Organisiert wird ständig und überall. Egal ob bei der Arbeit, in der Freizeit, im Militär oder in der Familie – der Mensch braucht Formen und Regeln. Allerdings gilt auch hier das Wort von Paracelsus: Die Dosis macht das Gift.
Schweizer Unternehmen, Institutionen und Verbände neigen zu Überregulierung, Überorganisation und zu schematischen Organigrammen. Dabei geht gerne vergessen, dass sich das wahre Leben zwischen den Kästchen abspielt. «Gute Organisationsformen sind daher nicht starr, sondern bieten den Betroffenen volle Entfaltungsmöglichkeit», erklärt Professor Norbert Thom, Leiter des Instituts für Organisation und Personal (IOP) an der Universität Bern (siehe Artikel zum Thema «Die Schweizer und das Kästchendenken: Organisation ist Massarbeit – und darf nicht einengen»).
Individuelle Freiheit im Rahmen klarer Leitplanken, heisst der Schlüssel zum Erfolg. Doch genau hier hapert es in zahlreichen hiesigen Unternehmen. «Schweizer Unternehmen scheinen besser strukturiert zu sein als ihre Wettbewerber im Ausland, Defizite zeigen sich jedoch vor allem im Bereich der Anreizsysteme und der Flexibilität innerhalb der Organisation», sagt Reto Isenegger, Mitglied der Geschäftsleitung von Booz Allen Hamilton Schweiz.
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Zu diesem Ergebnis kam das internationale Beratungsunternehmen auf Grund einer Umfrage, die mit Hilfe der Online-Analyse «OrgDNA» erstellt wurde. In der Schweiz wurden über www.bilanz.ch und über www.orgdna.com knapp 400 Firmen befragt (siehe Artikel zum Thema «OrgDNAProfiler: Fitnesstest für Ihre Organisation»). Die Berater sammelten zudem Antworten von mehr als 25 000 Teilnehmern aus dem übrigen Europa, Nordamerika und Ostasien.
Um die Mitarbeitenden zu motivieren, genügt es also nicht, gut organisiert zu sein. «Es braucht eine transparente und einfache Kommunikation bis hinunter zum Portier, um alle Mitarbeitenden bei einem Strategie- und Organisationswechsel ins Boot zu holen», so Isenegger. Das braucht Führungskräfte mit Mut, Charisma und Zeit. Oder, wie es Norbert Thom ausdrückt, «den Mut und den Schweiss der Edlen».
Über diese Eigenschaften verfügt offenbar Coop-Chef Hansueli Loosli. Als er beschloss, Coop Schweiz als regionale Organisation zu gliedern, übte er die neue Ladenaufstellung und die Abläufe während eines halben Jahres in intensiven Schulungen mit den Schlüsselpersonen. Die Einführung der neuen Organisation blieb kein blosser Papiertiger und ging ohne grössere Probleme über die Bühne.
Booz Allen Hamilton hat vier Schlüsselbereiche identifiziert, welche die Weichen entweder für eine gesunde, konkurrenzfähige oder aber für eine ungesunde Organisation stellen:
- die Struktur: Wie sind Ebenen und Einheiten angelegt?
- die Information: Wie fliessen Informationen und Know-how zwischen den Einheiten und Ebenen?
- die Entscheidungskompetenz: Wie sind die Entscheidungsrechte abgegrenzt und verteilt?
- die Motivation: Wie werden die Ziele des Unternehmens und seine Anreizsysteme aufeinander abgestimmt?
Ein erstklassiges Beispiel für eine gute Informationsstruktur zwischen den Einheiten und Ebenen ist der Liechtensteiner Bauzulieferer Hilti. Dieser rüstet derzeit seine 10 000 Vertriebsmitarbeiter weltweit mit einem in der Branche einzigartigen Informationssystem auf SAP-Basis aus. Die Aussendienst-Mitarbeitenden auf den Baustellen überblicken online alles, was ihr Kunde bereits bei Hilti gekauft hat, welche Preise mit ihm vereinbart wurden und mit welchen Mitarbeitern im Call-Center er worüber gesprochen hat.
«Volle Kundentransparenz», heisst das Ziel bei Hilti, so Jörg Kampmeyer, Leiter des strategischen Marketings. Alle Angestellten mit Kundenkontakt sollen über sämtliche Informationen verfügen. Aus dem weltweiten Vertriebsnetz fliesst auf demselben Weg das Feedback der Kunden zurück in die Konzernzentrale. Zeichnet sich auf einer Baustelle ein gröberes Problem ab, schickt die Zentrale ein Team von Arbeitswissenschaftlern los, um es zu analysieren.
Die knapp 400 von Booz Allen Hamilton befragten Schweizer Teilnehmer sind der Meinung, dass hier zu Lande prozentual mehr Unternehmen mit gesunder Organisation existieren als im internationalen Durchschnitt. Die Stärken sehen sie vor allem bei den klaren Entscheidungswegen, dem effizienten Informationsfluss sowie der schnellen Umsetzung strategischer und operativer Entscheide.
Schöne, heile Schweizer Firmenwelt? Warum kommt die Schweizer Wirtschaft aber nicht vom Fleck? Und warum geraten Schweizer Unternehmen in Sachen Innovationen immer mehr ins Hintertreffen? «Eine gut aufgeräumte Organisation heisst nicht automatisch, dass Unternehmen innovativ sind», betont Reto Isenegger. Auch gut strukturierte Organisationen können zu schwerfällig sein, um innovative Produkte zu generieren.
«Daher sollen Firmen neben der primären Organisation für die normalen Abläufe immer auch Experimentierzonen haben, die über eine Projekt- oder Netzorganisation verfügen», rät Nobert Thom. «Wer nicht den Mut hat, solche einzurichten, wird zwar noch eine Weile Meister im Melken der Cash-Cow bleiben, doch für eine neue Kälberzucht wird es bei ihm nicht reichen.»
IBM Schweiz hat bereits in den Sechzigerjahren erkannt, wie wichtig andere Strukturen für die Entwicklung neuer Produkte sind, und hat mit dem Forschungszentrum Rüschlikon einen Bereich geschaffen, der völlig anders tickt als die IBM-Produktion. Zwei Nobelpreise sowie zahlreiche wegweisende technologische Entwicklungen wie der Token Ring oder die Smartcard zeigen, dass das Konzept aufgeht.
Auch andere Branchen, etwa die Pharmaindustrie, haben gemerkt, dass ihre Organisationen viel zu gross und zu schwerfällig geworden sind, um kreative Forschung zu betreiben. So gliedern Roche und Novartis immer wieder Forschungsteams in Form von Spin-offs aus dem Stammhaus aus oder setzen auf Kooperationen mit kleinen, schlagkräftigen Biotech-Unternehmen, die ihnen die Forschungsarbeiten abnehmen.
Doch nicht nur Grossunternehmen, sondern auch KMUs sollten sich Freiräume für die Kreativität schaffen. Heinz Aeschlimann, Geschäftsführer der auf den Einbau von Gussasphalt spezialisierten Aeschlimann AG, schöpft seine Innovationen aus der Dualität von Business und künstlerischer Gestaltung. «Als Unternehmer braucht es eine Veranlagung zur Kreativität, und Unternehmer zu sein, erfordert, das Potenzial der Kreativität voll zu nutzen.»
Dazu zieht sich Aeschlimann nächtelang und über Wochenenden in sein
Atelier zurück, um Eisenskulpturen zu schaffen. Im Umgang mit Materialien und Formen entstehen Ideen, die er dann im Labor weiterentwickelt und, wenn er davon überzeugt ist, seinen Schlüsselmitarbeitern präsentiert. Die Dualität wirkt: Zahlreiche Patente sowie eindrückliche Bauwerke wie die Dänemark mit Schweden verbindende Storebælt-Brücke, für die das Unternehmen einen ultraleichten Belag erfunden hat, oder schotterlose Bahntrassees, die in Europa wie auch in Asien zunehmend verwendet werden, zeigen dies eindrücklich.
Bürstenhersteller Trisa hat sich diese Freiräume in Form eines Ideenhauses geschaffen. In diesem Raum bringen aus Mitarbeitern, Kunden, Lieferanten oder Bevölkerung bestehende Innovationszirkel nach Lust und Laune ihre Köpfe zum Rauchen und basteln Prototypen.
Wer innerhalb seiner Organisation kreative Freiräume schafft, ist nicht nur innovativer, sondern hat auch vollere Kassen. «Die Studie hat klar gezeigt, dass es sich lohnt, die ungenutzten Potenziale auszuschöpfen, denn Unternehmen mit einer gesunden, wettbewerbsfähigen Organisation sind profitabler», erklärt Reto Isenegger.