Am Anfang ging es, wie so oft in der Geschichte, allein um die Verbreitung des Christentums. Der italienische Jesuit Matteo Ricci landete 1583 in China, um das Reich der Mitte zu missionieren. Dabei war der gebildete Gottesdiener so erfolgreich, dass er bald einen prominenten Platz im Lexikon erhielt. Dort kann man nachlesen, was das Rezept des ersten grossen westlichen China-Kenners war: die behutsame Anpassung an chinesische Bräuche und an den Konfuzianismus.
Weniger bekannt ist, wie sich Ricci Zugang zum Kaiser verschaffte: mit Uhren. Ricci gilt als der erste Europäer, der Uhren in seinem Gepäck mitnahm – und damit den Kaiser bezirzen konnte. Der chinesische Kaiserhof wurde in der Folge ein grosser Importeur von europäischen Uhren. Vacheron Constantin zum Beispiel hat in ihren Archiven noch heute entsprechende Belege. Oft wurden die Uhren über englische Zwischenhändler in die chinesische Stadt Kanton verkauft. Zugleich begannen die Chinesen, selber Uhren zu bauen: 1680 gab es unter dem Kaiser Kang Hi in der Verbotenen Stadt 27 chinesische Uhrenateliers.
Heute schliesst sich der Kreis. Mit der Ausstellung «Watches & Wonders» präsentierte die Richemont-Gruppe im September 2004 dem chinesischen Publikum unter anderem die Geschichte der europäischen und vor allem natürlich der Schweizer Uhrmacherkunst. Gezeigt wurden etwa Uhren, die im Laufe der Geschichte den kaiserlichen Hof in China und die chinesische Oberschicht begeistert hatten.
Die Ausstellung im Tai-Miao-Tempel ist Weltpremiere und -derniere zugleich. Nie zuvor hat es in der Verbotenen Stadt in Peking eine private Ausstellung gegeben; nie wird wieder eine stattfinden, wie die chinesischen Behörden entschieden haben.
Die Ausstellung war dreigeteilt. Neben dem historischen Teil mit rund 70 Exponaten, die zu einem guten Teil aus dem Uhrenmuseum von René Beyer stammen, konnten die Zuschauer Uhrmachern bei ihrer Arbeit zusehen. Dazu präsentierten die verschiedenen Maisons der Richemont-Gruppe ihre aktuellen Stücke. Insgesamt waren 600 Uhren ausgestellt.
Franco Cologni, Senior Executive Director der Richemont-Gruppe, musste sich nicht besonders ins Zeug legen, um die angereisten Journalisten vom Sinn des Events zu überzeugen. Zu sehr ist der Wirtschaftsboom in den Pekinger Strassen greifbar. Während es vor zehn Jahren erst ein einziges Fünfsternhotel gab, stehen heute im Zentrum deren 22. Während damals private Autos praktisch unbekannt waren, quälen sich heute allein in Peking zwei Millionen Personenwagen durch die Strassen. Der Porsche Cayenne ist dabei mindestens so oft zu sehen wie im Grossraum Zürich – oft trägt der Fahrer am lässig aus dem Fenster baumelnden Arm ostentativ eine Luxusuhr.
China zählt heute mehr Millionäre als die Schweiz: 236 000 Chinesen besitzen mehr als eine Million US-Dollar, das sind zwölf Prozent mehr als im Vorjahr. Zum Vergleich: Weltweit stieg die Zahl der Dollar-Millionäre nur um 7,5 Prozent. 50 000 Chinesen haben 10 Millionen Dollar oder mehr, 200 gar 100 Millionen oder mehr.
Von April bis August 2004 hat die Richemont-Gruppe weltweit ihre Verkäufe um 17 Prozent gesteigert, im asiatisch-pazifischen Raum beträgt die Zunahme stolze 41 Prozent. Cartier konnte in diesem Raum gar ein atemberaubendes Wachstum von 77 Prozent verzeichnen, wie Richemont-CFO Richard Lepeu bekannt gab.
Kaufkraft also ist vorhanden. Hinzu kommt, dass die Asiaten verrückt nach europäischen Luxusgütern sind. 30 bis 40 Prozent der Luxusgüter werden bereits heute in den asiatischen Ländern gekauft – bis 2025 sollen es 50 Prozent sein.
In China sind die Top-Produkte bestens bekannt. Auf den Märkten bekommt man schon heute hervorragend gefälschte Lange-&-Söhne-Uhren.
Echte werden erst im Jahr 2005 zu haben sein. PAS