplay, sondern forderten die Firmen auch auf, eine Zustimmungserklärung zu unterschreiben. Bis Ende 2005 haben zwei Drittel von 8000 angeschriebenen Betrieben die Erklärung unterzeichnet, wie Christine Huber, Geschäftsführerin vom Verein Berufsbildung Zentralschweiz, sagt.
Als Belohnung und Anreiz erscheinen sie im kantonalen Lehrstellennachweis mit dem Fairplay-Label. Auch in der Zentralschweiz gibt es keine Sanktionen. Fairplay basiere auf Freiwilligkeit, erklärt Huber. Die effektivste Möglichkeit, dem Regelbruch zu begegnen, sei, wenn sich die Betriebe einer Branche gegenseitig unter Druck setzten.
Die letztjährigen Erfahrungen waren laut Huber unterschiedlich: «Branchen, die schon vor Fairplay früher rekrutiert hatten, wie die Banken, haben die Situation als schlechter empfunden und kritisierten, sie hätten Mühe gehabt, genügend qualifizierte Lernende zu finden.» Andere Branchen hingegen hätten sich sehr zufrieden gezeigt mit dem klaren Fahrplan.
ABB und Holcim lassen sich Zeit
Die UBS hält sich an den Fahrplan des Verbands Zürcherischer Kreditinstitute; rekrutiert wird ab Spätsommer. Die Credit Suisse Group gibt an, mit der Einstellung vor dem Stichtag anzufangen, weil die Gepflogenheiten auch in anderen Branchen geändert worden seien. Die ZKB hat andere Branchen eingeladen, wie sie nach den Sommerferien zu starten.
Industriefirmen spielen nach Fairplay-Regeln. ABB Schweiz hält sich an die kantonalen Empfehlungen. Für Holcim macht es keinen Sinn, früher mit der Selektion anzufangen, da die jungen Leute Zei für die Entscheidungsfindung brauchten.
Im Unterschied dazu hält es Coop für notwendig, schon ab September zu selektionieren. Für Coop-Personalchef Peter Keller ist die Kampagne Fairplay ein typischer Fall für etwas, das zwar gut gemeint sei, sich aber nicht praktizieren lasse. Der vorgeschlagene Fahrplan sei für Coop schlicht zu knapp bemessen.
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Fakten: Kampagnen für Fairplay der Firmen
Fairplay-Agreement
Die Firmen beginnen jeweils am 1. November mit der Selektion der Lehrlinge. Während Jahren haben sich rund 80% der Unternehmen daran gehalten. Die vergangenen Jahre wurde es zunehmend ignoriert.
Fairplay-Kampagnen
verschiedener Kantone und Berufsverbände fordern, den 1. November als Stichtag einzuhalten.
Kommentar: Belohnung für Fairplayer
De facto behaupten die grossen Finanzkonzerne, dass sie sich nicht mehr an den traditionellen Fahrplan für die Lehrstellenvergabe halten können, weil sich andere auch nicht daran hielten. Wenn sich alle Betriebe nach dieser Logik verhielten, wäre der Abschluss von jährlich rund 73000 neuen Lehrlingsverträgen das absolute Chaos.
Es gibt Momente, in denen der Bruch mit Gentlemen-Agreements aus einem übergeordneten Interesse angesagt ist. Im Fall der Fairplay-Vereinbarungen trifft dies aber nicht zu. Überstürzte Entscheide für eine Lehre dienen weder den Lehrlingen noch den Betrieben. Die Lehrlinge geraten wegen des sinnlosen Wettbewerbs der Firmen verstärkt unter Druck und nehmen überstürzt Angebote an, die Betriebe müssen deshalb immer mehr Lehrabbrüche hinnehmen.
Das Argument, gute Anwärter wären schon unter Vertrag, wenn man zu spät rekrutiere, ist fadenscheinig. Gute Anwärter sind immer gesucht, wer sie deshalb früher anheuert, begeht ein Foul.
Dass Finanzkonzerne, die prozentual am wenigsten Lehrlinge ausbilden, nun offiziell vor dem anerkannten Stichtag zu rekrutieren beginnen, ist stossend. Die besten Anwärter mit Regelverletzung abzusahnen, ist schäbig. Weil es kein rechtliches Instrument gibt, Foulplayer zu bestrafen, ist die Belohnung der Fairplayer die richtige Strategie.