In Bern heisst die Losung: Es kommuniziert der Chef. Nicht so bei der Vogelgrippe. Bei der diffizilen Gratwanderung zwischen Frühwarnung und Panikmache lässt Bundesrat Joseph Deiss seinem zuständigen Chefbeamten noch so gern den Vortritt.

Der nutzt die Chance. Hans Wyss, Chef des Veterinäramts, spricht nicht wie ein weltfremder Bürokrat. Im Gegenteil: Jeder versteht, wenn der Berner die Gefahren erläutert und Massnahmen begründet. Selbst die Geflügelhalter, die ihr Federvieh schon zum zweiten Mal innert kurzer Zeit in die Ställe pferchen müssen, loben den Beamten.

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Der freie Auslauf im Departement kommt Hans Wyss zupass. Über einen direkten Gesprächsdraht hält er Generalsekretär Walter Thurnherr auf dem Laufenden. Schiesst die mediale Fieberkurve hoch, bespricht er sich auch mal direkt mit Bundesrat Deiss. Schwer wiegende Entscheidungen wie die Stallpflicht fällt der Bundesrat in enger Absprache mit Wyss. Dass dessen Amt beim Wirtschaftsminister angesiedelt ist, sei mitnichten abwegig. «Tierseuchen haben einen grossen wirtschaftlichen Impact», begründet Wyss, «die ökonomische Sichtweise ist da gar nicht so schlecht.»

Seine wichtigsten Partner findet Wyss ausserhalb des Regierungsapparats. Das Institut für Viruskrankheiten und Immunprophylaxe liegt in der bäuerlichen Zone zwischen Bern und Freiburg und arbeitet mit einem Globalbudget des Veterinäramts. Rasch hochansteckende Tierseuchen nachweisen und Gegenmassnahmen entwickeln, so lautet dessen Auftrag. Leiter Christian Griot ist ein enger Vertrauter von Hans Wyss, keiner will dem anderen die Show stehlen.

Ein zweiter Link führt zu Richard Hoop, Spezialist für Geflügelkrankheiten am Zürcher Tierspital und Leiter des Referenzlabors der Universität Zürich. Hoop, eine Kapazität bei Tierseuchen, wird vom Veterinäramts-Chef geschätzt. Da gebe es weder Kompetenzgerangel noch Abstimmungsprobleme, sagt Wyss.

Den engsten Kontakt unterhält Wyss in diesen Tagen des nationalen Vogelgrippe-Alarms allerdings zu Thomas Zeltner, Chef des Gesundheitsamts. Zeltner deckt jene Zone ab, ohne die es keine öffentliche Aufregung gäbe: den Schutz des Menschen. Wie «Zwillinge» arbeiteten Zeltner und Wyss zusammen, sagte Gesundheitsminister Pascal Couchepin in der «NZZ». Die Projektorganisation aus Veterinäramt und Gesundheitsamt steuert alle Aktionen bei Bund und Kantonen.

Wyss und Zeltner gehören einer neuen Generation von Chefbeamten an, die sich bewusst ist, dass der Staat sich mit seinen Gesetzen und Vorschriften nicht gegen das Volk stellen kann, sondern Stimmungen in der Bevölkerung aufzunehmen hat. «If you can’t beat them, join them» – kämpfe keinen aussichtslosen Kampf, erst recht nicht, wenn die Stimmung so aufgeheizt ist wie bei der Diskussion um die Pitbulls.

Der gewundene Karriereweg von Hans Wyss entpuppt sich als Vorteil für die neuen Herausforderungen, die situatives Reagieren verlangen. Aufgewachsen in der Landwirtschaftlichen Genossenschaft Schönbühl bei Bern, die von seinem Vater geleitet wurde, führte ihn seine Tierliebe – noch ganz im Sinne der Familientradition – zum Veterinärmedizinstudium an der Uni Bern. Als er darauf Assistent an der Pferdeklinik des Berner Tierspitals wurde, schien alles auf eine geradlinige Karriere hinzudeuten. Dann aber wurde Wyss mit 27 Jahren Radioreporter bei DRS mit Spezialgebiet Pferdesport. «Das verstand mein Vater nicht», sagt Wyss. «Aber interveniert hätte er nie. Und ich wusste ja, was ich tat.»

Tatsächlich kehrte der zwei Meter grosse Hüne nach drei Jahren in den gelernten Beruf zurück, zuerst als selbständiger Tierarzt, dann als zweiter Berner Kantonstierarzt. Wie alle Jobs habe er auch diesen ohne Vitamin B erhalten, betont Wyss im Gespräch.

Sechs Jahre später landete er im Team von Ulrich Kihm, dem damaligen Chef des Bundesamtes für Veterinärwesen. Die zwei verstanden sich offenbar ausgezeichnet. Als Kihm 2003 vorzeitig den Hut nahm, empfahl er Wyss als seinen Nachfolger. «Er kann schwierige Situationen schnell umfassend einschätzen und auch die wesentlichen Punkte hervorragend kommunizieren», sagt Kihm heute. «Wyss ist vorausschauend, ruhig und überlegt.» Genau das Richtige, um aufgebrachte Seelen zu beruhigen.

Pitbull-Kehrtwende mit Imagegewinn

Am 1. Dezember geriet der bis anhin wenig bekannte Wyss ins mediale Rampenlicht. In Zürich war ein kleiner Junge von einem Kampfhund totgebissen worden. «Da wusste ich: Jetzt läuft ein Film ab, Bild für Bild, und niemand kann ‹Stopp!› rufen», sagt Wyss im Rückblick. Anfänglich stemmte er sich gegen Schnellschüsse, sagte, Hunderassen zu verbieten, sei keine Lösung. Doch da hatte «Blick»-Chefredaktor Werner de Schepper die «untätigen» Beamten bereits ins Visier genommen. «Stoppt die Bestien!», dröhnte er. Wyss stand auf verlorenem Posten – und tat das einzig Mögliche: eine 180-Grad-Kehrtwende. Selbst das Verbot bestimmter Rassen müsse diskutiert werden, sagte er nur drei Tage später. Dass er die eigene Position preisgab in einer Situation, in der er «nur noch verlieren» (Wyss) konnte, machte medial aus dem Betonkopf einen lernfähigen Beamten.

Pferdenarr ohne Ehrgeiz

Als Teenager verbrachte Wyss seine Freizeit am liebsten auf dem Rücken eines Pferdes, mit der Zeit wurde er zu einem begabten Springreiter. Für den Sprung an die nationale Spitze fehlte ihm allerdings der Ehrgeiz. Dafür ist er stolz auf den Weg, den er mit seiner braunen Stute Candia zurückgelegt hat. «Das ist es, was mir Spass macht: eine Entwicklung sehen, etwas positiv verändern. Ob ich mit Candia bei den Preisspringen jemals abräumen würde, war mir egal», sagt Wyss.