In Wirtschaftskreisen horchte man vor zwei Jahren auf, als plötzlich ein in der Schweiz praktisch unbekannter Finanzfachmann auftauchte, der den ABB-Konzern sanieren sollte. Peter Voser (46) hatte zwar Anfang der Achtzigerjahre noch bei Shell in der Schweiz gearbeitet, eine grosse Nummer war er aber nicht. Sukzessive hat sich der Aargauer mit HWV-Abschluss an die Spitze der Finanzwelt emporgearbeitet. Nach einem kurzen, aber erfolgreichen Gastspiel bei ABB kehrt der sportbegeisterte Vater dreier Kinder nun wieder zu Shell zurück.
Etwas aus seiner ABB-Zeit wird dennoch bleiben: Die Schweiz wird für Voser und seine Familie der Lebensmittelpunkt bleiben – die beiden Jahrzehnte zuvor haben sie in England und Südamerika verbracht. Erst seit einem Jahr sind Voser, seine Frau und die Kinder wieder zusammen, nachdem der Finanzmann zuerst nur mit seiner ältesten Tochter nach Zürich gezogen ist, damit seine beiden anderen Kinder in London die Schule beenden konnten. Obwohl sein künftiger Arbeitsplatz in London liegen wird, will er auch künftig in der Schweiz wohnen bleiben.
Auf Voser wartet in London eine schwierige Aufgabe, die laut der «Financial Times» als schier unlösbar gilt. Obwohl das britische Eliteblatt Voser bereits in den höchsten Tönen gelobt hat, gehen Experten davon aus, dass es schwierig sein dürfte, Shell voranzubringen. Denn trotz guter Rendite von über vier Prozent kommen die Shell-Aktien seit Monaten kaum vom Fleck. Vosers Vorgänger dürften in den kommenden Monaten und Jahren arg in Bedrängnis geraten, nachdem der renommierte amerikanische Anwalt William Learch gegen 27 ehemalige Shell-Manager Sammelklagen eingereicht hat.
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Die Shell-Seilschaften
Viele von Vosers ehemaligen Weggefährten bei Shell arbeiten heute weltweit in führenden Positionen bei zahlreichen Grosskonzernen. Zu den engeren Freunden und alten Förderern des Schweizers gehört der ehemalige Shell-Spitzenmanager Paul Skinner, heute Chairman beim argentinischen Mischkonzern Rio Tinto. Mit Skinner teilt Voser auch seine Leidenschaft für Südamerika. Skinner arbeitete 37 Jahre für Shell, zuletzt als CEO der internationalen Shell-Sparte für Ölprodukte und damit als direkter Vorgesetzter von Voser. Zur alten Shell-Seilschaft gehört auch Maarten van den Berg, der heute den britischen Finanzkonzern Lloyds TSB leitet. Weniger bekannt ist, dass in den vergangenen Jahren auch zwischen ABB und Shell ein reger Austausch an Führungsleuten stattgefunden hat. Während etwa der ABB-Personalchef Gary Steel nur kurz nach Voser von London zu ABB gewechselt hat, ist der ehemalige ABB-Chefjurist Beat Hess heute in der analogen Funktion bei Shell tätig. Mit Hess hat Voser heute einen engen Vertrauten bei Shell, mit dem er schon in schwierigen Situationen erfolgreich zusammengearbeitet hat. Hess und Voser haben für ABB in den vergangenen beiden Jahren den millionenschweren Vergleich um die Asbestklagen in den USA ausgehandelt.
Sein mächtiger Förderer
Zwanzig Jahre verbrachte Peter Voser nach seinem HWV-Abschluss 1982 beim britisch-holländischen Erdölkonzern Shell. Dem Unternehmen kehrte er 2002 den Rücken, um als Finanzchef die schlingernde ABB wieder auf Kurs zu bringen. Zwei Jahre später kehrt er zu einem Konzern zurück, bei dem sich viel verändert hat. An der Spitze des mächtigen Ölkonzerns steht heute der Holländer Jeroen van der Veer (56), der als wichtigster Förderer Vosers gilt und der wesentlich die Fäden gezogen hat, um den Schweizer wieder zur Shell-Familie zurückzuholen. Van der Voer galt schon vor drei Jahren als Favorit für den Posten des CEO bei Shell, musste dann aber dem Briten Sir Philip Watts den Vortritt lassen. Nun steht er an der Konzernspitze, nachdem Shell Anfang 2004 wegen krasser Managementfehler die Reserven um zwanzig Prozent hat nach unten korrigieren müssen. Wie Voser hat van der Voer praktisch sein ganzes Berufsleben bei Shell verbracht. Ihm soll der Schweizer jetzt helfen, Shell wieder auf den Erfolgsweg zurückzuführen.
Die ABB-Seilschaften
Da Peter Voser 17 Jahre seines Karrierewegs im Ausland verbracht hat, verfügt er in der Schweiz nicht über ein Beziehungsnetz, das über die familiären Kontakte hinausgeht. Zu ABB gekommen ist er nicht durch persönliche Kontakte, vermittelt haben ihn die Headhunter von Egon Zehnder. Da Voser kein Partylöwe, sondern eher ein stiller «Chrampfer» ist, hat sich an seiner schwachen Bindung zur Schweizer Wirtschaftselite in den vergangenen Jahren nicht viel geändert. Eng sind Vosers Kontakte vor allem zu den Banken, in der Schweiz zur Credit Suisse und ihrem Präsidenten Walter Kielholz, aber auch zu den Verantwortlichen bei der Deutschen Bank, bei der Citibank und bei Barclays. Vosers Erfolg als Finanzchef ist bei der ABB aber auch auf den Rückhalt zurückzuführen, den er von Konzernchef Jürgen Dormann sowie von dessen Vorgänger Jürgen Centerman erhalten hat. Auch sollen bei seinem Start bei ABB Martin Ebner und der schwedische Grossaktionär von ABB, Jacob Wallenberg, Voser vorbehaltlos unterstützt haben. Als Gerücht hat sich herausgestellt, Voser verlasse die ABB enttäuscht, da er auf den Posten des CEO spekuliert habe, der nun Fred Kindle erhalten hat (siehe Artikel zum Thema «Mann des Monats»). Voser hat sich nie um diesen Job beworben.
Seine Argentinien-Connection
In Argentinien hat der Kosmopolit Voser eine zweite Heimat gefunden, an der auch seine Frau und seine drei Kinder hängen. Der fussballbegeisterte Manager ist ein begeisterter Anhänger des Arbeitervereins Boca Juniors aus Buenos Aires und nicht, wie es in der argentinischen Oberschicht üblich ist, des Konkurrenzclubs River Plate. So ist Boca-Startrainer Carlos Bianchi für Voser eine der erfolgreichsten Figuren im internationalen Fussball. Regelmässig beschäftigt er sich noch heute mit den Resultaten aus der obersten argentinischen Liga. Auch in Argentinien hat Voser seine wichtigsten Kontakte vor allem bei Shell geknüpft, für die er dort fünf Jahre lang gearbeitet hat. Entsprechend gehört Jorge Brea, einer der führenden argentinischen Wirtschaftskapitäne, zu Vosers südamerikanischem Netzwerk. Brea, mittlerweile pensioniert, war bis vor wenigen Jahren Chef von Shell Argentinien und zieht noch heute in verschiedenen südamerikanischen Konzernen als Verwaltungsrat die Fäden.