Geld ist nicht alles – sagte sich Henry M. Paulson jr. (60), genannt «Hank», als George W. Bush ihn fragte, ob er Finanzminister werden wolle. Er sagte zu. Sein künftiges Jahressalär von 175 700 Dollar entspricht etwa dem, was Paulson als Chef der Investmentbank Goldman Sachs in zwei Tagen verdiente. Aber manchmal ist Ehre eben wichtiger. Oder wie muss einer gestrickt sein, um das Amt als grösster Schuldenmacher aller Zeiten zu übernehmen?
Hank Paulson verkörperte über Jahre das perfekte Klischee einer Machtfigur von der Wall Street: Hunderte von Telefonaten mit Kunden und Geschäftspartnern pro Tag, heute Hongkong, morgen London, knapp gehaltene Power-Meetings. Selten nahm er ein Blatt vor den Mund, und viele seiner Ansichten waren durchaus umstritten: seine Strategie zum Beispiel, Goldman Sachs zu einer schlankeren, aggressiveren Investmentbank umzubauen. Zugleich machte er aus seiner tiefen christlichen Überzeugung kein Hehl und aus seinem Einsatz für die Umwelt auch nicht. Fortan galt er als «Öko-Freak».
Und jetzt Finanzminister. In republikanischen Kreisen ist seit langem darüber geredet worden, dass der Präsident einen besseren Verkäufer für seine Wirtschaftspolitik brauche. Dafür muss Paulson allerdings noch etwas gesprächiger werden. Seine Antrittsrede in Washington bestand aus ganzen neun Sätzen über die Rolle der Finanzmärkte im Allgemeinen und über Wettbewerbsgeist als Wurzel amerikanischen Wachstums im Besonderen. «Wunderbar», jubelte Gregory Mankiw, Harvard-Ökonom und früherer Chefberater von George W. Bush, angesichts solcher Prägnanz. Die Frage bleibt, ob Paulson, der Macher, das Steuer herumreissen kann. Kann er Robert Rubin folgen, ebenfalls Exmanager von Goldman Sachs, der als Architekt der späten Wirtschaftspolitik Bill Clintons gefeiert wurde? Das bleibt
zumindest zweifelhaft. Vielen gilt Bush bereits als lahme Ente. Er hat zwar noch gut zwei Jahre Amtszeit vor sich, aber seine Beliebtheitswerte sind auf historischen Tiefständen angelangt, und bei den Kongresswahlen könnten die Republikaner ihre Mehrheit verlieren.
In Fragen der Wirtschaftspolitik sind sie hoffnungslos zerstritten: Ökonomisch denkende Republikaner wenden sich immer offener gegen Bush, der die Staatsschulden in Rekordhöhen treibt und unter dem die Haushaltsdefizite gigantische Dimensionen erreicht haben. Bruce Bartlett, ein konservativer Ökonom, hat gerade mit «Impostor: How George W. Bush Bankrupted America and Betrayed the Reagan Legacy» eine böse Abrechnung veröffentlicht.
Dass Henry M. Paulson noch als Retter in der Not reüssieren könnte, hält auch Robert Rubin für unwahrscheinlich. «Er hat da einen sehr schwierigen Job angenommen.»
Die Vertrauten
Hank Paulson gilt als bodenständig. Als engste Vertraute gelten seine Frau Wendy und die beiden erwachsenen Kinder Henry Merritt III. und Amanda Clark. Auf Partys in New York sieht man ihn kaum. In seiner Freizeit fliegt er mit Wendy am liebsten an exotische Orte wie Belize oder Brasilien und geht seinem Lieblingshobby nach, dem Beobachten von Raubvögeln in freier Wildbahn. Sein bester Freund aus Studienzeiten an der Harvard Business School ist Walter C. Minnick, heute Chef einer Landschaftsgärtnerei in Idaho. Zu seinem Entschluss, den Avancen aus dem Weissen Haus zu folgen, hat Joshua Bolten beigetragen, den Bush im April zum Stabschef machte und der lange mit Paulson bei Goldman gearbeitet hatte. Mit George Bush senior geht Paulson gelegentlich segeln, für den Junior trieb er im Wahlkampf 2004 Spenden ein. Paulson verfügt auch über exzellente internationale Kontakte. Als Angela Merkel Anfang Mai New York besuchte, organisierte Paulson der Kanzlerin zu Ehren ein Essen mit Wirtschaftsführern. Ein besonders guter Draht wird ihm zu Chinas ehemaligem Präsidenten Jiang Zemin nachgesagt.
Die Wegbegleiter
Hank Paulson ist zwar Republikaner, doch deshalb liegt er noch lange nicht auf einer Linie mit Präsident Bush. So engagiert sich Paulson vehement für den Umweltschutz und plädiert für die Unterzeichnung des Kyoto-Protokolls. Da die Politik in Washington von einem kleinen Kreis enger Bush-Vertrauter gemacht wird – Karl Rove oder Notenbankchef Ben S. Bernanke –, könnte der New Yorker Grüne Paulson als Aussenseiter einen schweren Stand haben. Bereits ist er ins Visier rechter Think Tanks wie American Enterprise und konservativer Kommentatoren geraten. Das «Wall Street Journal» unkte nach seiner Wahl: «Henry Paulson könnte seine neue Machtposition dazu missbrauchen, die Regierung in die Umweltecke zu drängen.»
Der Widersacher
Paulson ist befreundet mit Citigroup-Präsident und Clinton-Intimus Robert Rubin. Gestört ist dagegen das Verhältnis zum früheren New Yorker Börsenchef Richard Grasso. Als das Multimillionen-Pensionspaket Grassos Schlagzeilen machte, ging Börsen-VR Paulson auf Distanz zu Grasso – nachdem er jahrelang die Zahlungen an Grasso abgenickt hatte. Nach seinem abrupten Abgang bezeichnete Grasso Paulson öffentlich als «falsche Schlange».