Gesucht hatte die UBS damals im Stelleninserat eine «erfahrene und motivierte Persönlichkeit», welche die Beziehung zur Politik pflegt, einen Lobbyisten. Gefunden hat die Bank ein Missverständnis: Nationalrat Martin Landolt. Der Glarner BDP-Mann, mittlerweile zum Parteipräsidenten aufgestiegen, quittiert im Herbst den Dienst. Es sei ihm nicht gelungen, die Öffentlichkeit von seiner Unabhängigkeit zu überzeugen, sagt Landolt selbst – und auch seinen Arbeitgeber nicht. Zuletzt forderte Landolt einen automatischen Informationsaustausch zwischen Banken sowie in- und ausländischen Steuerverwaltungen und stiess damit bürgerliche Kollegen vor den Kopf. Drei Wochen später war die dreijährige Amour fou mit der UBS passé. Landolt gab seinen Abgang bekannt.
Aufs falsche Pferd gesetzt
Verliebt waren die beiden nie. Landolt erfüllte das Anforderungsprofil der UBS nur bedingt. Was für ihn sprach: Er sass damals in der Finanzkommission des Nationalrats. Kommissionen sind wichtig. Ob Unternehmen oder Verbände: Wer seine Vorschläge in den Berner Meccano einspeisen will, platziert sie in den Fachstäben der Verwaltung – oder über die entsprechenden Kommissionen. Bevor die 246 National- und Ständeräte in der ordentlichen Session über den Vorlagen brüten, bereiten die jeweiligen Kommissionen die Geschäfte vor und stellen ihrem Rat Antrag, im Tandem mit dem Bundesrat. Die 18 Legislativ- und vier Aufsichtskommissionen operieren hinter verschlossenen Türen, Protokolle sind im Gegensatz zu den Sessionen geheim. Das Abstimmungsverhalten bleibt unter Verschluss.
Mit BDP-Präsident Landolt setzte die UBS allerdings auf das falsche Pferd. Die Finanzkommission ist bloss eine Aufsichtskommission, die den Fachkommissionen zudient: Mitberichte an die anderen Kommissionen hier, Prüfung der Voranschläge des Bundes dort. Das bringt einer Bank wenig. Ein ganz anderes Ansehen in wirtschaftlichen Belangen geniesst die Kommission für Wirtschaft und Abgaben, die WAK. Hier werden die zentralen volkswirtschaftlichen, konjunktur- und währungspolitischen Dossiers beraten: Too big to fail, Unternehmenssteuerreform, Steuerstreit mit der EU, Mehrwertsteuer, Kartellgesetz. Die WAK ist mächtig und mit ihr ihre Mitglieder. Das weiss auch der Berner PR-Profi Lorenz Furrer: «Es geht um viel Einfluss und Geld, klar wollen da viele Politiker in die WAK.» Und mit ihnen Verbände, Unternehmen und Interessengruppen.
Offene Türen
WAK-Mitglieder sammeln eifrig Mandate in Verwaltungs-, Stiftungs- und Beiräten oder auch Verbänden. Die 13 Ständeräte und 25 Nationalräte vereinen zusammen mehr als 300 Mandate. Sie reichen von der Baloise bis zur Mobiliar, von der CSS bis zur Agrisano, von der Zürcher Kantonalbank bis zur Bank Coop, vom Bauernverband bis zum Automobilclub, vom Gewerkschaftsbund bis zu PR-Profis wie Lorenz Furrer. Der hat zwar kein WAK-Mitglied mandatiert. Allerdings hält ihm FDP-Nationalrat Ruedi Noser die Tür ins Bundeshaus offen. Furrer und dessen Geschäftspartner Andreas Hugi stehen auf Nosers Gästeliste. Jeder Parlamentarier kann zwei Gästen permanenten Zutritt zur Wandelhalle gewähren. Damit stehen die beiden zuvorderst in der Informationskette.
Und nicht nur sie. Für die einen ist die WAK wegen ihres engen Verhältnisses zur Wirtschaft von dieser unterwandert, für die anderen ist die Mandate-Kumulation die logische Konsequenz des eidgenössischen Milizsystems. SVP-Ständerat und WAK-Mitglied Hannes Germann: «Wie soll jemand gute Wirtschaftspolitik betreiben, wenn er nicht weiss, wo der Schuh drückt? Ich will kein Eunuch sein.»
Trägt Germann bloss die Interessen der Ersparniskasse Schaffhausen in die WAK? Ist SP-Nationalrätin Prisca Birrer-Heimo die Stimme des Konsumentenschutzes? Und SVP-Mann Hans Kaufmann das Sprachrohr des ZKB-Bankrats? «Der Einfluss unserer Mandate wird überschätzt», glaubt Germann. «Wir sind Halbämtler und müssen uns oft komplexe Sachverhalte an der Quelle besorgen.» Konrad Graber, Präsident der ständerätlichen WAK: «Es besteht keine Erwartungshaltung seitens der Unternehmen und Verbände. Würden wir zu sehr auf der Linie unserer Mandate argumentieren, würde das nicht goutiert», so der Präsident des Luzerner Milchverarbeiters Emmi. Und FDP-Mann Ruedi Noser sagt: «Viel wichtiger ist die eigene Erfahrung, die jeder Parlamentarier einbringt.»
Erwartungen geschürt
Doch die Positionen von Unternehmen und Verbänden fliessen durchaus in die Diskussionen ein, «auch ungefiltert», beobachtet WAK-Mitglied Birrer-Heimo: «Es kommt immer wieder vor, dass Kommissionmitglieder die Meinung der Organisationen herunterbeten, denen sie angehören.» Das sei dann offensichtlich, wenn Anschlussfragen nicht beantwortet werden könnten. Für die SP-Nationalrätin gilt: Parlamentarier sollten möglichst keine Verwaltungsratsmandate annehmen, die sie in finanzielle Abhängigkeit brächten. Dadurch würden seitens des Unternehmens Erwartungen geschürt.
Das ist ein Votum für die Professionalisierung des Parlamentsbetriebs à la Deutschland. Dort agieren reine Berufspolitiker. In der Schweiz ist das Wunschdenken – und nicht zu Ende gedacht. Der moralische Druck auf Parlamentarier besteht auch bei nicht oder schlecht bezahlten Mandaten, wie etwa bei der Stiftung für Konsumentenschutz, die Birrer-Heimo präsidiert. Man müsse halt losgelöst von Interessenbindungen entscheiden können, sagt sie.
Standleitung ins Bundeshaus
Das tat Martin Landolt. Nun ist er seinen Job los. Das zeigt das Spannungsfeld, in dem die politischen Mandatesammler agieren. Built-in-Lobbyisten nennt sie Rahel Willener von der Universität Bern. Ihre Masterarbeit unter dem Titel «Erfolgreiches legislatives Lobbying in der Schweiz» erscheint bald in Buchform. Built-in-Lobbyisten hätten Einfluss, es sei eine effektive Methode und eine wichtige Einflussgrösse, schreibt sie. Allerdings hemme der Vorwurf des «gekauften» Parlamentariers und von weniger Glaubwürdigkeit den Einfluss. Fazit: Die Methode verliere aufgrund des Skandalisierungspotenzials an Bedeutung.
Doch so harmlos, wie die Parlamentarier glauben machen wollen, ist die Situation nicht. Wer in die WAK gewählt wird, steigt im Standing von Unternehmen auf. Das schafft Begehrlichkeiten. «Die WAK ist wirtschaftspolitisch die mit Abstand wichtigste Kommission», sagt FDP-Mann Ruedi Noser. Beispiel Karin Keller-Sutter. Die ehemalige Sankt Galler FDP-Regierungsrätin ist seit Dezember 2011 in der WAK. Prompt wählte sie die «NZZ» im April 2012 in den Verwaltungsrat, seit einigen Wochen ist sie zudem Verwaltungsrätin bei der Baloise. Ein einträgliches Geschäft. Ein VR-Mitglied bei der «NZZ» bekommt durchschnittlich 77 500 Franken, bei der Baloise liegt das Soll auf Jahresbasis bei 125 000 Franken, plus 50 000 Franken für Mitglieder des Entschädigungsausschusses. Keller-Sutters Hauptamt als Ständerätin wird mit rund 150 000 Franken entschädigt. Ein Sankt Galler Regierungsrat verdient aktuell rund 290 000 Franken.
Klassisches Zeitspiel
«Wir behandeln Geschäfte, die die ganze Bevölkerung betreffen. Daher stehen wir unter starker Beobachtung von aussen», so Noser. Wer seine Position direkt im Gremium platzieren kann, vermag einiges zu bewirken. Gelungen ist das zuletzt dem Gewerbeverband in der Kakofonie um ein verschärftes Kartellrecht. Der Wirtschaftsverband hat in der ständerätlichen WAK mit Jean-François Rime ihren Präsidenten sitzen. Im Kampf gegen die «Hochpreisinsel» Schweiz beantragte der Freiburger, mit dem Eintretensentscheid zur Reform zuzuwarten. Das ist klassisches Zeitspiel. Der Gewerbeverband spekuliert darauf, dass sich der Franken in nächster Zeit abwerte. Damit soll die Lösung des Hochpreisproblems an Dringlichkeit verlieren. Die Kursverluste der letzten Wochen spielen den Gewerblern in die Hände.
Paradebeispiel für einen Built-in-Lobbyisten war der langjährige Zuger FDP-Ständerat Rolf Schweiger. Bevor er in den Verwaltungsrat des Lift- und Rolltreppenherstellers Schindler gewählt wurde, lancierte er eine Motion, damit Unternehmen Kartellbussen auf fehlbare Manager abwälzen können. Schindler hatte zuvor eine Busse der EU aufgebrummt bekommen. Die WAK unterstützte die «Lex Schindler» lange, entsorgte den Vorstoss dann aber dennoch.
Ein Gratwanderer zwischen Privatwirtschaft und Politik ist Werner Luginbühl. Der Berner BDP-Ständerat sass bis Ende 2011 in der WAK, ist hauptberuflich aber Lobbyist für die Versicherung Mobiliar. Die Wege sind kurz. In sechs Minuten spaziert Public-Affairs-Mann Luginbühl, so seine offizielle Funktion, von seinem Büro an der Bundesgasse 35 zum Bundeshaus am Bundesplatz 3. Die Standleitung ins Bundeshaus wird rege genutzt. Mit dem ehemaligen FDP-Präsidenten Fulvio Pelli und SVP-Nationalrat Jean-François Rime sitzen gleich zwei Mobiliar-Vertreter in der nationalrätlichen WAK. Kein Problem, findet Luginbühl. In der Regel gehe nicht die Mobiliar, sondern der Versicherungsverband die Kommissionsvertreter an. «Aber wenn für uns zentrale Geschäfte behandelt werden, dann machen wir Pelli und Rime zusätzlich darauf aufmerksam, was die Mobiliar gerne hätte.»
Heikler Balanceakt
Ruedi Noser ist kein Fan davon: «Parlamentarier am Gängelband von Unternehmen und Verbänden verlieren die Glaubwürdigkeit und müssen sich oft rechtfertigen.» Der FDP-Mann hortet von allen WAK-Mitgliedern zwar die meisten Mandate. Es sind allerdings vor allem seine eigenen Firmen. Üblich ist auch, dass sich Parlamentarier zu Mikrointeressengruppen zusammentun. Die Kantonalbankenvertreter Hans Kaufmann (SVP, ZH), Fulvio Pelli (FDP, TI), Luc Recordon (Grüne, VD), Sebastian Frehner (SVP, BS) und Thomas Maier (GLP, ZH) versammelten sich jüngst zu einer Parlamentariergruppe, welche die Interessen der Staatsbanken verteidigen soll. Bislang steckten sie einmal die Köpfe zusammen. ZKB-Vertreter Hans Kaufmann sagt dennoch selbstkritisch: «Nicht die Lobbyisten in der Wandelhalle, sondern die Parlamentarier selbst sind die grössten Lobbyisten.» Er mache zwar keine impliziten Vorstösse, die aus der Feder des ZKB-Bankrats stammten, aber «ich kann bei gewissen Themen andere Kommissionsmitglieder und Parlamentarier ins Boot holen».
Das funktioniert nicht immer. Parlamentarier, die zu sehr den Paragrafen der eigenen Mandate reiten, machen sich unter der Bundeshauskuppel unbeliebt und unglaubwürdig. Wer umgekehrt agiert, an dem verlieren Unternehmen und Verbände das Interesse. Einen gangbaren Weg scheint WAK-Mitglied Pirmin Bischof gefunden zu haben. Der CVP-Mann stimmte dem Vernehmen nach nicht für Rolf Schweigers «Lex Schindler». Bischof ist seit vergangenem Sommer Verwaltungsrat bei Schindler Schweiz.