Die Luxusgüterbranche hat sich in den letzten eineinhalb Jahren stark verändert. Der Grund liegt auf der Hand: Die Corona-Pandemie. Sie hat der Branche einen Ruck versetzt und vor allem zwei Entwicklungen stark vorangetrieben: Die Branche hat ein echtes Bewusstsein und Interesse für Nachhaltigkeit entwickelt. Dazu hat sie die Omnichannel-Strategie sowie die Digitalisierung fokussiert. Vor allem die Fashion-Branche hat dafür viel gemacht, wie die neue Studie «Global Powers of Luxury Goods 2021» von Deloitte zeigt.
Der Sprung in die digitale Welt sei durch Corona schneller erfolgt als zunächst erwartet. Angetrieben von der avantgardistischen Fashion-Industrie hat diese Umwälzung auch die Uhrenbranche erreicht. «Die Fashion-Industrie investiert am meisten in neue Technologien, sei es mit NFT, im Gaming-Bereich, mit Präsenz in Online Malls. Jetzt haben aber auch die Schweizer Uhrenmarken verstanden, dass sie ein ansprechendes Online-Luxuserlebnis bringen müssen, um neue Zielgruppen anzusprechen», sagt Karine Szegedi, Managing Partner und Board-Member bei Deloitte Schweiz. Sie ist Spezialistin für die Konsumgüterindustrie und analysiert den Bereich Fashion und Luxus seit Jahren.
Neue Materialien sind gefragt
Die Fashion-Industrie sei aber auch ein Vorreiter in Sachen Nachhaltigkeit: neues Leder aus Apfelschalen, Produkte ohne Fell, T-Shirts aus PET. Dafür gehen Luxusgüterunternehmen strategische Partnerschaften sowohl mit erfahrenen Akteuren im digitalen Bereich als auch mit Startups ein, um neue Produkte zu lancieren. Dabei kämpfe die Branche zurzeit aber noch mit einer Herausforderung: «Nachhaltigkeit ist superwichtig, aber niemand möchte dafür zahlen», gibt Szegedi zu bedenken. Wer aber deshalb nicht auf Nachhaltigkeit setze, verschwinde früher oder später, sagt die Expertin.
Wie im Bericht ersichtlich ist, kann sich der Schweizer Luxusgüter-Gigant Richemont aus Genf als Vorreiter in Sachen Digitalisierung bezeichnen. Er macht mittlerweile rund 18 Prozent des Umsatzes über das Online-Geschäft. Bei den grossen Konkurrenten LVMH oder Kering sind die Zahlen niedriger. Das hat auch mit der Digitalstrategie von Richemont zu tun. Der Umsatz des Schweizer Unternehmens ging im vergangenen Jahr im Bereich Luxusgüter nur um 0,7 Prozent zurück.
Im Februar dieses Jahres konnte der Konzern einen «Luxury Pavillon» auf dem bekannten, chinesischen Shoppingportal Tmall in China einrichten. Das spielt dem Konzern in die Hände: «Bei physischen Luxusboutiquen gibt es für Konsumenten eine Hemmschwelle, den Laden zu betreten. Bei online existiert diese nicht», sagt Szegedi. Dabei steigt auch das Budget, welches der Kunde online ausgeben möchte: Vor fünf Jahren haben die Leute Uhren im Wert von rund 5000 Franken im Netz gekauft, heute für mehrere hunderttausend Franken, zeigt sie auf. Szegedi relativiert die Entwicklung aber auch: Der Konsument wolle nicht mehr nur online shoppen, «die Leute wollen die Marke anfassen, sei es im Pop-up-Store oder bei Shop-in-Shop-Konzepten».
Pre-owned-Markt wächst in der Schweiz
Die Luxuskonzerne haben inzwischen die Zeichen der Zeit erkannt. Themen wie Kreislaufwirtschaft, Innovation mit Biomaterialien oder der Pre-owned-Markt werden künftig grossgeschrieben. Es geht um nachhaltigen Luxus, der die Umwelt und die soziale Verantwortung fördert, heisst es in der Studie «Global Powers of Luxury Goods». Die Branche beschäftigt sich zunehmend mit ethischer Mode, also fairem Handel und Arbeitsbedingungen, zirkulärer Mode (Upcycling, Recycling), Slow Fashion, also dem Teilen und Mieten von Mode, sowie bewusster Mode, die dem Klimawandel Rechnung trägt.
Bereits der Bericht aus dem vergangenen Jahr befasste sich mit dem Wiederaufleben des Vintage- und Secondhand-Marktes. Nun hat dieser nochmals einen Schub erhalten, vor allem bei gebrauchten Uhren. Damit könne die Uhrenbranche neue Kundensegmente erschliessen, «aber ihnen auch ein nachhaltiges und erschwingliches Markenerlebnis bieten», sagt Szegedi. Früher habe man Secondhand gekauft, weil man sich für weniger Geld bessere Marken leisten konnte, sagt die Expertin. «Jetzt ist es cool geworden, eine Uhr mit dem eigenen Jahrgang zu tragen. Die Leute sind bereit, dafür viel Geld zu zahlen.»
Diese Entwicklung ist auch bei den grossen Schweizer Uhren- und Schmuckhändlern wie Bucherer und Les Ambassadeurs zu sehen. Laut Deloitte sind Uhren bei Millennials und der Generation Z über die letzten fünf Jahre wieder wichtiger geworden. Auch, weil Uhren oder auch Handtaschen als Investitionsobjekt betrachtet werden, um das Portfolio zu diversifizieren. «Die Käufer benutzen Uhren zum Traden», sagt Szegedi. Wen man heute das Uhrengeschäft mit einer Rolex verlasse, dann sei die Uhr automatisch schon mehr wert auf dem Sekundärmarkt.
Gaming-Industrie kooperiert mit Luxusgüterbranche
Eine weitere wichtige Entwicklung sind Non-Fungible Token, kurz NFT. NFT ist nicht nur zu einem Schlagwort in der Kunst, sondern auch in der Luxusgüterbranche geworden. NFT basieren auf einer Blockchain, die als Instrument zur Überprüfung der Echtheit von Objekten, aber auch für die Rückverfolgung des Vorbesitzers dient. Die Technologie soll Fälschungen den Garaus machen. Mit Blockchain lässt sich jeder Artikel zurückverfolgen, die Eigentumsrechte bleiben gewahrt.
Was aber noch viel bedeutender sein könnte für die Luxusgüterbranche, ist NFT als Währung im sogenannten Metaverse, also in virtuellen Räumen und Umgebungen, in denen sich Menschen austauschen. NFT können zum Verkauf von Sammlerstücken oder limitierten Objekten genutzt werden. Dabei arbeiten vor allem Fashion-Brands mit NFT-Künstlern zusammen. Diese erstellen Avatare oder bringen Gaming-Aspekte ins digitale Shoppingerlebnis hinein. «Der Kunde wünscht sich ein allumfassendes und 360-Grad-Kundenerlebnis. Egal, ob er im Laden, online, per App oder über Social Media einkauft. Die Brand muss die Präferenzen des Kunden genau erfassen», sagt Szegedi.
Der «Global Powers of Luxury Goods» erscheint jährlich. Das Beratungsunternehmen Deloitte gibt darin einen Überblick über die neusten Entwicklungen im Luxusgütergeschäft. Den aktuellen Report gibt es hier.
Generation Z im Fokus
Damit möchte die Luxusgüterbranche vor allem die Generation Z ansprechen. Mit Avataren können Kunden sich virtuell mit einer Handtasche eindecken, die sie sich im echten Leben vielleicht (noch) nicht leisten können. Virtuelle Kleidung stosse auf wachsendes Interesse, so die Studie. «Die Möglichkeit, sich in virtuellen Welten zu ‹verkleiden›, ist verlockend.»
Das ist nicht mehr Science-Fiction, sondern Realität: Im März 2021 brachte der Verkauf von 600 NFT-Sneakern in einer siebenminütigen Auktion einen Umsatz von 3 Millionen Dollar. Im virtuellen Luxus ist der Kauf von Luxustaschen oder Uhren gar nicht zwingend vonnöten – es reicht schon, in diese Markenwelt, die Atmosphäre einer Marke einzutauchen. Doch diese müssen von den Brands zur Verfügung gestellt werden. Dafür arbeiten sie mit Künstlern, Rappern oder Designern zusammen. Kooperationen zwischen Luxusgüterherstellern und Gaming-Buden sind absehbar, weil sie parallele Einnahmequellen schaffen, indem sie Kollektionen anbieten, die zunächst in einem Spiel zu finden sind und dann im echten Leben verkauft werden.
Luxusgüterbranche boomt
Die meisten Luxushäuser hätten bereits zum heutigen Zeitpunkt mehr Umsatz gemacht als 2019. Dabei sei das Weihnachtsgeschäft erst noch am Kommen, sagt Szegedi. «Die Leute konnten durch die Einschränkungen während der Pandemie Geld sparen – und wollen sich jetzt belohnen.» Man gehe nicht mehr in den Laden, um zu stöbern, sondern um zu kaufen. «Ein Kassenbon pro Besucher.»
Deshalb sei der Impact bei einem erneuten Lockdown mit einer Schliessung von Luxusgeschäften «sehr hoch», sagt die Expertin. Beim reinen Online-Versand liege das Problem auch bei der «letzten Meile». Szegedi gibt zu bedenken: «Eine 40’000-Franken-Uhr kann man nicht mit einem Paket vor die Tür legen oder dem Nachbarn abgeben. Wie macht man das?»