Das werde ich am meisten vermisssen», sagt Lukas Winkler, neuer CEO der Inficon Holding, und deutet auf das Alpstein-Panorama. Dieser Ausblick kann begeistern: Hoher Kasten, Stauberenkette, Kreuzberge, Altmann und Säntis, vom Morgenlicht beschienen. Er hat sie alle mindestens einmal bestiegen, liebt die Einsamkeit der Berge als Gegensatz zu seinem hektischen Leben. In Syracuse im Bundesstaat New York, wo er in wenigen Monaten leben wird, gebe es «leider nur ein paar kleine Hügel».
Eigentlich wollte Winkler Architekt werden. Er versuchte, diesen Traum im Wald in Form von Baumhäusern auf hohen Buchen oder Eichen zu verwirklichen. «Mich faszinieren Bauten, die den Zeitgeist repräsentieren.» Das gilt auch für den Neubau in Balzers, einem der drei Produktionszentren von Inficon, wo Vakuuminstrumente entwickelt und produziert werden. Hier war Winkler bis Ende 2003 Hausherr, im Fachjargon General Manager der Business Unit Vacuum (Standortumsatz: Rund 80 Mio Fr. mit 220 Mitarbeitern). Jetzt hat er die oberste Stufe erreicht: CEO der gesamten Gruppe. Das bedeutet 700 Mitarbeitende, einen Umsatz von gegen 160 Mio Dollar.
Im Entrée der eigenwilligen Baute am Dorfausgang sind die Waren präsentiert, die am Produktionsstandort in Balzers hergestellt werden. Über ihren Verwendungszweck kann man nur rätseln. Es sind kleine Apparate, die wie Geräte für irgendwelche Haushaltmaschinen oder Heizungen wirken. Winkler erklärt geduldig, wo sie gebraucht werden. Mit ihnen kann der Druck in Vakuumkammern gemessen werden. Inficon stellt aber auch Gasmessgeräte her; die tragbaren Modelle sind seit den Terroranschlägen vom 9.11.2001 zu einem Renner geworden. Sie sind portabel wie ein Rucksack und zeigen an, ob Giftgase eingesetzt worden sind. Ein solches Gerät kostet rund 130000 Fr. und geht derzeit weg wie «frische Weggli», weil vor allem Sicherheitsbeauftragte darauf angewiesen sind, möglichst rasch einen Befund zu haben. «Früher mussten die entnommenen Proben zuerst ins Labor gebracht und analysiert werden. Dabei ging viel kostbare Zeit verloren», erklärt Winkler.
Unbekümmert, aber präzis
Das fällt an Winkler auf: Viel Geduld, wenn es darum geht, Inficon-Produkte zu «verkaufen» und ihre Vorteile darzulegen. Andererseits viel Power und Ungeduld, wenn die Vorwärtsstrategie des Konzerns verwirklicht werden soll. «Ich hatte nie einen Chef, der sich für die Anliegen der Mitarbeitenden so viel Zeit nahm», sagt Elisabeth Kühne. Sie ist Winklers Assistentin und gar nicht glücklich darüber, dass ihr Chef demnächst in den USA seine Zelte aufschlagen wird. «Aber ich tröste mich mit dem Gedanken, dass er ja für die Verwaltungsratssitzungen immer wieder in die Schweiz reisen muss.»
Apropos reisen: Daran hat er sich längst gewöhnt. Ob bei General Motors, bei Rieter oder bei Unaxis Inficon ist eine ehemalige Division dieses Unternehmens , immer war Winkler auf Achse. Das gilt auch für seine vielen Umzüge. «Ich bin es gewohnt, Zelte abzubrechen», sagt er. Dann blickt er wieder auf die Alpsteinkette. «Zügeln macht mir nichts aus. Man kann alles ersetzen und neu anfangen, aber diese Kulisse nicht.»
Umzüge scheinen aber auch seiner Familie nichts auszumachen. Seine Frau und die vier Kinder entsprechen nicht der üblichen Vorstellung von einer geplagten Managerfamilie, die sich nicht gerne immer wieder verpflanzen lässt, weil man den Tennis- oder Golfklub, die Freundinnen und Freunde nicht missen möchte. «Wir haben solche Übungen schon mehrmals mit Erfolg durchgeführt. Schliesslich gibt es ja auch das Internet und die Möglichkeit, günstig mit dem Flugzeug zwischen der Schweiz und den USA hin und her zu reisen», sagt Winkler lachend. Einmal pro Jahr werden wir mit der ganzen Familie hier in Maienfeld sein.»
Sowohl in Maienfeld wie in Balzers sind Bilder aufgehängt, die seine Frau gemalt hat gegenständlich mit einem Bezug zur modernen Gesellschaft, die sich aus zweiter Hand zu informieren pflegt. Winklers Lieblingsbild Wolkenkratzer mit einem Zeitungsausschnitt übertüncht hängt im Vorzimmer seines Büros, sofern diese Bezeichnung überhaupt zutrifft. In Balzers wurde ein moderner Industriebau errichtet, der in seiner Grundkonstruktion an das Guggenheim-Museum in New York erinnert: Ein lichtdurchfluteter Innenhof, der von Büros umgeben ist, die nur durch Glas getrennt sind. «Hier zu arbeiten, ist eine wahre Freude», sagt ein Mitarbeiter, «alles ist so transparent, auch die Geschäftspolitik des CEO; er informiert immer über alles, so rasch er kann.»
Winkler wird das Heidiland im Sommer verlassen und weiss noch nicht einmal, wo die Familie künftig wohnt. «Das lassen wir auf uns zukommen. In den USA findet man rasch ein Haus oder baut sich halt eins.» Die Mischung von Unbekümmertheit, wenn es um persönliche Entscheide geht, und von Präzision, wenn die Produktepalette bis in alle Details dargestellt wird, kennzeichnet Winkler.
Ein heimlicher Grüner?
Dass auf seinem Büchertisch derzeit das Buch über den geschassten US-Finanzminister Paul O'Neill liegt, ist kein Zufall. «Das ist ein Republikaner mit einer liberalen Gesinnung. Daher wurde er auch von George Bush in die Wüste geschickt. Ich fühle mich innerlich mit O'Neill verwandt, ein Wertkonservativer mit liberalen und grünen Anliegen», sagt Winkler. Was heisst das konkret? Wie äussert sich das im Geschäftsalltag? «Ganz einfach. Schauen Sie einmal aus dem Fenster.» Was ist da zu sehen? Ein Parkplatz für Mobility-Fahrzeuge. Inficon hat ein System eingeführt, das jene belohnt, die zu Fuss oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln zur Arbeit fahren. Wer keinen Parkplatz beansprucht, dem wird ein Betrag ausbezahlt 330 Fr. pro Jahr plus Mobility-Abo. Diejenigen, die einen Parkplatz beanspruchen, bezahlen je nachdem 360 oder 720 Fr. pro Jahr.
Was wird sich nach seinem Umzug in die USA ändern? «Ich werde nach den genau gleichen Grundsätzen wie immer führen. Die sind einfach: Ich möchte mir genug Zeit für die Mitarbeitenden nehmen, das ist heute wichtiger denn je.» Dass der ETH-Maschineningenieur nicht die Produkte bis in alle komplizierten Detailfunktionen kennen muss, ist für ihn klar. «Aber ich bin dafür verantwortlich, dass die Pipeline sogefüllt ist, dass wir weiterhin eine Zukunftsperspektive haben.» Sein ehemaliger ETH-Professor, Hugo Tschirky, erinnert sich gut an Winkler. «Er gehörte nicht zu den fleissigsten Seminarbesuchern, aber bei Prüfungen brillierte er immer.»
Keine Umgewöhnung braucht Winkler für seine kulinarischen Gewohnheiten. Am Wochenende schwingt er den Kochlöffel. «Ich verwende wenn möglich nichts Vorfabriziertes, die Tiefkühltruhe habe ich abgestellt; es ist alles frisch, was auf den Tisch kommt.» Am liebsten haben seine Kinder und seine Gäste die «Grossmuttersauce», ein etwas kompliziert klingendes Rezept, wofür man sich Zeit nehmen muss. In den USA hofft er alle Ingredienzen dafür zu bekommen.
Nach Syracuse wird er aber auch alle Ingredienzen mitnehmen, die nötig sind, um ein Unternehmen erfolgreich zu führen. «Die besten Ideen kommen mir zwischen 22 und 24 Uhr. Dann schreibe ich sie sofort auf und gehe ruhig schlafen. Daran wird sich auch künftig nichts ändern.» Etwas wird aber bestimmt anders: «In den USA ist nach 17 oder spätestens nach 18 Uhr ein Fabrik- oder Bürogebäude verwaist. Darauf freue ich mich, dann kann auch ich etwas früher nach Hause gehen.» Bleibt nur zu hoffen, dass er Recht behält.
Profil: Steckbrief
Name: Lukas Winkler
Funktion: CEO der Inficon-Gruppe
Alter: 42
Wohnort: Maienfeld
Familie: Verheiratet, vier Kinder
Transportmittel: Seat Alhambra, BMW Compact
Karriere:
1987-1989 General Motors, zuständig für Produktivitätsanalysen und Studien;
1989-1992 Rieter, Einführung von SAP und Abteilungsleiter Informatik, Controlling in der Produktion;
1993-1996 Unaxis, Leiter Logistik und dann Leiter Produktion;
1997-heute Inficon, zuerst als Leiter der Business Unit Vacuum Control.
Seit 2004 Leiter der Gesamtgruppe.
Firma:
Die Inficon-Gruppe wurde imJahr 2000 als Spin-off der Unaxis-Gruppe gegründet. Sie setzt rund 160 Mio Dollar um und beschäftigt 700 Mitarbeiter. Inficon ist ein führender Entwickler, Produzent und Anbieter von Vakuuminstrumenten, hochpräziser Sensortechnologie und Prozesskontrollsoftware für den Mikroelekktronik-, Kälte- und Klima- sowie den Umwelt-/Sicherheitsmarkt.