Durch die Finanzierung des Zugangs zu Rechtsverfahren, bei denen für diejenigen geklagt wird, die die Kosten nicht bestreiten können, demokratisiert die Prozessfinanzierung den Zugang zur Justiz und stärkt die Verantwortlichkeit von Unternehmen. Damit leistet sie einen positiven Beitrag zur Gesellschaft.
Kampf für die Unterprivilegierten
Ein Bereich, in dem die Prozessfinanzierung eine positive Kraft sein kann, ist durch die Ausübung von Druck auf die Unternehmen, die Kosten für die negativen externen Effekte zu tragen, die sie durch ihre Geschäftstätigkeit verursachen, insbesondere wenn sie sich nicht an die Umwelt-, Sozial- und Governance-Standards (kurz ESG-Standards) halten.
Diese ökonomische Neugewichtung erhöht die Markteffizienz, indem sie Internalisierungskosten auf diejenige Partei umlegt, die von der Geschäftstätigkeit profitiert hat, und indem sie der Nichteinhaltung von ESG-Richtlinien finanzielle Konsequenzen zuweist.
Gian Kull ist Head of Special Situations and Uncorrelated Strategies bei Syz Capital, Ana Carolina Salomão Queiroz ist Litigation Finance Manager bei PGMBM.
Ferner fördert es den Wettbewerb und einen fairen Marktzugang, wenn Unternehmen zur Verantwortung gezogen werden, wodurch soziale Veränderungen auf breiterer Ebene bewirkt werden.
In bestimmten Fällen kann die Prozessfinanzierung sogar helfen, gleiche Ausgangsbedingungen für den globalen Norden und Süden zu schaffen.
In Staaten, in denen die Regierung nicht die Mittel hat, um Unternehmen zur Verantwortung zu ziehen, oder in denen Unternehmen gerichtliche Entscheidungen erheblich beeinflussen können, sind private Rechtskanäle effektiv in der Lage, als «Generalstaatsanwälte» im Namen des öffentlichen Interesses zu handeln, und damit zum Beispiel Umweltnormen, Verbraucherschutz und Wettbewerbsgesetze aufrechtzuerhalten.
ESG-Prozessspezialisten wie PGMBM arbeiten mit Rechtsanwälten auf der ganzen Welt zusammen, um Sammelklagen gegen grosse Unternehmen anzustrengen, die in Schwellenländern operieren.
Da sich Rechtssysteme auf der ganzen Welt stark unterscheiden, kann der Erfolg eines Falles oft von dem Land abhängen, in dem er verhandelt wird.
Während Unternehmen gewöhnlich dafür plädieren, Fälle in Ländern mit toleranten Rechtssystemen zu verhandeln, versuchen ESG-Prozessspezialisten, Unternehmen in transparenteren und international glaubwürdigeren Rechtsordnungen zur Verantwortung zu ziehen.
Einer der bekanntesten laufenden Fälle von PGMBM ist die Vertretung von über 200'000 Brasilianern, die von dem Dammbruch des Rückhaltebeckens Fundão betroffen waren, der sich 2015 in einem von Vale und BHP betriebenen Eisenerztagebau ereignete, der grössten Umweltkatastrophe in der Geschichte des Landes.
PGMBM kämpft dafür, die gerichtliche Zuständigkeit im Vereinigten Königreich zu begründen, wo Opfer mit grösserer Wahrscheinlichkeit eine angemessene Entschädigung nach einem fairen Verfahren erhalten.
Auch wenn das Ziel dieses Falls die Entschädigungen für Verluste, Vertreibung und Wasserverschmutzung ist, die eine grösstenteils ländliche und arme Bevölkerung betrafen, bewirkte er darüber hinaus auch, dass sich die Idee, privat eine Entschädigung zu erstreiten, fest etabliert hat – was vorher in Brasilien undenkbar war.
Ferner hat der Fall eine Debatte um die Regulierung des Bergbausektors angefacht und die Sicherheitsstandards in diesem Industriezweig erhöht.
Anerkennung über die Renditen hinaus
Trotz des «David gegen Goliat»-Narrativs vieler dieser Fälle von Sammelklagenfinanzierungen wird die Anlageklasse noch nicht weitreichend als ESG-Investition erachtet.
ESG-Investitionen konzentrieren sich in der Regel auf die Umwelt-, Sozial- und Governance-Aspekte eines Unternehmens wie auch die Anleger selbst.
Obwohl sich die positiven Auswirkungen der Prozessfinanzierung bei der Durchsetzung von ESG-Standards anhand der für die Kläger erzielten Entschädigungssummen messen lassen, können diese Investitionen jedoch nicht so leicht wie zum Beispiel Aktien im Hinblick auf ESG-Standards gemessen werden.
Die Gesetzgebung entwickelt sich jedoch laufend weiter. Die EU erwägt die Möglichkeit, einen Verhaltenskodex für die verantwortliche private Prozessfinanzierung herauszugeben, welche den Weg dafür ebnen würde, dass Prozessfinanzierungsstrategien ESG-Label erhalten.
Dies sollte weiteres Interesse an diesem Bereich wecken, da die Nachfrage nach allem, was mit ESG in Verbindung steht, steigt. Auch wenn im Aktienbereich eine Fülle von ESG-Strategien entstanden sind, gibt es in der Welt der alternativen Anlagen noch kein umfassendes Angebot an ESG-Lösungen.
Es gibt verschiedene Wege, Prozesse zu finanzieren – von der Finanzierung nur eines einzigen Falles gegen ein Erfolgshonorar bis hin zur Mittelbereitstellung für ein Portfolio von Klagen derselben Rechtsanwaltskanzlei.
Im Falle von Sammelklagen sind im Vorfeld umfangreiche Kapitalsummen und rechtliche Ressourcen erforderlich, um ein Klageregister aufzubauen und die Infrastruktur für die kollektive Entscheidungsfindung einzurichten.
Doch der Abschluss von Verträgen mit einer grossen Anzahl von Personen ist bestenfalls eine Herausforderung. Der häufigste Ansatz ist daher, der Anwaltskanzlei ein Darlehen zu gewähren, das durch dessen gesamtes Fall-Portfolio besichert ist.
Auch wenn die Erträge aus der Prozessfinanzierung gewöhnlich hoch sind, ist das Risiko, einen Fall zu verlieren, nicht unerheblich, und die Zeit, die es dauern kann, bis er beigelegt ist, kann ungewiss sein.
Deshalb ist es wichtig, mit erfahrenen Prozessfinanzierern und Anwaltskanzleien zusammenzuarbeiten, die über ein ausgedehntes Netzwerk, eine nachgewiesene Erfolgsbilanz, einzigartigen Marktzugang und gut strukturierte Abläufe verfügen.