Mehr als 250 Subholdings und Tochtergesellschaften umfasste der SAirGroup-Koloss, als er im Oktober vor zwei Jahren abstürzte. Zu gross, zu fett war er geworden. Zu grössen- und expansionsfixiert seine Schaffer.
Die Pleite traf den Schweizer Stolz wie kaum eine andere. Entsprechend engagiert und übereilt zimmerten Staat und Wirtschaft eine neue «fliegende Bank». Gleichzeitig wurde der tote Gigant ausgeweidet und verkauft, was verkauft werden konnte. Darunter SAirGroup-Töchter wie die Cargologic, GateGourmet oder SR-Technics. Sie alle haben das Grounding überlebt, kaum beachtet von der Öffentlichkeit. Einzig bei gewichtigen Entscheiden der Swiss wurde über den erneuten Stellenabbau bei den Zulieferfirmen berichtet. Gerade so, als siechten die Catering-, IT- und Wartungs-Unternehmen im Swiss-Schatten vor sich hin. Dem ist keineswegs so: Die ehemaligen SAirGroup-Töchter agieren heute weit gehend unabhängig von der Swiss. Und das erfolgreich.
Die Swiss-Anteile wurden massiv reduziert
Die gute Gesundheit der ehemaligen SAirGroup-Töchter erstaunt. Denn als die Swissair mit ihren Tochterfirmen Schiffbruch erlitt, zerbrach gleichzeitig auch ein kompliziertes Netzwerk von Abhängigkeiten. Bestes Beispiel dafür ist der Flughafen Zürich. «Das Überleben des Flughafens war unmittelbar nach dem Grounding nicht gesichert», sagte Unique-CEO Josef Felder kürzlich in einem Interview der «HandelsZeitung». Der Grund dafür: 70% der Flughafen-Strukturen wurden durch die Swissair aufgebaut. Heute ist der Airport laut Felder so unabhängig wie kein anderer Flughafen der Welt.
Den gleichen Kraftakt vollbrachten auch die Ex-Töchter in den letzten 24 Monaten. Sie lösten sich aus dem Grossgebilde, verkleinerten den Swiss-Anteil am Gesamtumsatz massiv und vergrösserten gleichzeitig ihren Kundenstamm. Beim Luftfracht-Unternehmen Cargologic etwa, das von den von der «HandelsZeitung» befragten Firmen den höchsten Swiss-Anteil am Umsatz hat, verringerte sich der Prozentsatz von 85% auf 75% (vgl. Tabelle). Angestrebt wird ein Anteil von rund 50%. Bei der Wartungsfirma SR Technics will man diesen von heute 39% auf 12% verkleinern, was noch einem Umsatz von rund 120 Mio Fr. entspricht.
«Uns geht es einzig und allein darum, uns breiter abzustützen und neue Geschäftspartner zu gewinnen», sagt Mark Saxer. Damit spricht der Sprecher vom IT-Unternehmen EDS Schweiz den Zuliefer-Firmen aus dem Herzen. Denn sie alle wollen weiterhin mit der Swiss zusammenarbeiten, ohne jedoch auf sie angewiesen zu sein. Kein Wunder gilt bei den meisten ehemaligen SAirGroup-Töchtern die Devise: «Wir wollen den Swiss-Anteil am Umsatz weiter reduzieren.» Offen möchte das jedoch niemand sagen, denn das könnte «der Geschäftspartner ja in den falschen Hals kriegen». Dabei geht es um etwas, das schon seit dem Grounding im Gange und wirtschaftlich nicht mehr als sinnvoll ist: Das Bemühen um grösstmögliche Unabhängigkeit von einzelnen Grosskunden.
Tröstlich für die Swiss: Immerhin Nuance will ihren Swiss-Anteil am Gesamtumsatz erhöhen. Allerdings in bescheidenem Umfang von 1,2% auf 2%.
Die Ex-Töchter sind in ihren Sparten führend
Wie gross die Selbstständigkeit der ehemaligen SAirGroup-Töchter bereits ist, zeigt deren heutige Marktstärke. So ist GateGourmet wie schon zu Swissair-Zeiten der global zweitgrösste Airline-Caterer der Welt. Und der IT-Gigant EDS, der nach dem Swissair-Grounding die IT-Tocher Atraxis übernahm, ist der weltweit grösste unabhängige Anbieter für IT-Dienstleistungen für Flughäfen und Airlines. Alleine in den letzten 12 Monaten unterzeichnete dieser Kundenverträge in der Höhe von 200 Mio US-Dollar. Ebenfalls die Nummer eins in ihrem Gebiet ist die Nuance Group. Sie erzielt im Airport Retail einen Jahresumsatz von über 1,8 Mrd. Fr.
Gut positioniert ist auch SR Technics. Diese plant in nächster Zeit einige Akquisitionen und will Partnerschaften eingehen. Der Markt dazu ist günstig. Zudem spielt die Konzentration am Flughimmel der SR Technics in die Hände: «Die Fluggesellschaften konzentrieren sich auf ihr Kerngeschäft und betrauen Spezialunternehmen mit dem Support», sagt Dominik Müller von SR Technics. Durch diese Auslagerungen kann das Wartungsunternehmen direkt profitieren. Jüngstes Beispiel: Die Übernahme des Flottenmanagements der acht Airbus-A320-Flugzeuge von Dragonair in Hongkong.
Eine Gewinnerin des zunehmenden «Outsourcing»-Trends in der Airlinebranche ist auch die Bodenabfertigungs-Firma Swissport mit 20000 Angestellten. «Mittelfristig», so Stephan Beerli von Swissport, «werden immer mehr Airlines ihr eigenes Ground-Handling auslagern.» Davon wird die Swissport, die schon heute über 650 Airlines als Kunden zählt, überdurchschnittlich partizipieren können.
Die Spitzenjahre werden trotz Erholung kaum mehr erreicht
Ein Effekt der guten Positionierung im Markt ist das neu erwachte Selbstwertgefühl der ehemaligen SAirGroup-Töchter. Trug manch einer im SAirGroup-Konzern den Kopf gar etwas hoch, senkten sich die Häupter nach dem Grounding zu Tode betrübt. Heute scheint all dies vergessen. Man gibt sich selbstbewusst, zweifelt kaum an der eigenen Überlebenschance und knüpft diese Frage schon gar nicht an die Zukunft der Swiss. Im Gegenteil. Der Tenor lautet: Wir können auch ohne die nationale Fluggesellschaft überleben. Unmittelbar auf die Swiss als Kunden verzichten will aber keine der Firmen. Vor allem deshalb nicht, weil sich bei allen die Geschäftsbeziehungen mit der jungen Airline gefestigt und eingespielt haben.
Auch die Tränen, die manch einer beim und unmittelbar nach dem Grounding der Swissair vergoss, sind längst weggewischt. Zwar sind bei einigen Firmen wie etwa der SR Technics die Restrukturierungsprozesse als Folge des Groundings und der später folgenden Flottenreduktion noch immer im Gange, doch die grössten Hürden sind genommen. Auch die kulturellen Probleme, die beim Zusammenführen zweier verschiedener Firmen oft auftreten, sind, wo sie überhaupt zu Tage traten, zu einem grossen Teil überwunden.
Dagegen konnte trotz des happigen Abbaus von mehreren 1000 Stellen ein Grossteil des Swissair-Know-hows gerettet werden. Ein Insider: «Die abgetrennten Firmen sind heute nach wie vor die RollsRoyce im jeweiligen Markt.» Geändert hat sich allerdings vielerorts die Geschäftsphilosophie. Vorbei sind die Zeiten, als noch unbezahlbare Dienste angeboten oder Programme entwickelt wurden, die man unmöglich verkaufen konnte. Heute gilt der eiserne Grundsatz: Angeboten, produziert und geliefert wird nur noch das, was auch verkauft wird. Ausnahmen von dieser Regel gibt es nicht mehr.
Unter neuer Ägide sind die Ex-SAirGroup-Töchter also näher zum Kunden gerückt und haben einen festen Platz im Markt. Die Risiken des sich rasch verändernden Airline-Business bleiben dennoch bestehen. Zum Beispiel für GateGourmet. Hier beobachtet man mit Argusaugen die Entwicklung bei der Boardverpflegung in der Economy Class. Der Trend geht weg von im Flugpreis inbegriffenen Imbiss, hin zum vom Passagiere direkt zu bezahlenden Service. Damit wird der Caterer selbst verantwortlich für den Absatz und dieser somit schwerer kalkulierbar. Anders das Risiko für EDS: Beim IT-Dienstleister gehören die weltweiten Kooperationen und Allianzen zu den unberechenbarsten Faktoren.
Bei EDS wie auch bei GateGourmet bedeuten die anstehenden Veränderungen aber nicht nur ein Risiko, sondern zugleich auch eine Chance. Diese zu packen, so macht es den Anschein, sind die ehemaligen Töchter bereit. Sie wirken stark und flexibel genug, rechtzeitig zu reagieren. Dies ist für das längerfristige Überleben notwendig und eine gute Voraussetzung dafür, von der sich abzeichnenden Erholung im Airline-Geschäft zu profitieren. Auch wenn die Umsätze aus Spitzenjahren wie 1999 und 2000 mittelfristig kaum mehr erreicht werden dürften. Die alten Zeiten sind auch hier Geschichte, eine Wiederholung unwahrscheinlich. Fast ist man versucht zu sagen: Zum Glück.
Folge des Groundings
Weniger Stellen
Die von der «HandelsZeitung» befragten sechs Ex-SAir-Töchter zählten vor dem Swissair-Grounding rund 54200 Angestellte. Heute sind es noch knapp 52000, nach den teils noch laufenden Restrukturierungen zirka 50700 Mitarbeiter. Die Stellen-Reduzierung hat verschiedene Gründe: Nebst der Swissair-Pleite führten vor allem die Folgen des 11. September, die allgemeine Airline-Krise und der Irak-Krieg zum Abbau. (mik)
Weniger Angestellte, mehr Unabhängigkeit
Die ehemaligen SAirGroup-Töchter im Überblick
Cargologic SR Technics Swissport EDS Gate Gourmet Nuance
Luftfracht-Unternehmen Wartungsfirma, Flugzeugunterhalt Bodenabfertigung (+Atraxis) Informatikdienstleisterin Mahlzeiten-Direktverkauf Flughafen-Shopping
Eigentümer Rhenus Alpina AG (CH) 3i (GB), Star Capital Partners (GB), Candover (GB) EDS Corporation (USA) Texas Pacific Group (USA) Gruppo Pam (I), Stefanel (I)
Teile des SR-Technics-Managements
Anzahl Beschäftigte vor Swissair-Grounding 960 *3570 15000 Atraxis: 1400, EDS: **600 29000 4210
Aktuelle Anzahl Beschäftigte 800 *3010 20000 Ex-Atraxis: 650, EDS: 500 22500 4474
Anzahl Beschäftigte nach (evt.) Restrukturierungsprozess 650 2600 20000 Ex-Atraxis: 600, EDS: 400 ***22000 4474
Swissair-Anteil am Gesamtumsatz vor dem Grounding (in %) 85 42 34 Ex-Atraxis: N/A, EDS: 0 10 2.2
Swiss-Anteil am Gesamtumsatz (in %) 75 39 22 EDS Schweiz: 25 4 1.2
*Ohne Lehrlinge und Auslandbeteiligungen
**Nur Schweiz
***Hauptgrund für Personalreduktion: 9. September 2001, Sars, Irak-Krieg